Robert Kurz

Weltordnungskrieg


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der Gesellschaft überzugehen“ (Lohoff 1996, 163). Dieser Fall, hier aus einer Studie über die Entwicklung Jugoslawiens, findet sich überall in der vom Weltmarkt überrollten, niederkonkurrierten und zusammenbrechenden Peripherie. Zu den Plünderern gehören auch die längst verwilderten offiziellen Armeen, Polizei- und Sicherheitskräfte. Vom Verwaltungs- oder Polizeichef zum Bandenchef ist der Schritt schließlich so groß nicht.

      Die Motive all dieser Paten wie ihrer Klienten und ihres bewaffneten Fußvolks sind äußerst durchsichtig; irgendwelche ideologischen Rechtfertigungen sind für sie weniger wert als eine löchrige Unterhose. Inzwischen müssen sogar die offiziellen supranationalen Institutionen einer schnöden ökonomischen Interpretation der globalen „Störungspotentiale“ Rechnung tragen. Eine Studie der Weltbank vom Sommer 2000, verfasst von Paul Collier, Forschungsdirektor der Abteilung Entwicklungsökonomie, kommt zu dem Schluss: „Interne kriegerische Auseinandersetzungen rund um die Welt sind entgegen gängiger Auffassung bzw. öffentlicher Wahrnehmung selten von politischen Zielsetzungen oder ethnischen und religiösen Streitigkeiten, sondern maßgeblich von wirtschaftlichen Motiven getrieben… Politische Motive werden … meist nur als Rechtfertigung und zu internationalen Public-Relations-Zwecken vorgeschoben. Collier vertritt die Meinung, Rebellenorganisationen seien vielfach genauso wenig ideologisch motiviert wie die Mafia… Als größten Risikofaktor für interne kriegerische Auseinandersetzungen nennt der Bericht die hohe Abhängigkeit von Rohstoffexporten. Diamanten, Kaffee und andere Rohstoffe könnten leicht geplündert und von Guerillaorganisationen als Finanzquelle benützt werden“ (Neue Zürcher Zeitung, 17.6.2000).

      Treuherzig fügt das Schweizer Urblatt des Wirtschaftsliberalismus hinzu: „Bei den Wirren in Jugoslawien dürfte Colliers These allerdings ins Wackeln kommen“ (ebda.). Tatsächlich sind jedoch ausnahmslos alle „Wirren“ und „Bürgerkriege“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts Moment einer Plünderungsökonomie. Die Besetzung von Diamantenfeldern etc. in Afrika (Angola, Kongo) stellt nur einen Spezialfall dieses globalen Phänomens in wenigen Ländern dar. Die meisten Banden, Milizen, Warlords, Regionalfürsten usw. müssen sich mit einfacheren Formen der Plünderung begnügen, wie die Berichte aus Tschetschenien, Ex-Jugoslawien, Afghanistan oder Somalia einhellig vermerken. Das Beutegut holt man sich natürlich zuerst beim offiziellen ethno-religiösen oder sonstigen Bürgerkriegsgegner; beide Seiten plündern aber ebenso auch die „eigenen Leute“ aus.

      Teilweise handelt es sich dabei um Sekundärkreisläufe des Weltmarkts, ähnlich wie das inzwischen auch in den Zentren zu beobachtende Elendsunternehmertum, die allerdings nicht mit dem Händewechsel von Ware (Elendsware bzw. Elendsdienstleistung) und Geld enden, sondern in der Mündung einer Handfeuerwaffe. Um sich in Geld oder Ware verwandeln zu können, muss das Plünderungsgut dann zwar wieder auf Märkte und damit in Tausch Verhältnisse zurückkehren; aber an irgendeiner Stelle ist der Händewechsel von Ware und Geld durch ein unmittelbares Gewaltverhältnis unterbrochen.

      Auf der Geldebene handelt es sich meistens um Devisen-Ersparnisse (Dollar oder DM), die von aus der EU oder aus Nordamerika heimgekehrten Arbeitsmigranten mitgebracht oder von dort beschäftigten Familienangehörigen geschickt wurden; auf der Bank, sofern es noch eine gibt, ist das Geld aber nicht sicher, weil es sich „in Luft auflöst“, gesperrt oder von der Regierung konfisziert wird, wie zu ihrem Leidwesen nicht nur die jugoslawischen Arbeitsmigranten erfahren mussten. So landen die Devisen nach großmütterlicher Manier im Sparstrumpf oder unter dem Kopfkissen - und werden zur leichten Beute der Kalaschnikow-Jünger. Auf der Warenebene sind es oft westliche Hilfsgüter aller Art für die Krisen- und Hungergebiete, die sich in Plünderungsgut für die Sekundärkreisläufe verwandeln.

      Teilweise werden die Zusammenbruchsregionen auch zur Drehscheibe für global operierende Mafia-Organisationen. Albanien oder Montenegro etwa leben großenteils vom Schmuggel mit Drogen, Waffen und Zwangsprostituierten über die Adria gen EU. Im Kosovo werden von den „Befreiungskämpfern“ minderjährige Mädchen für die Zwangsprostitution auf offener Straße weggefangen; und wenn kein menschliches Raubgut der „feindlichen“ Bevölkerungsgruppe greifbar ist, tut es auch das „ethnisch“ eigene Fleisch, wie ein Bericht aus dem „befreiten“ Kosovo zeigt: „Nach 20 Uhr verwaist der Boulevard von Prístina. Vor allem jüngere Frauen und Mädchen bleiben zu Hause… Gegen 20 albanische Frauen sind angeblich alleine in Prístina verschwunden. Niemand kennt die genaue Zahl… Werden die Frauen nach Italien verschleppt und dort zur Prostitution gezwungen?… Gewalt richtet sich längst nicht mehr nur gegen Angehörige der Minderheiten im mehrheitlich albanischen Kosovo“ (Handelsblatt, 16.12.1999). In Afghanistan gründeten Milizangehörige sogar Knabenbordelle, deren Insassen wahllos aus der Bevölkerung gegriffen wurden. Es gibt keine Bande oder Miliz, die in ihrem Gebiet nicht eine Schreckensherrschaft ausüben würde.

      Schließlich reproduziert sich die Plünderungsökonomie schlicht durch Ausschlachtung der ökonomischen Ruinen und durch Raub von noch aus der Vergangenheit vorhandenen Gütern. So heißt es in einem Bericht über Tschetschenien: „Nicht nur Alu-Kabel bringen Geld. Die gesamte Infrastruktur, von Industrieanlagen bis zu Leitungsrohren, wird ausgeschlachtet, auch Altmetall lässt sich verkaufen… Herausgerissen und gestohlen werden Röhren, Zäune, Ausrüstungsgegenstände und andere Anlagen aus Metall…“ (Avenarius 2000). Bei der individuellen Plünderung werden den Opfern die Devisen, das Auto, der Fernseher, die Waschmaschine und andere elektronische Geräte abgeknöpft - in dieser Reihenfolge. Zu großen Teilen tauchen die naturalen Raubgüter dieser Art auf den Second-Hand-Märkten wieder auf, die sich legal und halblegal durch ganze Kontinente ziehen (in Ost- und Südosteuropa von der polnischen Ost- und Westgrenze bis nach Istanbul).

      Auf der untersten Stufe der Plünderungsökonomie geht es nur noch um Nahrungsmittel und Früchte der primitiven Subsistenzproduktion. Die Schrebergärten im Weichbild von Moskau werden ebenso ausgeraubt wie die Gemüsefelder in Asien. Eine Reportage über die Schikanen serbischer Polizisten gegen in Südserbien wohnende Albaner berichtet, die Paramilitärs hätten mit vorgehaltener Pistole das „Kochen von Mittagessen“ verlangt.

      Von den Krisenpotentaten und lokalen Warlords bis zu derartigen Niederungen des unmittelbarsten Mundraubs hat sich ein ganzes Spektrum von Erscheinungen und Verkettungszusammenhängen der globalen Plünderungsökonomie herausgebildet, die dem Prozess der betriebswirtschaftlichen, krisenhaften Globalisierung des Kapitals folgen wie ein Schatten. Auf beiden Seiten verflüchtigen sich die traditionellen politischen und ideologischen Motive, denn die postmoderne Sekundärbarbarei, wie sie aus dem Zerfall des modernen warenproduzierenden Systems hervorgeht, ist nicht weniger „realökonomistisch“ als der transnational über seine eigenen Kategorien hinausschießende Kapitalismus selbst.

      Der Begriff des „Ökonomismus“ bezeichnet hier nicht etwa eine fehlerhafte oder unzureichende Art der gesellschaftstheoretischen Reflexion, die etwa andere Lebensbereiche, Ursachenkomplexe und Motivzusammenhänge nicht genügend berücksichtigen würde - inzwischen ein billiges Allzweckargument linker wie rechter und liberaler Ignoranten, die bloß bequem in den herrschenden Kategorien weiterdenken wollen und deshalb vor lauter angeblicher Multikausalität und Kontingenz etc. den harten und weltzerstörenden logischen Kern des Systems nicht mehr wahrnehmen wollen. Vielmehr ist es gerade dieser harte Kern, dem ein nicht bloß subjektiver oder theoretischer, sondern objektiver und praktischer Ökonomismus als strukturbildendes Wesen innewohnt; eben ein „Realökonomismus“ unduldsamer kapitalistischer Kriterien, der in seiner Eindimensionalität alle anderen „Bereichslogiken“, die er aus sich herausgesetzt hat, systematisch übergreift und schließlich überrollt - und der in alle Motivzusammenhänge auf allen Ebenen einsickert.

      Keimhaft und latent immer schon ein Wesensmerkmal der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise, ist dieser „Realökonomismus“ in der Aufstiegs- und Durchsetzungsgeschichte des warenproduzierenden Weltsystems immer deutlicher hervorgetreten, gedämpft und vermeintlich konterkariert nur durch die scheinbar „außerökonomischen“ ideologischen und politischen Formierungsprozesse, wie sie sich aus der Zersetzung und Transformation agrarischer Lebensweisen, traditioneller Loyalitäten, vormoderner Relikte etc. ergaben. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts, an den Grenzen des Systems, tritt der dem Kapital Verhältnis inhärente ökonomische Reduktionismus bis in die Intimität hinein so grell wie nie zuvor in Erscheinung; nicht nur in den Hightech-Klitschen der New Economy und ihrer zum westlichen