und ein herrlicher, tiefer, dumpfer Klang die Luft zum Vibrieren brachte.
Plötzlich ertönte auch bei ihnen das Dröhnen und Afal, in seinem reinweißen Druidengewand, das Horn an den Lippen, hob die Hand und schwenkte sie weit ausholend zum Gruß. Sämtliche Kinder, Mütter und alte Leute jauchzten auf und rannten los, rannten, sprangen, hüpften, schritten dem Tross entgegen, der sich schwerfällig um die Biegung wand.
Beim Anblick der heranpreschenden Meute aus stampfenden Füßen, aufgerissenen Mündern und fuchtelnden Armen kam der Wagenzug ins Stocken.
Nun brachen auch die Heimkehrenden in Jubelgeschrei aus, sprangen von den Ochsenkarren und stürmten den langen Tross entlang, eilten den Daheimgebliebenen entgegen. Manch einer entwickelte auch ohne Pferd eine so extrem schnelle Gangart, dass die Krieger ihre tänzelnden Pferde zügeln mussten, damit niemand zu Schaden kam. Umsichtig warteten sie daher auf ihre Kameraden in den Streitwagen, die nur langsam über den bebenden Boden rumpelten, weil sie nicht an ein paar humpelnden Männern vorbei kamen, die wuchtig ihre Gehstöcke schwangen. Die Insassen der Streitwagen stiegen jedoch einfach heraus und huschten wie der Wind an den Hindernissen vorbei. Johlend sprangen auch die anderen Krieger von ihren Pferden und mischten sich ins Gedränge.
König Gort blieb auf seinem Hengst sitzen und stieß die ganze Zeit ins Horn; am anderen Ende der Straße tat es Afal, sein oberster Druide, ihm gleich.
Der mächtige Hörnerklang und Jubel von zwei Seiten schwoll zu einem einzigen, vielstimmigen Triumphgetöse, auf dessen Höhepunkt sich die Menschen beider Seiten mit Wucht vermischten wie zwei Flüsse, die ineinander brausten.
Sofort ebbte der Strom ab und jeder versuchte, so schnell wie möglich seine Lieben in die Arme zu schließen. Namen wurden gerufen, Leiber schoben sich gegeneinander vorbei, prallten zusammen, pressten sich aneinander, umarmten sich … Kleine Kinder wurden hochgehoben, jauchzten gemeinsam mit ihren Eltern, Brüdern, Schwestern, Großeltern. Die Freudenschreie triumphierten über die besorgten Rufe wegen der Verletzungen. Tränen tropften aus glücklichen Augen.
Aber es gab auch einige in dieser mächtig wogenden Menschenmenge, die still dastanden und unförmige Lederbeutel an ihr Herz pressten. Auch sie wurden umarmt, gedrückt, gestreichelt, geküsst und getröstet, doch bedächtig traten sie aus dem Freudentaumel heraus, stellten sich abseits unter die Bäume.
Voll Wehmut schauten sie auf die kläglichen Reste ihrer Angehörigen herab und betrachteten die, die lebend heimgekommen waren, mit einem suchenden Blick, als müssten ihre Leute doch unter ihnen sein – irgendwo, sie sahen sie in dem Gewühl nur nicht.
Erst als ihr oberster Druide, Afal, erneut in sein Horn blies, wurde ihnen endgültig bewusst, dass niemand mehr kommen würde, den sie vielleicht doch noch in die Arme schließen könnten.
Genau wie alle anderen fielen auch sie auf die Knie und pressten ihre Stirn gegen die Erde, während König Gort sein Trinkhorn hob und Mutter Erde in allen vier Himmelsrichtungen ein Trankopfer darbrachte. Und genau wie alle anderen dankten sie den Göttern für die Heimkehr ihrer Lieben. Denn heimgekehrt waren auch die Toten. Das war das Wichtigste.
Nachdem sich der gesamte Hirschclan wieder erhoben hatte, reichte Königin Elsbeth König Gort einen kleinen Laib frisches Brot und er brach ihn bedächtig entzwei. Sorgfältig streute sie Salz darüber und er reichte ihr eine Hälfte.
Während der ganzen Zeremonie hatten sie sich angesehen und auch jetzt, als sie gemeinsam aßen, schauten sie sich tief in die Augen.
Nun war es an den anderen, Brot und Salz miteinander zu teilen.
Natürlich hatten die Leute aus den Dörfern gleich mehrere kleine Brote dabei, denn alle: Kinder, Mütter, Großmütter, Großväter, Urgroßmütter und Urgroßväter brachen mit ihren heimgekehrten Familienmitgliedern das Brot. Danach standen sie zusammen und erzählten. Schlacht, Gefahren, Strategien, Verletzungen, Heimweg, Getreidefelder, Gemüsefelder, Viehzeug, Gesundheit, Wetter, Neuigkeiten …
Erwachsenengespräche. Da konnte Robin endlich zum Spielen gehen und sogar Lavinia mühelos mit sich ziehen.
Lavinia sah beim Versteck spielen immer mal zu ihren Leuten hinüber, dort war ihr nämlich etwas aufgefallen, sie kam nur nicht drauf …
Ihre ganze Familie war endlich wieder vereint: Mutter und Vater, Schwester und Brüder, Schwägerinnen, Neffe und Nichten, Gast aus Griechenland und Gast aus Äthiopien.
Gäste, ah, ja. Hatte Loranthus früher schon so alt ausgesehen? Selbst seine Sklavin, Hanibu, die sonst so gerne lachte, runzelte heute sorgenvoll die Stirn beim Anblick seiner bekümmerten Miene und den hängenden Schultern. Dabei war es nicht mal einen Mond her, als er mit ihren Leuten losgezogen war, nur um eine keltische Schlacht aus der Ferne sehen zu können.
Keltoi, so sagten die Griechen zu ihnen, was wohl so viel wie ‚die Hohen‘ bedeutete, und weil sie ihren griechischen Gast sehr gerne hatte, tat sie ihm den Gefallen und ließ ihn reden. Schließlich hatte sie dafür Verständnis, dass sich ein Auswärtiger nicht alle zweitausend oder sonst wie viele Clans sämtlicher Stämme mit Namen merken konnte, das schaffte sie ja selbst nicht. Außerdem war ‚die Hohen‘ eine sehr schöne und irgendwie treffende Beschreibung für ihre Leute, aber Keltoi hin und keltisch her – in einem Mond konnte doch kein Grieche so schnell altern!
Obwohl … Ihr Vater sah auch ganz anders aus, als sie ihn in Erinnerung hatte, genau wie ihre Brüder und ihre Schwester. Irgendwie sahen alle Heimgekehrten seltsam aus. Und die Daheimgebliebenen?
Arminius und Flora, der Schmied und die Kräuterfrau: Wann hatten ihre Eltern jemals geweint? Wann hatten sich ihre Eltern jemals so fest aneinander geklammert oder gar der Vater einen Kniefall vor der Mutter gemacht und ihren Bauch geküsst?
Conall und Noeira, der Sattler und die Holzschnitzerin: Wann hatte ihr ältester Bruder jemals vor Schmerz geschrien, als seine winzige Belisama ihm die noch winzigere Hand auf den Arm geklatscht hat?
Tarian und Taberia, der Tischler und die Töpferin: Wann hatte ihr zweitältester Bruder jemals seiner heißgeliebten Frau die kleine Armanu aus den Händen gerissen und zitternd an sich gedrückt? Wann hatte ihn die zierliche Taberia je dabei stützen müssen?
Viviane und Silvanus. Sie, die Ärztin und Elitekriegerin im Bund des Drachenschwertes, er, der Schuster, Wagenbauer und Glasmacher: Wann hatten ihre Schwester und ihr Gefährte jemals beide gleichzeitig die Arme um Großmutter Mara gelegt und sich unter ihren grauen Haaren versteckt?
Nun, Großmutter Mara hatte massenweise davon, da passte noch viel mehr drunter, und dennoch heulte sie so laut, als würden sie ihr jedes Haar einzeln ausreißen. Manchmal, nachts im Traum, hatte sie auch so geschluchzt, weil sie wegen der großen Schlacht in Sorge war. Das hatte sie Lavinia ganz genau erklärt, weil sie es einfach nicht begreifen wollte.
Eigentlich verstand sie es immer noch nicht, warum jemand so friedliche Menschen wie ihre Familie bedrohte und sie zwang, in einer Schlacht zu kämpfen nur wegen Salz, das hier überall aus der Erde sprudelte. Was wäre passiert, wenn sie verloren hätten?
Lavinias Betrachtungen waren in dem Augenblick zu Ende, als sie abgeschlagen wurde und nun mit Suchen dran war. Als sie das nächste Mal ihre Familie beobachten konnte, hatte sich die Situation so vollkommen verändert, dass sie heftig zwinkern musste, weil sie ihren Augen nicht traute.
Alle standen im Kreis, knabberten an ihren Broten, nippten an ihren Hörnern und lachten. Sie lachten sogar lauthals.
Viviane bildete den Mittelpunkt und drehte sich langsam um sich selbst.
Sie erzählte sehr lebhaft, fuchtelte immerzu vor ihrem Bauch herum und zuckte mit den Schultern. Loranthus grinste über beide Ohren und Hanibu schaute so schnell von einem zum anderen, dass es ihr bestimmt bald schwindelig werden würde.
Flora rutschte das Brot aus der Hand und sie konnte es gerade noch erwischen, ohne Viviane dabei aus den Augen zu lassen. Erstaunt über ihre eigenen Fangkünste, stand ihr Mund ganz weit offen und sie starrte Arminius an, der feixend seine großen Hände auf ihren Schultern ablegte.
Noeira