Oliver Rathkolb

Schirach


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37, der heutigen Abraham-Lincoln-Straße in Weimar. So erinnert sie sich in der US-Internierung an das Frackhemd ihres Schwiegervaters.16 Seinem Sohn Richard gelang es später, die wenigen Informationen über diesen fast hocharistokratischen Lebensstil in seinem Buch Der Schatten meines Vaters zu einem Bild zusammenzufügen.

      Behütete Kindheit und Jugend im großbürgerlichen Elternhaus: der zehnjährige Baldur von Schirach mit seinem Hund.

      Schwester Rosalind von Schirach war um neun Jahre älter und startete nach dem Ersten Weltkrieg eine Karriere als Opernsängerin.

      Frack, Degen, Kniehosen, Zweispitz: Vater Carl von Schirach im »Kostüm« eines großherzoglichen Kammerherren. Zeichnung, Hauptstaatsarchiv Weimar, Landesarchiv Thüringen.

      Ein genauer Blick auf die Aufführungspraxis des Intendanten Carl von Schirach bis zum Ende der Monarchie bzw. bis zur Abdankung von Großherzog Wilhelm Ernst sowie der Entlassung Schirachs im Jänner 1919 zeigt, dass er ein konservatives Programm umsetzte und für diesen Posten als Theateramateur mit Hauptberuf Offizier nicht wirklich geeignet war. Ein enger Kontakt entstand damals bereits zum rechtskonservativ-völkischen Literaturkritiker Adolf Bartels, der wie die Vorfahren der Schirachs aus Schleswig-Holstein stammte. Obwohl Bartels keine abgeschlossene akademische Ausbildung hatte, sondern nur ein verbummeltes Studium vorweisen konnte, wurde er 1905 durch Großherzog Wilhelm Ernst zum Professor h. c. ernannt. Er galt mit seiner erstmals 1897 und dann mehrfach aufgelegten Literaturgeschichte Die Deutsche Dichtung der Gegenwart. Die Alten und die Jungen als bedeutendster Vertreter der deutsch-völkischen und antisemitischen Literaturkritik, obwohl er in seiner Studienzeit eher philosemitisch eingestellt war. Eben dieses antisemitische Machwerk eines Dilettanten bezeichnete Baldur von Schirach im Rahmen der Nürnberger Prozesse als prägende Schlüsselliteratur seiner Jugend.

      Bereits 1906 hatte Bartels eine »Feier des jüdischen Dichters«17 Heinrich Heine in Weimar verhindert. Er trat als Protagonist der »Heimatkunst« auf und nahm in seiner »Literaturgeschichte« eine »reinliche Scheidung« zwischen »Deutschen und Juden« vor, wobei er Thomas Mann unter die Juden und schlechten Literaten reihte – eine Einschätzung, die Baldur von Schirach im Übrigen nicht teilen sollte.18 Bartels vertrat im Ersten Weltkrieg deutsch-völkische Einstellungen, war im Beirat des einflussreichen antisemitischen »Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes« tätig und engagierte sich im Kreis um den Flensburger Pastor Friedrich Andersen und dem Bayreuther Laientheologen Hans von Wolzogen für das »Deutschchristentum«, das eine »Reinigung« von »volksfremden« jüdischen Einflüssen anstrebte.

      Bartels Schüler und Sekretär in den Jahren 1922/23 war Hans Severus Ziegler (1893–1978), der als früher Nationalsozialist mit der Mitgliedsnummer 1317 von 1925 bis 1931 stellvertretender Gauleiter von Thüringen war und 1933 Generalintendant des Weimarer Nationaltheaters wurde. Bereits 1924 befürwortete Ziegler öffentlich nationalsozialistische Ideen und gründete die Wochenzeitung Der Völkische, aus der dann die Tageszeitung Der Nationalsozialist wurde. Für Carl von Schirach und seinen Sohn Baldur wurde der Nazi-Pionier und promovierte Germanist – Ziegler hatte seine Dissertation über »Friedrich Hebbel und Weimar« geschrieben – eine wichtige Kontaktperson.

      Vorgänger Carl von Schirachs als Intendant in Weimar war der ebenfalls konservativ-national eingestellte Hippolyt von Vignau (1843–1926). Auch der um dreißig Jahre ältere Vignau war preußischer Offizier – im Rang eines Majors – gewesen und hatte in Berlin einen großen Salon19 geführt sowie das Dessauer Hoftheater geleitet. In der Diskussion um den möglichen Nachfolger fiel schließlich auch der Name von Schirach, der dann tatsächlich zum Intendanten bestellt wurde. Gerüchteweise soll ein Rittmeister von Stechow seinem Garde-Kürassier-Regimentskameraden die Stelle vermittelt haben.20 Bei der Präsentation des neuen Theaterchefs in der Presse wurde zur Unterstreichung der Musikalität auf Schirachs jüngeren Bruder Friedrich Wilhelm verwiesen, der in München als Komponist lebte, sowie auf Carls Tätigkeiten als Assistent am Kölner Stadttheater bei Direktor Max Martersteig.21 Was die Musikalität betraf, so lag man auch nicht ganz falsch – Carl von Schirach war ein passionierter Geigenspieler.

      Schon vor Carl von Schirachs Amtseinführung im Oktober 1909 war die kulturpolitische Auseinandersetzung in Weimar im Sinne der antimodernen Richtung entschieden worden. Harry Graf Kessler, der von 1903 bis 1906 Direktor des Großherzoglichen Museums für Kunst und Kunstgewerbe war, und der belgische Architekt und Designer Henry Van de Velde, der seit 1908 die von ihm gebaute Kunstgewerbeschule leitete, hatten beispielsweise vor 1914 als Alternative zum rückwärtsgewandten Hoftheater einen modernen »Mustertheaterbau«22 gefordert. Hoftheaterintendant Vignau, der bereits 1900 dem kritischen Berichterstatter Professor Dr. Otto Francke amtlich die »unliebsame«23 Berichterstattung über die Neubaupläne untersagen wollte, gelang es, das moderne Baukonzept zu verhindern. Das neue, vom Architekten Max Littmann, dem Erbauer des Münchner Hofbräuhauses, entworfene Theatergebäude entsprach schließlich den ästhetischen und kulturpolitischen Vorstellungen der konservativen Kulturelite, die in dieser Architekturkontroverse offen die jüdische Herkunft des Museumdirektors Graf Kessler kritisierte. Das Verdienst Kesslers, die moderne Kunst und Architektur in das damals 33.000 Einwohner zählende, verschlafene Weimar gebracht zu haben, wusste man nicht zu würdigen.24

      Schirachs Vater unterstützte bereits 1909 aktiv Bartels völkisches Projekt der »Nationalfestspiele für die deutsche Jugend«, die mit Friedrich Schillers Wilhelm Tell eröffnet wurden. Bartels schmiedete dazu Verse, die an der ideologischen Zielsetzung der »Nationalfestspiele«, die noch ganz in der Bismarckschen Tradition standen, keinen Zweifel ließen:

       Ihr Söhne aller deutschen Stämme, hört!

       Haltet des Deutschen Reiches heil’gen Bund!

       Begraben sei die alte deutsche Schande,

       Seid einig im geeinten Vaterlande! 25

      Schirach senior blieb auch nach seiner Entlassung als Generalintendant des ehemals Großherzoglichen Hoftheaters im Jänner 1919 ein wichtiger Akteur im Weimarer Kunstverein sowie im Ausschuss und im Vorstand der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft.26 Wie andere Adelige und Großbürger gehörte er zu der von der Weimarer Republik und auch von der provisorischen Landesregierung des Freistaates Sachsen-Weimar-Eisenach enttäuschten Schicht selbsternannter Bildungsbürger, die bereits vor und im Ersten Weltkrieg konservativ-antidemokratische und nationalistische Ideen propagierten und die Moderne im Kunst- und Kulturbereich ablehnten und aggressiv bekämpften. So sind in weiterer Folge im April 1927 erste konkrete Beschlüsse auf Carl von Schirachs Initiative im Geschäftsführenden Ausschuss sowie im Vorstand der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft zurückzuführen, die das Verbot von politisch unliebsamen Theateraufführungen forderten.27 Eine wichtige Bühne der kulturpolitischen Tätigkeit war sein Vorsitz im Weimarer Kunstverein, dem überdies auch der schon erwähnte Germanist Hans Severus Ziegler angehörte, der mit seiner Zeitung Der Nationalsozialist eifrig die eigene Karriere förderte.28 Doch letztlich krachte es ziemlich – wohl aus persönlichen Gründen – zwischen Schirach senior und Ziegler: »Leider kann ich nun wegen der leidigen Partei-Rücksichten dem Dr. Ziegler nicht so beikommen, wie ich möchte. Denn erstens müßte man ihn eigentlich vor einen Ehrenrat zitieren und aus dem Künstlerverein werfen.«29 Ziegler sah sich als »ältesten Parteigenossen unter allen führenden Theatermenschen«.30

      Carl von Schirach vertrat aber durchaus dieselbe »völkische« Linie wie Ziegler. So lehnte er im Mai 1929 die Einladung, Mitglied des neuen Franz-Liszt-Bundes zu werden, brüsk ab: »Aus grundsätzlichen Erwägungen möchte ich außer der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft nur dem ›Kampfbund für deutsche Kultur‹, zu dessen Vorstand ich gehöre, als Mitglied zugezählt werden.