in einer popularisierten Fassung, in einer volkstümlichen Publikation mit sehr großer Auflage unter die Leute gebracht worden ist: G. Faye (Hg.), »Dossier choc: Immigrés: Demain la haine«, J’ai tout compris. Nr. 3, Juni 1987.
7 Ruth Benedict hat dies u. a. bei H. S. Chamberlain bemerkt: »Allerdings unterschied Chamberlain die Semiten nicht anhand von physischen Zügen oder anhand ihrer Abstammung: wie er wusste, ist es nicht möglich, im modernen Europa die Juden vom Rest der Bevölkerung durch tabellarische anthropometrische Messungen zu unterscheiden. Aber sie waren für ihn Feinde, weil sie eine besondere Art des Denkens und Handelns hatten. ›Man kann ganz rasch zum Juden werden …‹ usw.« (R. Benedict, Race and Racism, London/New York, Routledge and Kegan Paul, 1983, S. 132f.) In ihren Augen ist dies sowohl ein Zeichen für den »Freimut« Chamberlains als auch sein innerer »Widerspruch«. Dieser Widerspruch ist zur Regel geworden, ohne dass es in Wirklichkeit eine solche Regel gäbe. Bekanntlich ist im Antisemitismus das Thema der Minderwertigkeit des Juden sehr viel weniger wichtig als das der unaufhebbaren Andersartigkeit. Das geht sogar so weit, dass man sich über die intellektuelle, kaufmännische »Überlegenheit« der Juden beklagt, die sie so »gefährlich« mache. Das Nazi-Unternehmen offenbarte sich häufiger als Unternehmen zur Reduktion der Juden auf den Status von »Untermenschen«, als dass es sich als Konsequenz eines tatsächlich vorhandenen »Untermenschentums« darstellte: deshalb konnten Juden nicht zu Sklaven gemacht, sie mussten vernichtet werden.
8 Vgl. weiter unten meinen Beitrag »Rassismus und Nationalismus«. (Auch im Deutschen wechselt der Begriff der Kultur – was auch seine künstliche Entgegensetzung zur »Zivilisation« ermöglicht hat – zwischen einer deskriptiven (»die Kultur der Minoer«) und einer bewertenden (»ein Mann von Kultur«) Bedeutung. A. d. Ü.)
9 Im Original deutsch (A. d. Ü.).
10 Im Original deutsch (A. d. Ü.).
11 Offenbar muss man die Schärfe der »Rassenkonflikte« und der Ressentiments gegenüber der Anwesenheit von Immigranten in der Schule sehr viel eher auf diese Subsumtion der »soziologischen« Differenz der Kulturen unter die institutionalisierte Hierarchie der Kultur als der entscheidenden Instanz für die soziale Kategorisierung und deren Naturalisierung zurückführen als auf den Effekt einer bloßen Nachbarschaft. Vgl. S. Boulot, D. Boyson-Fradet, »L’échec scolaire des enfants de travailleurs immigrés«, in: L’Immigration maghrébine en France, Sondernummer, Les Temps modernes, 1984.
12 Vgl. M. Barker, The New Racism, a.a.O.
13 Michel Foucault, La Volonté de savoir, Gallimard, 1976 (dt. Ausg.: Sexualität und Wahrheit. Der Wille zum Wissen, Frankfurt/M., Suhrkamp, 1979).
Nachbemerkung: Erst nach Abfassung dieser Untersuchung ist mir das Buch von Pierre-André Taguieff (La Force du préjugé. Essai sur le racisme et ses doubles, Editions La Découverte, 1988) zugänglich geworden, in dem er die Analyse, auf die ich mich oben bezogen habe, beträchtlich weiterentwickelt, vervollständigt und zugleich in ihrem Resultat verschiebt. Ich hoffe, dieses Buch demnächst so diskutieren zu können, wie es dies verdient.
* Dieser Beitrag erschien unter dem Titel »Gibt es einen ›neuen Rassismus‹?« erstmals in Das Argument 175 (Mai/Juni 1989). Die Übersetzung stammt von Frieder Otto Wolf. Sie wurde für diesen Band geringfügig überarbeitet.
Kapitel 2
Ideologische Spannungsverhältnisse im Kapitalismus: Universalismus vs. Sexismus und Rassismus
Immanuel Wallerstein
Lange Zeit hat man uns glauben machen wollen, dass die moderne Welt als erste die Grenzen der engen, regional fixierten Bindungen aufgesprengt und die allumfassende Verbrüderung der Menschen verkündet habe. Spätestens seit den siebziger Jahren aber ist uns bewusst geworden, dass schon die Terminologie des Universalismus, die in Sätzen wie Alle Menschen werden Brüder ihren Ausdruck findet, sich selbst Lügen straft, denn dieser Satz zielt nur auf das männliche Geschlecht und schließt somit implizit alle Frauen aus oder verbannt sie in einen untergeordneten Bereich. Es dürfte nicht schwer fallen, die Zahl solcher sprachlichen Beispiele zu vermehren, in denen eine unterschwellige Spannung zwischen der fortwährenden ideologischen Legitimation des Universalismus in der modernen Welt und der fortwährenden (sowohl materiellen als auch ideologischen) Wirklichkeit rassistischer und sexistischer Strukturen in ebendieser Welt zu Tage tritt. Diese Spannung, oder, genauer gesagt, diesen Widerspruch will ich hier diskutieren. Denn Widersprüche sind nicht nur konstitutiv für die Dynamik historischer Systeme, sie enthüllen auch deren wesentliche Charakterzüge.
Nach dem Ursprung und dem Verbreitungsgrad der universalistischen Lehre oder nach dem Grund für die Dauer und Fortdauer von Rassismus und Sexismus zu fragen, ist eine Sache. Eine andere ist es, der ursprünglichen Vereinigung der beiden Ideologien nachzuforschen, also dem, was man als symbiotische Beziehung dieser mutmaßlichen Gegensätze bezeichnen könnte. Wir stellen ein offensichtliches Paradoxon an den Anfang. Rassismus und Sexismus sind in der Hauptsache durch universalistische Vorstellungen in Frage gestellt worden, und der Universalismus ist vor allem durch rassistische und sexistische Vorstellungen in Frage gestellt worden. Wir nehmen an, dass die Hauptträger der jeweiligen Vorstellungen gegnerischen Lagern angehören. Nur bisweilen gestatten wir uns die Einsicht, dass (um mit Pogo zu sprechen) wir selbst der Feind sind; dass die meisten von uns (wenn nicht gar alle) überhaupt kein Problem darin sehen, beide Lehren gleichzeitig zu vertreten. Das ist zweifellos beklagenswert, doch will es auch erklärt sein, und es reicht keineswegs aus, einfach auf Heuchelei zu verweisen. Denn dies Paradoxon (oder diese Heuchelei) ist zählebig, weit verbreitet, und strukturell bedingt. Es ist kein vorübergehendes menschliches Fehlverhalten.
In historischen Systemen älteren Datums war es einfacher, mit sich selbst im Einklang zu sein. Wie sehr sich diese Systeme auch im Hinblick auf ihre Strukturen und Voraussetzungen voneinander unterschieden, so hatten sie alle doch keine Bedenken, bestimmte politisch-moralische Kriterien der Zugehörigkeit bzw. Nicht-Zugehörigkeit zum jeweiligen System aufzustellen. Dabei gewannen der Glaube an die moralische Höherwertigkeit der je eigenen Gruppe und das Gefühl gegenseitiger Verpflichtung innerhalb dieser Gruppe den Vorrang vor irgendwelchen abstrakten Begriffen, die sich auf die menschliche Gattung insgesamt bezogen – falls solche Abstraktionen überhaupt existierten. Sogar die drei monotheistischen Weltreligionen – Judentum, Christentum und Islam – unterschieden auf diese Weise zwischen Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit, obwohl sie theoretisch einem einzigen Gott verpflichtet waren, der der gesamten Menschheit sein Gesetz gab.
Dieser Aufsatz beschäftigt sich zunächst mit den Ursprüngen moderner universalistischer Lehren, untersucht dann die Quellen des modernen Sexismus und Rassismus und wendet sich schließlich der Wirklichkeit zu, die mit der Verbindung der beiden Ideologien (des Universalismus und des Sexismus/Rassismus) vermacht ist, wobei es gleichermaßen um die Entstehung wie auch die Konsequenzen dieser Verbindung geht.
Es gibt in der Hauptsache zwei Erklärungsweisen für die Entstehung des Universalismus als einer unser gegenwärtiges historisches System kennzeichnenden Ideologie. Man kann den Universalismus zum einen als Kulminationsform einer älteren geistigen Tradition, zum anderen als eine der kapitalistischen Weltwirtschaft besonders angemessene Ideologie betrachten. Die beiden Erklärungsweisen müssen nicht im Widerspruch zueinander stehen. Das Argument, der Universalismus sei das Ergebnis oder der Höhepunkt einer langen Tradition, bezieht sich genau auf die Trias der monotheistischen Religionen. Der entscheidende moralische Schritt, so hieß es, wurde vollzogen, als die (oder einige) Menschen dem Glauben an die Stammesgötter abschworen und die Einheitlichkeit Gottes