monotheistischen Religionen ihrer eigenen Logik nur zum Teil gefolgt. Das Judentum reservierte dem von Gott erwählten Volk einen besonderen Platz und stand der Proselytenmacherei eher distanziert gegenüber. Christentum und Islam öffneten die Schranken, die den Eintritt in die Gruppe der Erwählten versperrten, und schlugen, indem sie Andersgläubige zu bekehren suchten, de facto eine andere Richtung ein. Doch verlangten sowohl Christentum als auch Islam für den vollständigen Zugang zum Reich Gottes normalerweise ein Treuebekenntnis (Erwachsene, die den neuen Glauben annahmen, unterzogen sich einem Bekehrungsritual). Das moderne aufklärerische Denken, so wird gesagt, führte diese monotheistische Logik einfach noch einen Schritt weiter, indem es die moralische Gleichheit und die Menschenrechte aus der menschlichen Natur selbst ableitete, aus einer Eigenschaft also, die uns allen angeboren ist und aus der sich ergibt, dass unsere Rechte als Ansprüche, nicht aber als Privilegien aufgefasst werden.
Dieser ideengeschichtliche Ansatz ist durchaus nicht falsch. Das späte achtzehnte Jahrhundert hat uns einige bedeutsame Dokumente politischmoralischen Inhalts hinterlassen, in denen diese aufklärerische Ideologie ihren Niederschlag findet und die in der Folge großer politischer Umwälzungen (wie der Französischen Revolution und der Entkolonialisierung beider Amerika) vielerorts Glaubwürdigkeit genossen und Anhängerschaft gewannen. Darüber hinaus können wir auch die ideologische Geschichte vorantreiben. Diese ideologischen Dokumente des achtzehnten Jahrhunderts waren durch viele faktische Auslassungen gekennzeichnet, wobei am augenfälligsten ist, dass die nicht Weißen und die Frauen keine Erwähnung finden. Doch mit der Zeit sind diese und andere Auslassungen berichtigt worden, indem man diesen Gruppen explizit einen Platz in der universalistischen Lehre einräumte. Heute legen selbst solche sozialen Bewegungen, deren Daseinsgrund in der Durchsetzung rassistischer oder sexistischer Politik liegt, ein Lippenbekenntnis zur universalistischen Ideologie ab, wobei sie sich anscheinend schämen, ihre Vorstellungen und Gedanken über Prioritäten in der Politik vor aller Öffentlichkeit zu verkünden. Es ist von daher nicht weiter schwierig, aus der Ideengeschichte eine Art ansteigender Zeitkurve abzuleiten, an der sich die Übernahme der universalistischen Lehre ablesen lässt. Und diese Kurve kann zugleich als Grundlage dienen, um die Existenz eines unvermeidlich sich vollziehenden welthistorischen Prozesses zu behaupten.
Da aber der Universalismus nur in der modernen Welt als politische Lehre ernsthaft vertreten worden ist, lässt sich auch die Behauptung nicht von der Hand weisen, dass seine Ursprünge in den bestimmten sozioökonomischen Rahmenbedingungen eben dieser Welt zu suchen seien. Das System der kapitalistischen Weltwirtschaft beruht auf der endlosen Akkumulation von Kapital. Einer der hauptsächlichen Mechanismen, die diese Akkumulation ermöglichen, ist die Verwandlung aller Dinge in Waren. Diese Waren fließen in der Form von Gütern, Kapital und Arbeitskraft auf den Weltmarkt. Je ungehemmter dieser Strom fließt, desto umfassender ist vermutlich der Warencharakter aller Dinge. Folgerichtig sollte alles, was diesen Strom hemmt, was Güter, Kapital oder Arbeitskraft daran hindert, in vermarktbare Waren sich zu verwandeln, zumindest hypothetisch beseitigt werden. Alle Kriterien, mit deren Hilfe Güter, Kapital oder Arbeitskraft auf andere Weise als zu ihrem Marktwert bestimmt werden, tragen in dem Maße, in dem sie den Vorrang erhalten, dazu bei, dass das jeweils betreffende Objekt weniger oder gar nicht vermarktbar wird. Dergestalt gelten, aufgrund einer Art von zwingender Logik, alle möglichen Partikularitäten als mit der Funktionsweise eines kapitalistischen Systems unvereinbar, oder doch zumindest als Hindernis für die Optimierung dieser Funktionsweise. Daraus würde folgen, dass es innerhalb eines kapitalistischen Systems zwingend notwendig ist, sich einer universalistischen Ideologie zu bedienen, die ein wesentliches Element der endlosen Akkumulation von Kapital darstellt. So sprechen wir denn auch von den kapitalistisch determinierten gesellschaftlichen Verhältnissen als einem »universellen Lösungsmittel«, das darauf abzielt, alles auf eine homogene Warenform, die durch den einheitlichen Maßstab des Geldes bezeichnet wird, zu reduzieren.
Der Behauptung nach ergeben sich daraus zwei grundsätzliche Konsequenzen. Zum einen soll die Homogenität der Warenform die größtmögliche Effizienz der Güterproduktion gewährleisten. Das gilt insbesondere für die Arbeitskraft: Wenn wir (wie es seit der Französischen Revolution heißt) »freie Bahn dem Tüchtigen« gewähren, dann können wir Kompetenz und Beruf in der weltweiten Arbeitsteilung in höchst vorteilhaften Einklang miteinander bringen. Und wir haben ja tatsächlich institutionelle Mechanismen entwickelt – das öffentliche Schulsystem, den Staatsdienst, Regeln zur Verhinderung der »Vetternwirtschaft« – die zur Errichtung dessen dienen, was wir heute ein »meritokratisches« System oder eine »Leistungsgesellschaft« nennen.
Des Weiteren soll diese Leistungsgesellschaft nicht nur die wirtschaftliche Effizienz, sondern auch die politische Stabilität sichern. Sicher gibt es, wie in früheren Systemen, auch im historischen Kapitalismus Ungleichheiten hinsichtlich des Entgelts für geleistete Arbeit. Doch wird die Missgunst der einkommensschwächeren gegenüber den vermögenderen Schichten geringer sein, weil, so lautet das Argument, diese Differenzen auf der Grundlage von Leistung und Verdienst gerechtfertigt werden, und nicht unter Berufung auf die Tradition. Man denkt, mit anderen Worten, dass ein durch Leistung erworbenes Privileg für die meisten Menschen moralisch und politisch akzeptabler sei als ein vererbtes Vorrecht.
Das ist zweifelhafte politische Soziologie. Tatsächlich liegt die Wahrheit gerade im Gegenteil. Die Unterdrückten konnten sich lange Zeit mit der Existenz vererbter Privilegien abfinden, weil sie einem mystischen oder fatalistischen Glauben an eine ewige Ordnung anhingen, der ihnen zumindest den Komfort sicherer Überzeugungen bot. Wenn aber jemand Vorrechte genießt, weil er möglicherweise gewitzter, sicherlich aber besser ausgebildet ist als andere, so ist das viel schwerer zu verkraften, außer für diejenigen, welche ohnehin auf dem Karrieretrip sind. Yuppies werden allerhöchstens von ihresgleichen bewundert oder geliebt. Fürsten können unter Umständen als freundliche Vaterfiguren erscheinen; dagegen ist ein Yuppie nichts als ein überprivilegiertes Geschwisterkind. In politischer Hinsicht ist die Leistungsgesellschaft eines der instabilsten Systeme, und genau aus diesem Grunde können Sexismus und Rassismus auf der Bildfläche erscheinen.
Lange Zeit ging man davon aus, dass die ansteigende Kurve der universalistischen Ideologie theoretisch mit einer abfallenden Kurve zusammenhängt, die den Grad der durch Rasse oder soziales Geschlecht erzeugten (faktischen und ideologischen) Ungleichheit anzeigt. Das wird durch die Erfahrung jedoch nicht bestätigt. Man könnte sogar entgegengesetzt argumentieren und behaupten, dass die Kurve der durch Rasse und soziales Geschlecht determinierten Ungleichheiten in der modernen Welt angestiegen oder zumindest nicht abgefallen ist. Für die faktische Ebene trifft das ganz sicher zu, möglicherweise aber auch für die ideologische Ebene. Um zu erkennen, warum das so ist, sollten wir einen Blick auf das werfen, was die Ideologien des Rassismus und des Sexismus tatsächlich behaupten.
Man kann Angehörige einer anderen Gruppe, die durch genetische Merkmale (wie etwa Hautfarbe) oder soziale Kriterien (religiöse Zugehörigkeit, kulturelle Prägung, Sprachformen) gekennzeichnet ist, verachten oder sich vor ihnen fürchten. Doch ist der Rassismus, obwohl er solche Haltungen einschließt, sehr viel mehr als das. Im Verhältnis zu dem, was die Praxis des Rassismus in der kapitalistischen Weltwirtschaft definiert, sind Furcht und Verachtung lediglich Sekundärerscheinungen. Tatsächlich ließe sich sogar behaupten, dass diese durch Fremdenfeindlichkeit (Xenophobie) bestimmten Haltungen einen Aspekt des Rassismus darstellen, der in sich einen Widerspruch enthält.
In allen dem Kapitalismus vorangegangenen historischen Systemen hatte die Xenophobie in erster Linie ein bestimmtes Verhalten zur Folge: den physischen Ausschluss des »Barbaren« aus der jeweiligen Gemeinschaft, Gesellschaft oder In-group – wobei der Tod die extremste Form dieser Ausschließung darstellte. Wann immer wir den anderen physisch ausschließen, erlangen wir die »Reinheit« der sozialen Umgebung, die wir vermutlich erstreben, gleichzeitig jedoch verlieren wir unwiderruflich etwas anderes. Wir verlieren die Arbeitskraft der ausgeschlossenen Person, und damit ihren Beitrag zur Schöpfung eines Mehrwerts, den wir uns auf einer geregelten Grundlage aneignen können. Das stellt für jedes historische System einen Verlust dar, als besonders ernst erweist er sich jedoch dann, wenn die ganze strukturelle Logik des Systems auf der endlosen Kapitalakkumulation beruht.
Ein expandierendes kapitalistisches System (und es expandiert während der Hälfte der Zeit) benötigt die gesamte Arbeitskraft, die es finden kann, weil nur sie die Güter hervorbringt, mittels