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Zwickauer Impressionen


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ebenso an das ernste und würdevolle Auftreten des kirgisischen Schriftstellers, an andere Einzelheiten leider nicht mehr.

      Aitmatow hat bis zu seinem Tod 2008 nicht mehr viel veröffentlicht, wohl auch, weil er seit 1990 sowjetischer Botschafter in Luxemburg, ab 1995 bis zu seinem Tod Botschafter für Kirgisien in Brüssel war. Man könnte an der Kirche eine Gedenktafel für ihn anbringen. Aber würde man jede Persönlichkeit, die hier war, so ehren, würde ich wohl vor lauter Tafeln das schöne Bauwerk nicht mehr erkennen. Und so verweile ich noch einen Moment in Gedanken und ohne Gedenktafel hier. Aber ich nehme mir vor, Aitmatows letzten Roman „Der Schneeleopard“ doch bald einmal zu lesen.

      Wie schnell doch die Zeit vergeht. Ich gehe ein paar Schritte und die katholische Kirche St. Nepomuk kommt in mein Blickfeld. Sie steht ziemlich im Schatten der Katharinenkirche. Wenn man von hinten, also aus Richtung Mulde auf die beiden Kirchen schaut, gibt das ein sehr schönes Bild. So verschieden sie sind, bilden sie doch ein interessantes Ensemble. Hier war ich das letzte Mal zur Schloßweihnacht. Das war sehr romantisch und das übliche Weihnachtsgedudel, was mich immer so abschreckt, erklang nur auf der anderen Schlossseite.

      Nun bin ich einmal um die Kirche herumgegangen und mein letzter Blick fällt noch auf den zweiten Supermarkt. Warum musste der ausgerechnet hierher? Irgendwie passt auch er nicht in diese historische Umgebung. Das wird mir besonders jetzt bewusst, nachdem das Kornhaus mit seinen hohen Giebeln endlich so schön saniert wurde. Aber was würde denn hierher überhaupt passen? Eine Moschee? Früher war auch noch ein jüdischer Gebetssaal hier in der Nähe. Und so wären verschiedene Religionen an einem Ort versammelt, denn Gott ist ja wohl doch immer ein und derselbe.

      Aber was das wohl wieder für Konsequenzen hätte? Gut, dass ich nicht im Stadtrat sitze und über so komplizierte Dinge entscheiden muss …

      Ein Blick auf die Uhr reißt mich aus meinen Betrachtungen. Ich muss jetzt wirklich gehen. Bedauernd drehe ich mich noch einmal zur Kirche um und schaue auf das schöne elegante Türmchen seitlich vom Eingang. Noch ganz in Gedanken lenke ich meine Schritte in Richtung Supermarkt. Jetzt bin ich doch ein bisschen froh, dass er gleich in der Nähe ist. Schließlich leben Menschen hier und müssen einkaufen.

      Nach dem Einkauf steige ich ins Auto und schaue beim Fahren noch einmal nach der Katharinenkirche. Bald komme ich wieder, denke ich zum Abschied.

      Verzweifelt hupt es aus dem Auto hinter mir. Nun bin ich anscheinend wieder viel zu langsam für den eiligen Zwickauer Straßenverkehr.

      Hans Corduan

       Am Denkmal von Robert S.

      Eines Tages geschah ein Wunder, das auch nach zehn Stunden Schlaf nicht wieder verschwand:

      Am Mittag fanden Spaziergänger die ersten fluoreszierenden Blüten. Unentwegt knisterte Plastikstoff und Zeitungspapier raschelte. Leichtsinnig brandete der Nachmittag an den Sockel und versuchte eine Ruhestätte zu errichten. Was für ein müdes Unterfangen, das nirgendwohin führte!

      Plötzlich befand sich der Abend einem hemmungslosen Phänomen gegenüber.

      Da war ein feines Surren in der Luft, das sich auf alle Wegelagerer des Platzes übertrug.

      Weithin wurden die aufstrahlenden Lichter im Kreis angeordnet.

      Eine Fülle von Blau rankte sich an den Mauern empor, wildes Rot züngelte herauf und in den Fensternischen nistete ein Geschlinge von Gelb. Schneeweiß packte ein Lichtmuster die Fassade und zerstückelte die Papierdrachen, die über den Häuptern schwebten.

      Noch einmal unterwarf sich die Straße und die Dinge gerieten aus den Fugen.

      Dicht am Sockel leuchteten kleine duftende Pyramiden, Würfel aus Glas wurden zu rauchenden Brutstätten und die Haltestellen umschlossen lange wogende Schatten.

      Darin eingebettet lag prunkvoll ein öffentliches Haus. Das Lampenlicht hatte es vorschriftsmäßig getarnt.

      Am Brunnen standen die Kinder mit dem Kopf in der Luft und den Füßen auf festem Grund. Die Figuren hielten sich stundenlang an den Händen, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Jeder nahm es hin, dass der Grünspan sie immer wieder zum Erstarren brachte. Dennoch würden sie allesamt eines Tages entzaubert werden und ihre Augen in anderen Augen nach Antworten suchen. Die Gestalten auf den Steinen erhoben sich langsam, hartnäckig zeigten ihre Schatten auf ein hohes zentrales Haus.

      Vor den Fenstern bewegten sich Fahnen, vergebens wurden Seile gespannt und Schilder aufgestellt.

      Als drei Tage später die Waghalsigen erneut auftauchten, stieg einer von ihnen auf den Sockel und sah auf die Barrikaden. Es war früher Abend, als das wogende Licht in die Straße eindrang. Der weit entfernte Horizont leuchtete und die nahende Straßenbahn verwandelte eine Haltestelle, mit einem ahnungslosen Sprung.

      Vielleicht begreift niemand, dass es diese Haltestelle jemals gegeben hat, aber zuerst verschwand die Straßenbahn, dann die Haltestelle. Danach verging auch das Purpurrot auf den blühenden Zweigen.

      Rasch liefen die Schatten an den Rand des Platzes, nach und nach verblasste das Licht der Laternen. Bald würde das Orange an der Fassade in ein ungesundes Grau umschlagen. Auch das Dunkelrot des Rostes, das die Metallteile des Riesenrades bedeckte, musste den Ort verlassen.

      Niemand sollte mehr erschreckt werden.

      Der Ruf des Kuckucks wiederholte sich, dann flog er in die weite Ebene.

      An den schwerelosen Abenden flimmerte die Hitze auf den goldenen Buchstaben am Sockel des Denkmals. Das Echo zerschlug sich zwischen die Häuser.

      Über dem leeren Platz blieb das Wunder, hart und unerbittlich.

      Heinrich Schulze

       Der Obelisk

      Als Maler stehe ich auf der Leiter. Schloss Osterstein hat es in sich. So einfach lässt es sich nicht auf die Wand zeichnen. Aber ich glaube, jetzt hab ich’s. Runter von der Leiter, zurücktreten. Der Obelisk ist viel zu groß oder das Schloss ist zu klein. Also weg damit. Ja nicht auf den falschen Linien herumrutschen. Nur konsequente Korrekturen helfen weiter.

      Was für eine Geschichte! Es war nicht zu erwarten, dass ich dieses Monstrum von Schloss einmal an die Wand einer Zwickauer Schule malen würde.

      In meiner Kindheit wohnten Onkel und Tante in Zwickau Weißenborn. Es war etwas Besonderes, sie von Oberlungwitz aus zu besuchen. Wenn wir uns nicht dem Dampfross bis zum Bahnhof Pölbitz anvertrauten, fuhren wir mit dem Bus. In die Stadt ging es über eine imposante stählerne Brücke und an einem geheimnisumwitterten Gefängnisareal, unter anderem einem alten Schloss, vorbei. Ich empfand es als gewaltig, gruslig und es regte meine kindliche Fantasie ungeheuer an. Was mochten da für Gangster drin sitzen? Wir stiegen um in den O-Bus. Ab und zu schnappte der Stromabnehmer von der Oberleitung. Der Fahrer zog an einem daran befestigten Strick und fummelte ihn wieder an die Leitung. Faszinierend!

      Vom übrigen Zwickau sahen wir nichts. Beim obligatorischen Spaziergang auf den Kuhberg bekamen wir eine Ahnung von der Stadt. Aber als Kinder interessierte sie uns wenig.

      Für uns war Chemnitz, später Karl Marx Stadt, das Einkaufs- und Kulturzentrum, Zwickau ein weißer Fleck. Nach dem Studium ging es nach Berlin. Natürlich, wohin denn sonst? Es waren noch Besorgungen für die dortige Wohnung nötig. Man hatte uns erzählt, in Zwickau ließe es sich gut einkaufen. Erstmals schlenderten wir durch diese Stadt. In der Ecke des Marktes ein Renaissancebau. Das sollte das Theater sein? Sehr komisch!

      Man lebte in Berlin. Eines war klar, alles, was sich außerhalb Berlins abspielte, war nicht der Rede wert! Logisch, immerhin war es die einzige Stadt der DDR, in der es Pflaumenmus im Handel gab. Da musste der Bürger doch überheblich werden!

      Die Jahre vergingen, die eingebildeten „tollen“ Fassaden bröckelten. Es stellte sich heraus, dass speziell in meinem beruflichen Metier, dem Puppentheater, in der nicht so verkrusteten „Provinz“ erstaunliche Entwicklungen vonstatten gingen.