aus die Koffer packte und in den Westen der Stadt zog. Mit solchen versnobten Menschen ließ sich der Sozialismus wirklich nicht aufbauen.
Sie machten sich daran, Auskünfte über den Ermordeten einzuholen. Das meiste erfuhren sie von der Hauswartsfrau, die ihn gefunden hatte.
«Ick bin nu mal von Natur aus neugierig», erklärte Frieda Kopisch. «War ja ’n schöner Mensch, der Rembowski, so groß gewachsen und schlank. Wenn ick jünger wäre, hätte mir der jefährlich werden können. Det war ’n Charmebolzen, wie a im Buche steht, und tanzen konnte er wie früha so ’n Gigolo.»
Am späten Nachmittag hatten Hartmut Kappe und Heinz Rösler eine ganze Menge an nützlichen Informationen auf ihren Notizblöcken stehen.
Peter Rembowski war am 14. April 1915 in Vierraden in der Uckermark auf die Welt gekommen und hatte in Schwedt den Beruf des Herrenausstatters erlernt. Er war in den letzten Kriegstagen als Unteroffizier in sowjetische Gefangenschaft geraten und hatte in den Lagern gut Russisch gelernt. 1940 hatte er geheiratet, seine Frau war aber 1942 bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Kinder gab es keine. Er sollte über gute Kontakte zur sowjetischen Kolonie in Karlshorst verfügt und diese für Schiebergeschäfte genutzt haben. Das meiste Geld sollte er auf dem schwarzen Markt aber mit dem Tabak verdient haben, den ein Cousin in Vierraden von den staatlichen Kontingenten abzweigte.
«Damit wara natürlich fein raus und konnte sich die schönsten Frauen leisten, solche wie früha bei den Tiller-Girls», gab Frieda Kopisch noch zu Protokoll. «Die letzte, die er sich anjelacht hatte, die hieß Marianne.»
«Woher kam denn diese Marianne, und was war sie von Beruf?», fragte Rösler.
Die Portiersfrau tat etwas verschämt. «Ick hab da mal an’a Tür jelauscht. Schneiderin isse, und irjendwo in New Kölln hat se jewohnt.»
«New Kölln?»
«Na, Neukölln is doch amerikanischer Sektor.»
Hartmut Kappe konnte über solche Scherze nicht lachen. «Und irgendein Mann, der Rembowski besucht hat, ist Ihnen nicht aufgefallen?»
«Nee, det is mir nich erinnerlich.»
Sie bedankten sich bei Frieda Kopisch und fuhren nicht ganz ohne Hoffnung, den Täter in absehbarer Zeit zu fassen, in die Dircksenstraße zurück.
ZWEI
HERMANN KAPPE sah auf die Uhr und hatte nichts anderes mehr im Kopf als seinen Feierabend. « Und das Schiffsvolk jubelt: Halt aus! Hallo! / Und noch zehn Minuten bis Buffalo. »
Gerhard Piossek, sein Gegenüber am Schreibtisch, wollte Fontanes John Maynard an dieser Stelle nicht gelten lassen. «Unser Dienstgebäude ist doch kein brennendes Schiff. Ein schiefes Bild, Kappe.»
«Das ist die Erschöpfung.»
Die Kripo im amerikanischen Sektor hatte in den letzten 24 Stunden mehr als genug zu tun gehabt. Der Telegraf vom 16. Januar 1948 fasste die Geschehnisse wie folgt zusammen:
Der vor einigen Tagen als vermißt gemeldete amerikanische Corporal Stanley L. Claycomb ist gestern früh durch Passanten in einem Kellerloch der Ruine des Hauses Berliner Straße 3 in Tempelhof ermordet aufgefunden worden. Der Tote lag neben einer Hauswand, die Schädeldecke war eingeschlagen, um den Hals war ein Hosenträger geknotet. Verhaftet wurden bisher drei Deutsche, darunter ein Zahnarzt, dessen Wohnung der Amerikaner am 23. Dezember betreten haben soll.
Nicht genug damit, in Britz war die Frau eines Berufsverbrechers bei der Festnahme ihres Mannes von der Polizei erschossen worden. Hier musste also gegen die Kollegen ermittelt werden.
«Dein Sohn muss ja auch ganz schön im Einsatz gewesen sein», sagte Piossek zu Hermann Kappe. «Der erschlagene Schieber da in Pankow, Peter Rembowski …»
Kappe winkte ab. «Keine Ahnung, das geht mich auch nichts an.» Er räumte seinen Schreibtisch auf und widmete sich in den letzten Minuten seiner Arbeitszeit noch einmal der Morgenzeitung. Im US-Senat hatte Kenneth C. Royall, ein Staatssekretär im Verteidigungsministerium, für den Marshall-Plan plädiert: « Würde man Deutschland dem ursprünglichen Plan zufolge zu einem reinen Agrarstaat machen, dann wäre es niemals imstande, sich selbst zu erhalten. »
«Wir Berliner hätten das durchaus geschafft», sagte Piossek. «Wir haben doch schon den Tiergarten zu einem großen Schrebergarten gemacht, und wenn wir den Grunewald, den Tegeler und den Grünauer Forst roden, können wir auch genug Roggen anbauen, um für alle täglich eine Mehlsuppe zu haben, mit Klütern.»
«Keine schlechte Idee», brummte Kappe. «Noch weniger Probleme mit der Nahrungsmittelversorgung hätten wir aber, wenn wir alle wie Gandhi fasten würden.» Und er las vor, was aus Neu-Delhi berichtet wurde: « Mahatma Gandhi begann entgegen früheren Meldungen am Donnerstag den dritten Tag seiner Fastenzeit für den Frieden und betonte, er habe nicht die Absicht, sein Fasten aufzugeben. Im letzten Bulletin vom Donnerstagmorgen erwähnten die Ärzte Gandhis, dass unmittelbare Lebensgefahr für den 78jährigen bestünde. »
«Der stirbt bestimmt nicht daran, dass er nichts mehr isst», sagte Piossek. «Den erschießt bestimmt eher irgendein Fanatiker.»
Kappe war schon beim nächsten Thema. « Hochwasser an Ruhr, Lenne, Volme und Ennepe. »
«Wenn Spree und Havel dran sind, ist das nicht so schlimm», sagte Piossek und zeigte auf seine Beine. «Ich habe sowieso schon Hochwasserhosen an. Geerbt von meinem verstorbenen Bruder, und der war zehn Zentimeter kleiner als ich.»
« Verkehrsstörungen bei der S-Bahn », fuhr Kappe fort. « Zu einer Störung von 45 Minuten kam es am Donnerstag auf der S-Bahnstrecke von Potsdam nach Wannsee infolge eines Kurzschlusses. »
«‹Gibt es auch Langschlüsse?›, würde mein Enkel fragen.» Kappe las unbeirrt weiter. « Der Ausfall eines Zuges durch Moto renschaden verursachte in den Mittagsstunden des gleichen Tages eine Störung von über 30 Minuten auf der Ringbahn zwischen Innsbrucker Platz und Halensee. »
«Interessiert mich nicht», sagte Piossek. «Ich komme mit dem Fahrrad.»
Hermann Kappe aber hatte es in dieser Hinsicht noch wesentlich besser, denn seine neue Wohnung an der Wartburgstraße, Ecke Martin-Luther-Straße lag nahezu in Sichtweite seiner derzeitigen Dienststelle in der Gothaer Straße. Er brauchte bloß quer über den Wartburgplatz zu gehen, dann war er schon zu Hause.
Als er dort angekommen war, wurde er nicht nur von Klara begrüßt, seinem «treusorgenden Weib», sondern auch von Hertha Börnicke, seiner Cousine. Auch das noch! Es kam ihm so vor, als ob sie ihm schon seit hundert Jahren gewaltig auf die Nerven ging. Zunächst hatte sie alles darangesetzt, ihn zu heiraten, dann musste jedes Familienmitglied ihre Romane bis zur letzten Zeile lesen, und schließlich war sie Redakteurin im offiziellen BDM-Organ Mädel im Dienst gewesen, wo sie dafür gekämpft hatte, dass es die echte deutsche Maid als ihr Ziel ansah, für die Wärme des heimatlichen Herdes zu sorgen, Hüterin der Reinheit des Blutes und des Volkes zu sein und die Söhne des Volkes zu Helden zu erziehen. Nun war sie Journalistin beim RIAS, und da der Rundfunk im amerikanischen Sektor im Laufe des Jahres in die Kufsteiner Straße umziehen würde und dann gleich um die Ecke angesiedelt war, würde sie wohl noch öfter bei ihnen auftauchen.
Er konnte sich gerade noch zur Seite wenden, sonst hätte sie ihn auf den Mund geküsst, so traf es nur die rechte Wange. Schon als Kind hatte sie behauptet, Cousine käme von küssen. Er hatte sie deswegen immer nur seine Base genannt, was an Chemie erinnerte und nicht an etwas Erotisches.
Sie setzten sich an den Wohnzimmertisch, wo schon eine Petroleumlampe warmes Licht verbreitete. Strom gab es wahrscheinlich erst ab 22 Uhr. Klara kam mit der Kaffeekanne und goss den Muckefuck ein. Dazu gab es für jeden ein kleines Stück des Stollens, den Kappes Mutter mit den guten Gaben gebacken hatte, die zu Weihnachten aus Wendisch Rietz gekommen waren.
Klara Kappe berichtete von der Tochter einer Nachbarin, dem Fräulein Krause, das gerade einen Captain der US-Army geheiratet hatte und nächste Woche nach New York fliegen sollte.
«Wir hatten im RIAS gerade erst