Marge Piercy

Menschen im Krieg – Gone to Soldiers


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      Und meine Stelle ist futsch, dachte sie. »Wo gehen Sie hin, wenn ich fragen darf?«

      »Haben Sie je in Betracht gezogen, sich stärker an den Kriegsanstrengungen zu beteiligen?«

      Ich wette, er hat es geschafft, einberufen zu werden. »Ich dachte an die WAVES, an die Reservemarinehelferinnen – die Marine ist die Militärgattung meiner Familie –, aber ich sehe mich nicht salutierend herummarschieren. Ich bin zu verwöhnt für militärische Disziplin.«

      »Dennoch führen Sie Befehle aus.«

      »Das ist nicht das Gleiche, das wissen Sie.«

      Er starrte gebannt auf einen Schlepper, der ein ungefüges graues Frachtschiff flussaufwärts bugsierte. »Ich habe vor, Sie anzuwerben. Aber nicht für die WAVES.«

      Sie sah ihn scharf an. Er lächelte. »Sehen Sie nicht so schockiert drein. Das steht Ihnen nicht. Sie wissen sehr gut, dass Sie mit Geheimdienstarbeit befasst sind. Das haben Sie sich längst zusammengereimt. Jetzt trete ich offiziell OSS bei – dem Amt für Strategische Dienste. Und ich würde Sie gern mitnehmen.«

      Endlich war es auf dem Tisch. »Was ist OSS?«

      »Ein bisschen von allem. Propaganda, Geheimdienst, Spionage. Ich kenne hauptsächlich Leute von der Abteilung Recherche & Analyse.«

      »Wo würden wir hingehen?«

      »Für den Augenblick nirgendwohin außer in ein anderes Büro. Später, wer weiß? Ich möchte nicht über Einzelheiten sprechen, bevor Sie sich nicht entschieden haben. Ich werde ein kleines Projekt leiten, und ich habe carte blanche, so viele von meinen Mitarbeitern mitzubringen, wie ich will.«

      »Aber klar!«, sagte Abra. »Klar mache ich es.«

      »Sie wissen doch gar nicht, worauf Sie sich einlassen.«

      »Ach, es wird sicher interessant. Ich habe Vertrauen zu Ihnen.«

      »Sind Sie nun eigentlich mit Ihrer Doktorprüfung fertig?«

      »Nicht ganz. Ich habe alle Seminare abgeschlossen und meine mündliche Prüfung bestanden, aber meine Dissertation schreibe ich immer noch gemäß Professor Blumenthals kritischen Einwänden um.«

      »Sie werden das auf Kriegsdauer zurückstellen müssen.«

      »Ich bin sowieso nicht begeistert, sie zum vierten Mal umzuschreiben. Spielt es eine Rolle, dass ich meinen Doktortitel nicht habe?«

      »Das bezweifle ich.« Er stand auf. »Das Missliche ist, dass ich Ihnen so wenig sagen kann, bevor ich Sie dort vorstelle, und doch müssen Sie sich zuvor entscheiden. Ich hoffe, Sie machen sich keine romantischen Vorstellungen.«

      Hatte er sie im Verdacht, für ihn zu schwärmen? Vielleicht war ihre Beinschau doch ein wenig zu durchsichtig gewesen. »In welcher Hinsicht?«

      »Das ist keine Angelegenheit von Mantel-und-Degen-Intrigen, feschen Spionen und schneidigen Helden, sondern nichts als akademische Analyse. Wir werden versuchen, Sinn in die ungeheuren Informationsmengen zu bringen, und die Arbeit wird oft eher statistisch als stimulierend sein.«

      »Ich verlasse mich auf Ihr Urteil, dass sie wichtig ist. Ich denke, Sie haben Ihre politischen Prioritäten klar gesetzt, und ich hoffe, ich auch.«

      »Wir müssen einen kleinen Ausflug zu einem Büro im Rockefeller Plaza machen, der Sie ansonsten nicht weiter zu kümmern braucht. Ihre Dienstverpflichtung, die Prozedur in Gang bringen.« Er bot ihr mit seltener Ritterlichkeit den Arm, um ihr von der Bank aufzuhelfen. »Es wurde Zeit, dass man mich stärker einbindet. Die langwierigen Eintrittsformalitäten haben mich verrückt gemacht«, sagte er mit einem Aufblitzen unterdrückten Zorns. »Jetzt legen wir los.«

      Im Juli erschien Ready nach monatelanger Abwesenheit. Er war gerade zum Korvettenkapitän befördert worden und erwartete, einem Flugzeugträger zugeteilt zu werden. Am nächsten Morgen sollte er mit dem Zug nach Hause fahren.

      Ihr Lieblingsbruder sah älter aus, dachte sie, seine Haut ledrig und zerfurcht, Netze neuer Falten um die dunkelblauen Augen, sein Haar noch blonder als das ihre. Er war guter, übermütiger Stimmung. Als sie verschiedene Freundinnen vorschlug, wollte er sie alle. Nach italienischem Essen, auf das Ready immer versessen war, in einem nahe gelegenen Lokal im Village, das Abra bevorzugte, weil dort auch vor dem Krieg nie Bilder von Mussolini gehangen hatten, trafen sie sich mit Djika, Karen Sue und Karen Sues neuer Mitbewohnerin Eveline, einer Kusine zweiten Grades mütterlicherseits aus Beaufort, North Carolina, die mit einem auf einem Begleitzerstörer stationierten Fähnrich zur See verheiratet war. Karen Sue betrachtete das Teilen ihrer Wohnung als ihr äußerstes Opfer für die Kriegsanstrengungen.

      Nachdem sie sich durch ein paar Bars im Village getrunken hatten, fuhren sie hinauf zum Onyx Club und dann zum Famous Door, lauschten dem Swing und tanzten bis zwei Uhr morgens. »Sweet Georgia Brown«, sang Abra und tanzte Lindy mit ihrem Bruder. Als sie Karen Sue und Ready in dem rauchigen, schummrigen Raum auf dem überfüllten Tanzboden zu »That Old Black Magic« Wange an Wange tanzen sah, stellte sie sich plötzlich vor, wie es sich anfühlte, in jemanden verliebt zu sein und ihn in den Krieg zu verabschieden. Sich zu verlieben war etwas, das anderen Frauen passierte, niemals ihr selbst, und während sie ihre Fähigkeit, Männer zu genießen, bisher darauf zurückgeführt hatte, dass sie nicht von ihnen individuell besessen war, fragte sie sich nun, ob sie unfähig dazu war und stets vermeiden würde, was andere so leidenschaftlich zu suchen schienen.

      Eveline tanzte mit einem Leutnant, den Ready an ihren Tisch gebeten hatte. Karen Sue und Ready legten einen geschmeidigen, koketten Lindy hin. »In the Mood« war laut, die Blechbläser waren aufgestanden, um ihre Hymne zu schmettern, doch Djikas leise, schneidende Stimme neben ihr drang deutlich an ihr Ohr.

      »Wenn man dich mit diesem Bruder sieht, versteht man allmählich, worauf sich deine Abneigung gegen Männer deines Aussehens und deiner Herkunft gründet.«

      »Aber Ready ist mein Lieblingsbruder. Wir haben uns immer nahe gestanden.«

      »Eben.« Djika nickte, als hätte sie gesagt: matt in zwei Zügen. »Ihr seht euch sogar ungewöhnlich ähnlich. Als Jugendliche fandest du ihn natürlich attraktiv, deshalb suchst du dir aus Furcht vor dem lauernden Inzest Männer aus, die auf gar keinen Fall zu deiner Familie gehören könnten.«

      »Ah, die zweifelhaften Freuden von Freud«, witzelte Abra. »Beweise, dass du mit vier in deinen Vater verliebt warst, und was bringt dir das? Immer noch das gleiche Bündel gegenwärtiger Probleme. Ich hoffe sehr, dass ich den guten Geschmack hatte, Ready zu begehren und nicht meinen schauderhaft langweiligen Bruder Roger oder Vater.«

      Djika belehrte sie zum dreißigsten Mal, Freud zu missachten sei naiv, doch Abra war überzeugt, dass ihr Männergeschmack sich weit mehr aus Neugier speiste, aus Leidenschaft, aus Lebenslust, aus Erfahrungshunger denn aus dem Inzesttabu, das Djika postulierte. Zurzeit waren derlei Überlegungen ohnehin reine Theorie, da sie für mehr als eine gelegentliche Nacht mit einem alten Verehrer zu viel zu tun hatte und ihre Neugier auf Oscar Kahan nach wie vor ungesättigt blieb.

      Bei diesem Tanz war ein Funke übergesprungen, denn als Ready zum Tisch zurückkam, murmelte er Abra zu, dass er den Rest der Nacht mit Karen Sue verbringen würde. Am nächsten Tag erzählte er ihr, Karen Sue habe darauf bestanden, dass er so tat, als schliefe er auf dem Sofa, bis Eveline ins Bett gegangen war. Er hielt das für die Südstaatenart, erklärte Karen Sue ansonsten aber zu einem Rasseweib. Dann setzte Abra ihn in den Zug nach Maine.

      An jenem Mittwoch saßen Djika, Karen Sue, Eveline und Abra zusammen und teilten sich ein von Karen Sues Haushälterin zubereitetes Hühnerfrikassee, eine Bowle und eine Honigmelone. Sie hatten die Schuhe ausgezogen, die Fenster ganz hochgeschoben und zwei Ventilatoren angestellt. Stanley Beaupere war mit Frau und Kindern an den Strand von Jersey in Urlaub gefahren und ließ Djika in der Stadt schmoren.

      Die Sonne ging über New Jersey unter, und die grauen Schiffe versammelten sich auf dem Fluss. »Jeden Abend kommen sie hier zusammen«, sagte Karen Sue träumerisch. »Am Morgen sind sie alle fort. Das ist doch bestimmt irgendein Sinnbild, Schiffe, die in der Nacht verschwinden.«