machte einen Schritt. Das Gefühl verschwand. »Nur ein Schauder.«
»Hast du dich erkältet?«
»Irgendwas stimmt mit dieser Gasse nicht.«
Gwen sah sich um. »Sieht mir nach einer ganz gewöhnlichen Hinterhofgasse aus.«
»Ich weiß nicht.«
»Vielleicht hat Tante Hermione ja recht. Vielleicht bist du doch ein Medium.«
»Nein, ich bin kein Medium.«
»Ich weiß nicht, warum dich das so aufregt. Es ist doch nichts Schlimmes, medial veranlagt zu sein.«
»Ich hab auch so schon genug Probleme mit meinem Leben. Ich muss mich nicht auch noch mit den Schatten der Zukunft herumschlagen.« Stoner rannte hinter Gwen her. »Kannst du nicht ein bisschen langsamer gehen?«
Gwen wartete auf sie. »Was machen wir als Erstes?«
»Schattenhain unter die Lupe nehmen, oder?«
»In Ordnung, und dann fahren wir die Halbinsel rauf und suchen uns ein Restaurant. Irgendwo zwischen hier und Damariscotta muss es ein Mittagessen für uns geben.«
»Wir wollen es hoffen. Damariscotta selbst sah nicht sehr vielversprechend aus.«
»Ich glaube, ich hab auf der Eins eine Fernfahrerkneipe gesehen.«
»Es kann natürlich sein«, sagte Stoner beiläufig, »dass du lieber in die Seegurke willst, Herzchen.«
»Und warum sollte ich lieber in die Seegurke wollen?«
Stoner zuckte die Achseln. »Ich dachte, es gefällt dir. Und da ist doch auch noch der Rest von der hausgemachten Hühnersuppe.«
»Ich mag keine hausgemachte Hühnersuppe.«
»Vielleicht Kabeljaukroketten?«
»Auch keine Kabeljaukroketten.«
»Und was ist mit der sandigsten Hummersuppe nördlich von Kennebunk?«
»Stoner …«
»Oder lieber die Köchin?«
»Ich will kein Wort mehr darüber hören«, Gwen hob die Stimme. »Hast du mich verstanden? Kein Wort mehr!«
»Klar, kein Wort mehr.«
»Und wehe, du nennst mich noch mal ›Herzchen‹.«
»Kein Herzchen.«
»Und keine Anspielungen auf Blaubeermarmelade.«
»Nix Blaubeer.«
»Verarsch mich nicht.«
Stoner grinste. »Du lieber Himmel, hast du denn noch nie für jemanden geschwärmt?«
»Nicht mehr, seit ich zwölf war.«
»Dann wird’s aber höchste Zeit.«
»Ich bin eine erwachsene Frau, Stoner!«
»Na und?«
»Das ist doch kein vernünftiges Verhalten.«
»Also, dazu kann ich nichts sagen«, meinte Stoner, »aber ich find’s völlig in Ordnung.«
Gwen stapfte davon. »Ich will nicht darüber reden.«
»Nun werd nicht sauer auf mich«, rief Stoner hinter ihr her. »Ich kann nichts dafür.«
»Ich bin nicht sauer, ich bin verlegen.«
»Und ich bin deine Freundin, erinnerst du dich?«
Gwen blieb stehen. »Tut mir leid. Ich bin so durcheinander.«
»Glaub mir, du musst dir nichts daraus machen.« Sie strich Gwen eine Haarsträhne aus den Augen. »Ich bin eine Fachfrau auf diesem Gebiet.«
Ein Stück Papier knisterte im Gully. Der Wind heulte um sie herum und Kälte kroch unter ihren Mantel, aber Stoner fühlte in sich eine Wärme, die genügte, um Gwen mit zu wärmen, und die Möwen, und die Schneehaufen, und das ganze liebe, gruselige Castleton.
»Ich war in ihrer Wohnung«, gestand Gwen.
»Wie war’s?«
»Bücher und Pflanzen und Kerzen.«
»Und Aphrodite.«
»Da waren auch ein paar Fotos, aber ich hab sie mir nicht näher angesehen.«
»Wie ehrenhaft.«
»Die Zeit reichte nicht.« Auf Gwens Stirn erschien eine kleine Falte. »Meinst du, dass sie ihren Mann wirklich getötet haben?«
»Sie glaubt es jedenfalls.«
»Ich frage mich, wieso.«
»Das werden wir hoffentlich heute Abend erfahren. Meinst du, du kommst klar?«
»Lass mich einfach nicht aus den Augen.«
Niemals.
Sie standen vor der Stadtbücherei, einer kleinen weißen Streichholzschachtel von einem Haus, mit abblätternder Farbe und einem Hof, der völlig überwuchert war von Rosen, die jetzt Winterschlaf hielten.
»Ich frage mich«, meinte Gwen, »ob wir da drin nicht etwas herausfinden könnten.«
»Was denn zum Beispiel?«
»Einfach … irgendwas.« Sie starrte das Gebäude sehnsüchtig an.
Stoner lachte. »Ich glaube, du bist süchtig nach Büchereien.«
»Ich fürchte, das stimmt.«
»Dann lass uns Schattenhain hinter uns bringen und den Nachmittag hier verbringen. Der Teufel soll Damariscotta holen.«
»Nach allem, was wir wissen«, sagte Gwen, »hat der Teufel Damariscotta längst geholt.«
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