Wolfgang Fritz Haug

Jahrhundertwende


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dieser Schuld zur Bedingung für den Abzug gemacht haben. 2) Die US-Botschafterin in Bagdad, April Glaspie, hatte am 25. Juli zu dem Streit gesagt: »Unsere Seite hat keine Meinung zu innerarabischen Konflikten.« Am 31. Juli hat Jon Kelly, Nahostexperte im Außenministerium, vor dem auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses erklärt, die USA seien im Falle eines irakischen Angriffs auf Kuwait vertraglich nicht zum Eingreifen verpflichtet.« 3) Schon am 3.8., also lange vor der UNO-Resolution, scheinen die Kriegsziele im Weißen Haus festgelegt gewesen zu sein. 4) König Fahd von Saudi-Arabien hat die USA nicht ins Land gerufen, sondern der Aufmarsch wurde nach einem unter Carter für einen Ost-West-Konflikt ausgearbeiteten Plan begonnen. 5) Angesichts dessen »ruft« Fahd die USA um Hilfe, und in einem Geheimprotokoll werden für die Nachkriegszeit US-Stützpunkte in Bahrein und Kuwait vorgesehen. 6) Alle Vermittlungsversuche, der OAU, Frankreichs, der Sowjetunion, werden durch Druck entmutigt und ihre Vertreter auf Kriegslinie gebracht. 7) Das Ganze mündet in die Frage: »Diktierten Ungeduld und Unkenntnis oder aber Arglist und Aggressivität die Haltung der Amerikaner?«

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      »Der reale Krieg geht um die Vormacht im Islam« (Oliver Fahrni im »Freitag« vom 1.2.). Beschleunigt den Umbruch in den arabischen Ländern. Massenhafte Absage an die westliche »Modernisierung« aus Hoffnungslosigkeit. Von den Ölscheichs in den achtziger Jahren finanziert, zwecks »Re-Islamisierung ihrer Gesellschaften von unten«, um der iranischen Gefahr einen Riegel vorzuschieben. Daher seien die islamischen Intellektuellen so sprachlos (das verstehe ich gut; sie sind wie wir in Widersprüchen gefangen). Fahrni zitiert den Marokkaner Zaki Laídi: im Kern eine »Mobilisierung der Frustrationen«. »Die schnelle Entwicklung der elektronischen Medien habe den Armen der Welt die Illusion einer anderen Lebensweise vermittelt, ohne ihnen den Zugang dazu zu erlauben.« – Das erinnert mich an meine Thesen zur Auswirkung der Warenästhetik, bloß dass ich damals nicht den Nord-Süd-Gegensatz im Auge hatte. Ich müsste nachsehen, was ich als Vorwort zur nie erschienenen argentinischen Ausgabe der Kritik der Warenästhetik geschrieben habe. – Also: Premiere oder erst Generalprobe auf kommende Nord-Süd-Kriege?

      Krippendorff sieht die eigentliche (aber vorerst blockierte) Lösung hinter den hilflosen Friedensdemonstrationen: »Regierungsgegner aller Völker, vereinigt euch!«

      »Königsmechanismus«: eine Anordnung der Interessenwidersprüche derart, dass ihre Austragung die Zentralmacht reproduziert.

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      Rückblick auf die atemberaubende Utopie des Neuen Denkens (1985– 1990). – Michael Brie (»Zur Herrschaft verdammt? Experimentierfelder für eine neue Weltordnung«, in: Freitag, 1.2.) analysiert, wie die durch die Perestrojka neu aufgeworfene deutsche Frage »die realen Machtstrukturen, das tatsächliche Kräfteverhältnis und die bewussten oder auch instinktiven Strategien der Hauptkräfte der Gegenwart offenbarte«. Er konfiguriert die politischen Alternativen, wodurch unterm Strich bestürzend deutlich wird, dass die hoffnungsvoll aufgebrochenen Völker von den westlichen Interessen zu Vehikeln gemacht wurden. Die deutsche »Vereinigung« wurde zur Generalprobe für die Herstellung einer Neuen Weltordnung des transnationalen Kapitalismus »westlicher« Provenienz.

      Das weltpolitische Machtvakuum, das der Kalte Krieg hinterlassen hatte, wurde »geradezu blitzartig« gefüllt: 1. Stellvertretende Niedermachung des »die Supermächte nachäffenden Zöglings«. – 2. Ökonomischpolitische Erpressung von SU und China. – 3. EG und Japan akzeptieren (und finanzieren partiell) die führende Rolle der USA bei der Herstellung jener korporativen Weltherrschaft des trilateralen »Westens«. Das erlaubt den USA, den Verlust der ökonomischen Hegemonie durch militärische Hegemonie zu kompensieren. – 4. Krieg als Fernsehspiel und Ausblendung (Zensur) von Informationen (aber die Opferbilder werden folgen). – 5. »Die linken und liberalen Intellektuellen aber finden gegenwärtig nur zu ohnmächtigem Protest, hilflosem Räsonnement oder machtpolitischem Scheinrealismus.«

      Paradoxer Erfolg: Die »Politik einer Perestrojka für die Sowjetunion und die ganze Welt war erfolgreich bei der Auflösung einer Supermacht und damit der alten internationalen politischen Sicherheitsstrukturen sowie beim Zerfall des Staatssozialismus zumindest in Osteuropa. Sie scheiterte vor den Aufgaben des Aufbaus einer neuen internationalen wie auch inneren demokratischen soziopolitischen Ordnung in der UdSSR.« Den Schlüssel zu diesem Paradox sieht Brie in den Machtstrukturen und der Lebensweise der drei kapitalistischen Weltmachtzentren (mit ihrer »ungeheuren und faszinierenden Dynamik«), wo Massen (80 Prozent) und Eliten darin übereinstimmen (»ein stabiles und kaum wirklich zu erschütterndes Bündnis«, derselbe Block, der den Anschluss der DDR durchsetzte), entsprechende Selbstveränderung abzulehnen. »Eine wirkliche Perestrojka könnte nur von ihnen ausgehen, oder sie muss scheitern.« Als Folge hiervon sei die UNO von den USA instrumentalisiert, »neues Wettrüsten unvermeidlich und jede Alternative vorerst zerschlagen«.

      MB zitiert Hondrich, der im »Spiegel« der Vorwoche die »pax americana et europea« (Japan vergessend) damit als notwendig begründet hat, dass die »weniger zivilisierten Länder« noch nicht den Krieg zu verurteilen gelernt hätten. Der Westen sei »zur Dominanz verurteilt«. Brie ergänzt: »Wer Dominanz sagt, spricht verschämt von Herrschaft.« Daher gewaltsame Entwaffnung. Hobbes redivivus, äußerlich erzwungene Zivilität, allenfalls Vorstufe »wirklicher Zivilisation«. Deren Merkmal wäre »selbstbewusste, freie, demokratisch erstreitbare Fähigkeit zur Selbstbeschränkung, Interessenabwägung und zur eigenen Neubesinnung.« Gemessen daran stecken wir noch in der Barbarei. Einer »pluralen Weltordnung« steht vor allem westliche Lernunfähigkeit im Wege. Von dieser haben die Eliten der Dritten Welt gelernt, sie ahmen nach, und für den Westen ist gerade diese »nachmachende Entwicklung« bedrohlich geworden. »Für kurze Zeit schien uns 1989 Geschichte wieder möglich. Aber die Chancen wurden zerstört. Die Zukunft wurde vernichtet […]. Die Apokalypse ist unausweichlich geworden.« – Undialektisch.

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      Glück. – Gesundheit, Erfolg in sinnvoller Arbeit, Liebesglück. Prekär im allgemeinen Unglück. Keineswegs das Substanzielle, wovon Adorno so merkwürdig spricht.

      Systemisch vorgesehen: Plastikeuphorie, Masturbation und Schnaps bei Pay-TV im Hotelzimmer.

      13. Februar 1991

      Der nächste hat sich verabschiedet: Uwe Rauhöft aus Potsdam, der mit einer ideologietheoretischen Arbeit hängengelassen worden ist und einen westlichen Betreuer suchte (seine Betreuerin – Helga Marx, zusammen mit Wolfgang Jonas und Valentine Linsbauer Autorin der Produktivkräfte in der Geschichte von 1969 – war »abgewickelt« worden). Rauhöft gibt »die Philosophie« auf und wählt zunächst ein Babyjahr, um sich später wieder seinem ursprünglichen Beruf eines Mathematiklehrers zuzuwenden.

      Für die Zürcher Wochenzeitung einen kleinen Kommentar zu Biermann und Enzensberger geschrieben. Nichts ist weiter weg als die Zeit der Hoffnungen von vor einem Jahr.

      14. Februar 1991

      Hörte am Radio Biedenkopf die Durchkapitalisierung der ehemaligen DDR mit der »ersten Mondreise der Amerikaner« vergleichen. Die Leute dort über die Maßen unzufrieden und enttäuscht. Aber sie wenden sich keineswegs der PDS zu, die sich ihnen als Interessenvertretung anbietet.

      15. Februar 1991

      Gorbatschow soll »Diktatur des Gesetzes« ankündigen: der Rechtsstaat wird aufgezwungen.

      Vom Krieg nun Totenbilder: als zwei Raketen die, wie es heißt, 2 Meter dicken Wände eines Luftschutzbunkers in Bagdad durchschlagen hatten, war auch der von beiden kriegführenden Seiten errichtete Schleier vor den Ziviltoten zerrissen. Die Welt bekam Hunderte von verbrannten Frauen und Kindern zu sehen. Die Journalisten suchten vergeblich nach Spuren des Befehlsbunkers, von dem die USA weiterhin behaupten, dass er in jenem Bunker gewesen sei. Es scheint, sie haben mehr Waffen als Ziele.

      16. Februar 1991

      Mária Huber beschreibt in der ZEIT vom 1.2., was mir auch der Student aus Leningrad gesagt hat: Die partielle Währungsreform in der Sowjetunion machte fast nur Ärger, schadete den