Petra Wagner

Der mondhelle Pfad


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eine Antwort abzuwarten, stürmte sie die Antsanvia hinunter und Belisama gluckste vergnügt, weil sie es liebte, schwungvoll geschaukelt zu werden. Conall rannte hinterher und hatte sie bald eingeholt.

      Tarian und Taberia schauten ihnen nach, wie sie jetzt langsam und eng umschlungen die breite Straße hinuntergingen. An der Biegung sahen sie plötzlich Conalls fliegende Beine und grienten sich an.

      „Vater, ich zeige Taberia auch mal unsere Kriegsbeute. Sie ist bestimmt auch … äh … neugierig.“

      „Tu das, mein Sohn. Taberia wird staunen. Unser Karren ist allein damit schon voller, als mit dem Proviant für den Hinweg. Aber pass auf dein verwundetes Bein auf! Bleib nicht in den Büschen hängen, die stehen ja ziemlich nah am Wegrand. Da werden wir im Winter wohl mal ordentlich auslichten müssen, sonst wird unsere Antsanvia noch … unübersichtlich.“

      König Gort ließ sich Zeit, bis er das Signal zum Aufbruch gab, doch irgendwann blies er in sein Horn und alle liefen zu den Karren und Pferden. Gemächlich setzte sich der Tross wieder in Bewegung, diesmal mit allen Leuten des Hirschclans. An der Kreuzung verließen sie die breite Straße und schlugen den Fuhrweg zur Burg ein.

      Loranthus sah noch einmal zurück auf die Antsanvia, auf der er mittlerweile schon mehr Schritte getan hatte als in seinem gesamten alten, griechischen Leben, wie er es neuerdings nannte. Vor ihm rumpelte der Ochsenkarren seiner Gastfamilie mitsamt den Frauen den Uhsineberga hinauf, Tarian, ziemlich eingequetscht, mittendrin. Arminius und Conall trabten neben her, weil sie keine Beinverletzungen hatten, aber schon genug Schürfstellen.

      Loranthus, seine Sklavin Hanibu, Silvanus und Medan liefen leichtfüßig neben dem Streitwagen. Lavinia und Robin hielten jeder einen Zügel in den Händen und Viviane lenkte umsichtig ihren Tatendrang.

      „Hast du eigentlich von deiner Warte aus gut sehen können, Loranthus?“, fragte Robin und beugte sich neugierig aus dem Wagen heraus, behielt seinen Zügel jedoch wachsam im Auge.

      „Oh ja, Robin! Der Aussichtsplatz war sehr hoch und mit diesen Fernrohren, die eure Wachtposten haben, kann man wirklich wunderbar weit sehen. Ich wusste gar nicht, dass ihr derartige Gerätschaften euer eigen nennt!“

      Silvanus sah zu Viviane und machte Grimassen. Viviane ließ sich davon aber nicht abschrecken.

      „Silvanus hat sie gebaut, zusammen mit Großvater Anu und Afal.“

      „Oh!“

      Loranthus betrachtete Silvanus von oben bis unten und wieder zurück, als würde er alles glauben, nur das nicht. Silvanus winkte auch sogleich ab und verzog wieder das Gesicht.

      „Viv übertreibt. ‚Gebaut‘ kann man dazu nämlich nicht sagen, und außerdem war Afal der wirkliche Schöpfer.“

      „Afal?“ Loranthus schwenkte seinen Kopf zur Spitze vom Tross und wieder zurück, diesmal aber nicht ungläubig sondern neugierig. „Ich dachte, euer oberster Druide sei Astronom?“

      Silvanus nickte eifrig.

      „Afal ist ein großer Denker, ein Genie. Er ist für alles zu haben, was es noch nicht gibt.“

      „Was es noch nicht gibt?“, echote Loranthus und sah dabei aus, als zähle er in Gedanken durch.

      „Darf ich erzählen?“, fragte Medan hoffnungsvoll und quetschte sich zwischen Loranthus und Silvanus. Letzterer verdrehte die Augen, doch Viviane nickte feixend und sogleich warf sich Medan in die Brust. Lavinia kicherte, weil ihr Bruder nun so steif bergan lief, dass er eigentlich rückwärts umkippen müsste.

      „Also, das war so, Loranthus“, begann Medan und passte seine Stimme seinem Gang an. „Zu Lugnasad kommen doch immer die Händler aus den fernen Ländern. Ein Händler hatte Glasbarren aus Ägypten dabei und schrie über den ganzen Markt, er hätte die Augen des Sonnengottes mitgebracht. Natürlich wollten alle dieses Wunder sehen und rannten zu ihm hin. Silvanus quetschte sich erfolgreich durch den Massenauflauf, denn er war damals noch ein dürres, kleines Ästchen. Er …“

      „Du kriegst gleich einen Hieb von dem dürren Ästchen!“, warf Silvanus grinsend ein und wollte Medan im Genick packen. Doch der tauchte unter seiner Hand weg und sprang um Loranthus herum in Deckung. „Mittlerweile taugt er natürlich schon als Bohnenstange“, säuselte er aus sicherer Entfernung und wankte hin und her, als sei er die dazugehörende Bohnenranke.

      „Ich fühle mich geehrt, Medan“, meinte Silvanus galant und reckte seine frei gebliebene Hand nach oben. „Bohnenstange wollte ich schon immer werden. Da hat man eine tragende Aufgabe im Leben. Erzähl ruhig weiter, Brüderchen! Bohnenstangen schlagen nicht aus, meistens.“ Und dabei streckte er seine Arme dermaßen weit nach hinten, als wolle er beweisen, wie gut er sich auch als Langbogen eignen würde.

      Medan verzog das Gesicht, da ihm bei derartigen Verrenkungen nur vom Zusehen alles weh tat. Erst als Silvanus wieder wie ein normaler Mensch lief, kam er vorsichtig aus seiner Deckung, räusperte sich und sah Loranthus vielsagend an.

      „Also. Silvanus schacherte so lange mit dem Händler, bis der ihm einen Glasbarren gegen einen Hirschhundwelpen tauschte. Um genau zu sein: Der Händler jauchzte ganz begeistert, weil ihn der kleine gleich abschleckte. Silvanus war natürlich sehr stolz auf seine Errungenschaft und hat jedem den Glasbarren gezeigt. Ich war damals noch sehr klein …“

      „Ein Bohnensprössling, um genau zu sein!“, präzisierte Silvanus und schlug Medan die Hand so derb auf die Schulter, dass er nach vorne kippte wie ein zartes Pflänzchen im Wind.

      Medan brachte das aus dem Rhythmus; er bekam seinen steifen Schritt nicht mehr zustande und lief wieder normal.

      „Äh, ja, Silvanus. Das hätte ich mir denken können. Jedenfalls wollte ich dieses Glas auch sehen, wie Kinder eben so sind. Ich konnte den Barren kaum hochheben, so schwer war er. Silvanus hat ihn mir vor die Augen gehalten, damit ich hindurchsehen konnte. Er rief: ‚Du hast gaaanz große Augen, Medan!‘ Dann hat er sich den Glasbarren vors Gesicht gehalten und ich habe gerufen: ‚Du hast auch gaaanz große Augen, Silvanus!‘ Belustigt hat Silvanus den Glasbarren gegen die Sonne gehalten und wir haben zusammen gerufen: ‚Du hast auch gaaanz große Augen, Sonnenkönig!‘

      Das war ein schönes Spiel und jeder, der vorbeikam, wollte mitspielen. Plötzlich stand Afal bei uns und sagte, er wolle auch gerne einmal hindurchsehen. Kaum hatte er durchgeguckt, bat er Silvanus, ihm den Glasbarren zu leihen und winkte Großvater Anu heran. Tuschelnd gingen sie im Eilschritt zum Lagerabschnitt der Händler und bald darauf war auch Afal der stolze Besitzer eines Glasbarren.

      Den folgenden Winter über haben Afal und Großvater mit diesem Glasbarren experimentiert. Silvanus hat den ganzen Winter über aus seinem Perlen geformt. Es waren wunderschöne Perlen in leuchtenden Farben. Mutter war anfangs skeptisch, weil er sich bei ihr Farben erbettelt hatte, doch dann war sie ganz begeistert und hat ihm sogar mehr Farben versprochen, wenn er einen neuen Glasbarren hätte.

      Als es wieder wärmer wurde und wir die Felder bestellten, hat Mutter ganz oft vor sich hin gesungen, weil sie so stolz auf ihre Glasperlenkette war. Zum Beltaine-Fest hat sie jeder angestarrt, als wäre sie eine Fee, die gekommen sei, um mit uns die gelungene Aussaat zu feiern. Afal musste sich sogar hinsetzen. Er sagte, dass die Kunst der Glasmacher schon lange verschwunden wäre. Keiner wüsste heute mehr davon. Er betrachtete die Kette ganz genau und ein paar Tage später kam er zu uns ins Dorf. Silvanus sollte ihm zeigen, wie die Perlen geformt werden. Er verfolgte die Prozedur höchst interessiert und als Silvanus die fertige Perle in seine Schiene zum Abkühlen legte … Da ist etwas passiert.“

      Medan machte eine Pause, hob den Zeigefinger und sah Loranthus Achtung heischend an.

      „Silvanus hatte für seine Perlen Schilfrohre gespalten, damit sie nicht weg rollen konnten. Und als er eine neue Perle in diese Rille legte … und sie rollte auf die vorherige Perle zu … da hat sich Afal vor den Kopf geschlagen, dass es richtig laut klatschte. Überaus hastig hat er sich für die Vorführung bedankt und ist mit Großvater Anu wieder auf die Burg. Großvater hat sich einen ganzen Mond nicht mehr bei