Heinz-Dietmar Lütje

Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere


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keinerlei Anlass. Die wirklichen Probleme stehen uns weiß Gott noch bevor.“ Allen auf der Brücke war klar, dass hiermit zunächst der Durchbruch in den freien Atlantik gemeint war.

      Der Kommandant befahl den II AO sowie die Bedienungen der erfolgreichen Flakwaffen auf die Brücke und beglückwünschte ihn und die gesamte Geschützbedienung zu ihrem Erfolg. Bevor die gehobene Stimmung auf der Brücke ausufern konnte, versetzte der Kommandant knapp, „IO, weisen Sie die Ausgucks noch einmal an, ihre Sektoren genau im Auge zu behalten, vielleicht war das ja nicht die einzige Überraschung. Befehl an II AO: Flakwaffen besetzt halten, volle Kriegswache bleibt bestehen!“

      Zwei Stunden später saßen Kommandant und wachfreie Offiziere in der Offiziersmesse beim Abendessen. Die Dunkelheit war hereingebrochen und das Schiff kriegsmäßig abgeblendet. Auf der Brücke stand der II O. Während das Schiff, nach wie vor im Geleit der beiden Torpedoboote, weiterhin mit kontinuierlicher Marschfahrt von 10 sm sich seinen Weg durch die leicht bewegliche Ostsee bahnte, beendeten die Offiziere ihr Abendessen. Nach und nach verstummte das Klappern der Bestecke und die als Ordonanz eingeteilten Seeleute räumten ab. Augenblicklich unterbrachen die Offiziere ihre in Gang gekommenen Einzelgespräche und es trat absolute Stille ein.

      „Meine Herren“, begann der Korvettenkapitän Waldau seine Ansprache, „wie ja mittlerweile vom IO bis zum letzten Mann als bekannt vorausgesetzt werden darf, hat die Unternehmung begonnen. Wie Sie wissen, trägt das Schiff bisher keinen Namen, sondern lediglich – wie im Übrigen alle Hilfsschiffe – eine taktische Nummer, in unserem Falle Schiff 66. Die SKL hat, an die Tradition des Weltkrieges anknüpfend, mir gestattet, den internen Schiffsnamen selbst zu wählen.“ Bei diesen Worten des Kommandanten steigerte sich das Interesse seiner Zuhörer nochmals, schließlich wollten sie sich alle mit ihrem Schiff identifizieren und hierzu gehört selbstverständlich nicht nur eine taktische Nummer, sondern das Schiff musste einfach einen Namen haben, nach Möglichkeit einen solchen, der auch der Aufgabenstellung ihrer Einheit gerecht werden würde. „Ich habe mich daher entschlossen, unser Schiff 66, den Hilfskreuzer A der deutschen Kriegsmarine, also den ersten Hilfskreuzer in diesem Kriege auf deutscher Seite, „Chamäleon“ zu taufen.“

      Der Kommandant schaute in die Runde und bemerkte sehr wohl, dass diese Namenswahl nicht überall sichtbare Zustimmung hervorrief. „ Ich sehe Ihnen an, meine Herren“, fuhr der Kommandant fort, „dass einigen von Ihnen dieser Name für unser Schiff zu missfallen scheint. Vielleicht haben Sie sich einen kriegerischen oder aber auch einen traditionsreichen Schiffsnamen gewünscht. Ich darf Ihnen aber versichern, dass ich diesen Namen mit Bedacht gewählt habe.“ Der Kommandant machte eine Pause und nahm einen Schluck aus dem vor ihm stehenden Glas mit Fruchtsaft, in der Marinesprache Kujambel genannt. Alkohol war bekanntlich während einer Kriegsfahrt an Bord deutscher Kriegsschiffe, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht gestattet.

      „Aber meine Herren“, fuhr der Kommandant fort, „ich will Ihnen begründen, was mich zu dieser Namenswahl veranlasst hat und ich hoffe und wünsche mir sehr, dass Sie mir dann beipflichten werden.“ Der Kommandant erteilte Raucherlaubnis, steckte sich selbst einen Glimmstängel an und fuhr fort, „ Aufgabe eines Hilfskreuzers ist es bekanntlich, feindliche Handelsschiffe aufzubringen bzw. zu versenken und allein durch seine bloße Anwesenheit den Gegner zu zwingen, zum Schutz seiner Versorgungslinien und zur Jagd auf einen Handelsstörer Seestreitkräfte von anderen Aufgaben abzuziehen, die somit zwangsläufig an anderen Brennpunkten fehlen und somit insgesamt die Schlagkraft der gegnerischen Flotte schwächen.“ Der Kommandant führte weiter aus, dass Hauptaufgabe eines Hilfskreuzers nicht unbedingt nur die Versenkung oder Aufbringung einer großen Zahl feindlicher Handelsschiffe sei, sondern insbesondere darin liege, sich dem Zugriff des übermächtigen Gegners solange irgend möglich zu entziehen, um den Gegner insoweit nicht zur Ruhe kommen zu lassen, in dem Bewusstsein, der Handelsstörkreuzer könne heute hier oder morgen dort zuschlagen, so dass der Gegner gezwungen war, seine Kräfte zu zersplittern, um seinen Nachschublinien den erforderlichen Schutz angedeihen zu lassen.

      „Dieses Ziel, meine Herren“, setzte der Kommandant seine Ausführungen fort, „können wir nur erreichen, indem wir durch bestmögliche Tarnung und heimliches Verhalten sowenig Argwohn wie möglich wecken. Zuschlagen, aufbringen oder versenken und baldmöglichst wieder in der Weite der See zu verschwinden, ist die Devise. Unsere stärksten Waffen werden also beileibe nicht die 15-Zentimeter Kanonen oder die Torpedos sein. Vielmehr wird es weitgehend von unserer Tarnung abhängen, ob wir überleben oder nicht bzw. wie lange wir in See bleiben können? Und da Tarnung die Hauptwaffe eines Handelskreuzers ist, habe ich den Namen „Chamäleon“ gewählt.“

      Tage später, längst hatte der Hilfskreuzer „Chamäleon“ seinen Geleitschutz entlassen und nachdem problemlos durch Skagerrak und Kattegat in die Nordsee eingelaufen wurde, befand sich der Hilfskreuzer nunmehr auf Durchbruchkurs in den Atlantik. Der eingeschiffte Bordmeteorologe hatte Sturm und Regen, evtl. auch Hagel und Schnee für die nächsten Tage vorausgesagt. Ideales Durchbruchwetter. Vertrauend auf die Voraussagen des Meteorologen ging „Chamäleon“ auf Durchbruchkurs. Der Kommandant befahl nordwestlichen Kurs und später westlichen Kurs Richtung Grönland, um den Durchbruch in der folgenden Nacht zu versuchen. Fast auf die Stunde genau, wie vom hervorragenden Bordmeteorologen, Dr. Steinhusen, vorausgesagt, begann es in den Nachmittagsstunden aus Nordwest zu wehen. Mit Hagel durchsetzter Schneeregen prasselte aus grauen, sehr tief hängenden Wolken, auf die See herab. In den frühen Abendstunden brauste der Sturm über Deck des Schiffes. Schwer arbeitete „Chamäleon“ in der See. Der Kommandant stand in der rechten Steuerbordbrückennock, das schwere Marineglas vor der Brust hängend, und grinste den neben ihm stehenden IO an. „Na, Terra, unser Laubfrosch (Spitzname für den Bordmeteorologen) behält wohl Recht.”

      „Jawohl, Herr Kaptän, hoffen wir das Beste“, versetzte der Freund und rechte Hand an Bord. Selbstverständlich wurde auch unter Freunden, die Kommandant und IO seit Jahren waren, an Bord, zumindest in Gegenwart Untergebener, die Disziplin durch förmliche Anrede gewahrt.

      Der Sturm nahm zu und in der kochenden und brodelnden See rollte und stampfte das Schiff schwer. Es braute sich ein Polarorkan zusammen. Unter Deck im vorderen Mannschaftslogis meinte ein von der Handelsschifffahrt zur grauen Dampferkompanie, wie die Kriegsmarine im Jargon genannt wurde, eingezogener Seemann zu seinen Kameraden: „Ihr werdet Euch noch wundern, Jungs, ich als alter Kap-Horn Fahrer kann dazu nur sagen, dass dieses gegen die brüllenden Vierziger noch gar nichts ist. Aber die wird von Euch in diesem Kriege wohl kaum jemand zu sehen bekommen.“

      Ein junger Matrosengefreiter entgegnete, „weiß man’s? Vielleicht doch.“ Ein Dritter mischte sich in das Gespräch ein, „Reiz mich doch nicht zum Lachen, du Süßwasserseemann. Mit diesem Dampfer in den Südatlantik, in Englands ureigenes Meer? Das kann ich mir beim Teufel nicht vorstellen.“ Ähnlich sprachen sich die meisten der Besatzungsmitglieder aus, die eigentlich alle zu diesem Zeitpunkt davon ausgingen, dass die Reise allenfalls in den Nordatlantik ging.

      Der Hilfskreuzer lief weiter mit Marschfahrt von 10 Meilen durch die hochgehende Quersee. Immer wieder überspülten gewaltige Wogen das geräumige Oberdeck, dessen Betreten nur angeseilt, das heißt mit einem Palstek um den Bauch, gestattet war.

      Das Unwetter hatte seinen Höhepunkt noch nicht erreicht. In Anbetracht der gewaltigen Elemente, die immer stärker wüteten, gab der Kommandant seine Absicht, das Nord-Kap vor Island schon gegen Morgen zu runden, auf. Die derzeitige Marschfahrt von 10 Meilen konnte nicht beibehalten werden und so gab Waldau Anweisung, auf Umdrehungen für 7 Meilen zurückzugehen. Die Sicht wurde immer schlechter und auch nach dem Hellwerden würde die Sicht nur wenige 100 Meter betragen. Ideales Durchbruchwetter. Gegen 2.00 Uhr morgens war aus dem Sturm ein wilder alles verschlingender Orkan geworden, der langsam auf Nordost zu drehen begann. Alles an Bord war gezurrt. Die Besatzungsmitglieder, denen noch keine Seebeine gewachsen waren, erhielten nun einen Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte. Die ersten Verletzten, meistens Platzwunden durch Stürze – auch ein Unterschenkelbruch –, wurden im Bordlazarett versorgt. Freistehend vermochte sich niemand mehr an Deck zu halten. Das ganze Schiff war mit einer glatten Eisschicht überzogen.

      Immer wieder wälzten sich schwere, schräg von vorn anlaufende Brecher über Bord.