Nach einem längeren Fußmarsch durchschritten sie den Fluss Vrbanja und näherten sich dem Elternhaus des Bräutigams. Vor dem Haus erwarteten sie der Brautvater, Stojadin, und die Mutter, Djurdja, mit Gästen.
»Bringst du uns deine Braut mit, mein Sohn?«, tönte die Stimme des Vaters.
»Ja, Vater, ich bringe sie mit!«, hallte der Ruf des Bräutigams dem Vater entgegen.
»Schau selbst, Vater, ob sie was taugt.«
Stojadin näherte sich der jungen Braut, seiner künftigen Schwiegertochter Mila. Er reichte ihr die Hand. Mila knickste vor dem Schwiegervater und küsste ihm die dargebotene Hand, wie es sich gehörte. Stojadin schaute sich die Braut von allen Seiten an.
»Sie taugt was«, rief der Brautvater, »sie ist robust und schön und eine gute Braut.«
Und dann rief er lauthals: »Hoch sollen sie leben! Es leben Braut und Bräutigam!«
Und die Gäste erwiderten lauthals »Es leben Braut und Bräutigam!«
»Djurdja«, rief der Brautvater, »bring mir einen Apfel, damit die Braut ihn über das Haus werfen kann!«
Dies war eine Zeremonie, um Kraft und Entschlossenheit der Braut zu testen. Nun waren alle gespannt, ob Mila den Wurf schaffen oder der Apfel am Dach zurückprallen würde.
Mila, die mit gesenktem Kopf da stand, richtete den Blick nach oben, schaute ihre Schwiegermutter an und sagte: »Möge mir Gott helfen, Mutter«, und die Schwiegermutter antwortete ihr »Er möge dir helfen! Herzlich willkommen, mein Kind!«
Dann gab sie ihr den Apfel. Mila holte weit zum Wurf aus. Der Apfel flog und flog, höher und höher und ward nicht mehr gesehen.
Als alle sahen, wie stark und geschickt Mila war, herrschte überraschtes Schweigen. Man hörte respektvoll: »Du lieber Himmel, so eine starke, junge Frau!« und dann begann die Gesellschaft erneut zu feiern.
Der Bräutigam war leicht betrunken, zog seine Braut zu sich und forderte sie auf: »Komm, Mädchen, tanzen wir Kolo. Heute Nacht ist unsere Nacht. Du wirst ab heute hier zu Hause sein. Aber du wirst darauf hören müssen, was ich dir sage. Im Haus sind wir Viele. Wir sind eine große Familie. Wir sind fünf Brüder und alle leben wir mit unseren Frauen und Kindern hier. Du wirst dich daran gewöhnen müssen.«
Die Nacht verging mit Feiern und ausgelassener Fröhlichkeit. Als die Hochzeitsgäste auseinander gingen, war die Zeit gekommen, dass auch das Brautpaar zu Bett ging. Jovan nahm Mila an die Hand und zeigte ihr mit dem Finger, in welches Zimmer sie gehen mussten. Mila brach in Tränen aus. Sie versuchte sich aus seinem Griff zu lösen und dann fiel sie in Ohnmacht. Jovan war beunruhigt. Er durfte nicht zu laut sein. Er nahm einen Eimer mit Wasser und übergoss Mila, damit sie wieder zu sich kam.
Er hatte große Mühe, sie ins Zimmer zu bringen und auf das Bett zu legen, welches mit einem dünnen weißen Bettlaken überzogen war. Ein weißes besticktes Kopfkissen und weißes Bettzeug wartete auf das Brautpaar. So konnte man nach der Hochzeitsnacht kontrollieren, ob die Braut noch Jungfrau gewesen war.
Mila kam langsam zu sich. »Lieber Gott, wo bin ich hier?«, fragte sie mit brüchiger Stimme. Dann fiel ihr Blick auf eine Wiege.
Sie sprang mit einem Satz aus dem Bett und verlor erneut das Bewusstsein. Jovan zog seinen Anzug in Erwartung der Hochzeitsnacht aus, Mila aber konnte sich an diese für sie furchtbare erste Ehe-Nacht später nicht erinnern. Sie wusste nicht einmal mehr, wann sie wieder zu sich gekommen war. Der Morgen brach an. Jovan schlief tief und fest. Mila erwachte und sah überrascht ein Baby in der Wiege liegen, welches friedlich schlummerte.
Zärtlich streichelte sie dem Kind über die Wangen und flüsterte: »Kleines, wem gehörst du denn? Oder bist du ein armes Kleines, welches ohne Mutter geblieben ist? Wie heißt du denn?«, fragte Mila leise.
Jovan hörte das Flüstern und öffnete die Augen. »Das Baby heißt Dana. Merke es dir gut, es ist jetzt unser Kind.«
»Wie, unser Kind?«, fragte Mila erstaunt.
»Frag nicht weiter, wir wecken noch das Kind«, brummte Jovan streng. »Höre, Weib, die Mutter der kleinen Dana ist gestorben. Von nun an wirst du dich um das Kind kümmern.«
»Wie, warum – was ist mit der Mutter passiert?«, wollte Mila wissen.
»Frag nicht so viel, ich kann dir nicht immer alles erklären. Es ist nur wichtig, dass du dich um das Baby kümmerst. So, als wäre es dein Kind. Verstanden?«
»Verstanden«, antwortete Mila.
Die Tage vergingen, wie die Blätter von den Bäumen fielen die Zeit rann dahin und Mila badete das Baby oft, fütterte es und erzog es beinahe immer singend.
Sie traute sich nicht mehr, nach der Mutter des Kindes zu fragen und am liebsten wäre sie aus dem Haus gelaufen. Irgendwohin. Nur weit weg von hier. Jovan machte aus dem Tod der Mutter des Babys ein großes Geheimnis. Auf jede Frage erntete sie nur seinen strengen Blick oder eine Back-pfeife. Irgendwann entschloss sie sich, zu schweigen und nicht mehr zu fragen.
Mila musste oft seufzen und machte sich Mut, in dem sie sich immer wieder vorsagte: »Das Schicksal hat es so bestimmt.« Niemandem konnte sie ihre Traurigkeit mitteilen. Auch nicht ihren Schmerz, der ihre junge Seele auffraß.
Milas Schwägerinnen waren hinterlistig und klug. Alles was Mila erzählte, wurde an die Schwiegermutter weiter getragen. Daraufhin gab es Schläge und böse Worte von Jovan. Eines Tages beobachtete Mila, wie eine junge Frau die Leiter zum Dachboden hochkletterte. Sie hatte langes dunkles Haar und einen weißen Rock an. Kurz darauf folgte der jungen Frau ihr Ehemann Jovan. Und es dauerte lange, bis beide wieder erschienen. So wurde sie Augenzeugin des Ehebruches, aber erzählen durfte sie es niemandem.
Im Haus und auf dem Feld gab es viel Arbeit. Der Mais wurde angepflanzt, geerntet, verarbeitet. Mila war gehorsam. Sie nahm jede Arbeit wortlos an. Wenn Mila auf dem Feld arbeitete, hatte sie immer die kleine Wiege mit dem Kind dabei, damit sie es beruhigen konnte, wenn es weinte. Eines Tages waren ihre Schwägerinnen gut gelaunt und sprachen offen über die Geschehnisse im Haus. Mila wollte vor Neugier sterben. Sie wollte unbedingt wissen, wie die Mutter des Kindes gestorben war. Sie nahm allen Mut zusammen und fragte eine ihrer Schwägerinnen, Stojana: »Liebe Stojana, sag mir bitte, was ist mit der Mutter des Kindes geschehen?«
»Du fragst mich, wie das Kleine ohne Mutter bleiben konnte? Wenn ich dir das sage und dein Mann erfährt es, wird es dir nicht gut ergehen. Es ist besser, ich sage es dir nicht. Er ist ein schwieriger Charakter, dein Mann.«
»Ich schwöre dir, Stojana, ich werde es ihm niemals sagen. Er wird niemals von mir erfahren, dass ich es weiß. Niemals. Hörst du?«
Stojana war gerührt und nachgiebig. Sie konnte Milas Wunsch nach der Wahrheit verstehen.
»Höre! Ich werde es dir sagen! Aber du musst mir dein Ehrenwort geben, dass du nichts verraten wirst.« Mila versprach es und gab ihr Ehrenwort.
»Die Mutter der Kleinen war noch jung. Sie war sehr schön. Stojana zögerte, weiter zu sprechen.
»Bitte, Stojana, bitte! Ich muss es wissen, war sie denn krank?« rief Mila.
»Nein, sie war nicht krank, sie war jung, schön und gesund. Nur dein Mann Jovan ist nicht so einfach. Er hat dieses liebenswerte Geschöpf schlecht behandelt und oft geschlagen, er ist kein guter Mensch.«
Mila hörte ängstlich zu. »Du lieber Himmel, habe ich so einen schlimmen Mann? Was blüht mir noch?«, flüsterte Mila.
»Die arme Verstorbene, durfte nie ein Wort sagen. Sie bekam sofort Schläge. Sogar mit der Faust schlug er sie auf den Kopf, so dass man keine blauen Flecken sehen konnte. Er schlug und boxte sie immer wieder. Heilige Mutter Gottes! Eines Tages hat sie es nicht überlebt.«
Stojana begann zu weinen.
»Das Baby musste sie alleine zur Welt bringen. In den Tagen nach der Geburt bekam sie eine Blutvergiftung.