Robert Kurz

Weltordnungskrieg


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„New Economy“ darstellt.

       Risikogesellschaft, Sachzwang und Gewaltverhältnisse

      Es mag für das gewöhnliche bürgerliche Bewusstsein vielleicht so erscheinen, dass der Realökonomismus des warenproduzierenden Systems, die damit verbundene Art der Verfolgung von „Interessen“ und der darin eingelagerte spezifische (von der destruktiven gesellschaftlichen Form bestimmte) Selbsterhaltungstrieb schlecht zu den Gewalt- und Risikostrukturen einer Plünderungsökonomie passen, weil das „Geschäftsrisiko“ dabei ja auch die Möglichkeit der eigenen physischen Vernichtung einschließt. So war es wohl nicht gemeint, als der deutsche Soziologe Ulrich Beck in den 80er Jahren sein phänomenologisch beschränktes Theorem einer fröhlichen „Risikogesellschaft“ in die Welt setzte.

      Da die kapitalistische Produktionsweise ein System universeller Konkurrenz darstellt, ist damit natürlich auch prinzipiell die Logik des „Risikos“ impliziert, und der drohende Verlust bezieht sich nicht nur auf konjunkturelle oder persönliche Schwankungen des Einkommens, sondern auf die soziale oder sogar die physische Existenz überhaupt. Für die Mehrzahl der unter dem kapitalistischen Joch lebenden Menschen war das „Risiko“ schon immer ein Armuts- und Elendsrisiko. Und schon immer sorgte die gewaltsame „Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln“ dafür, dass als letzte Instanz periodisch das unmittelbare Todesrisiko in Erscheinung trat.

      Die Vorstellung vom an sich friedlichen Charakter der „Geschäfte“ im Namen des systemischen Verwertungszwangs war nie etwas anderes als eine fromme Lüge der großen und kleinen Bürger in den Schönwetter-Zonen der Besserverdienenden, in denen die Bestie der Gewaltkonkurrenz nur so lange schlummert, wie sie die Blut- und Schmutzarbeit an ihre Spezialtruppen und an ihre Gewaltkreaturen in den weniger glücklichen Zonen des Planeten delegieren können. Zwar sah sich Ulrich Beck schon vor mehr als fünfzehn Jahren „auf dem zivilisatorischen Vulkan“ (Beck 1986, 23), aber offensichtlich aus der Perspektive eines immer noch komfortablen weltgesellschaftlichen Logenplatzes.

      Die oberflächliche Wahrnehmung einer neuen Entwicklungsstufe des Kapitalverhältnisses, auf der die aus sozial, kulturell und politisch formierten „Klassenstrukturen“ entbundenen abstrakten und atomisierten Individuen sich einem anonymen, technologisch verselbständigten gesellschaftlichen Risiko-Apparat gegenüber sehen (damals manifestiert in der Atom-Katastrophe von Tschernobyl), war zwar in mancher Hinsicht durchaus zutreffend. Aber weil die Reflexion von Beck auf die Erscheinungsebene beschränkt blieb, zog er daraus nicht die Konsequenz einer auf höherem Abstraktionsniveau erneuerten und radikaleren Kapitalismuskritik, sondern wollte ganz im Gegenteil „neben vielen Risiken und Gefährdungen“ jede Menge „Chancen“ in seiner wunderbaren „Risikogesellschaft“ entsolidarisierter abstrakter Individuen erkennen. Aus dieser Sicht sollte die kapitalistische Modernisierung in „reflexiver“ Form weitergehen und das Risikopotential durch eine erweiterte sogenannte Sub- und Bürgerpolitik, durch „universalisierte Bürgerwiderständigkeit im Sinne von aktiver Mit- und Gegenwirkung“ (Beck 1986,371) beherrschbar bleiben. Beck beschwor so „die bewusste Gestaltung und Wahrnehmung der Handlungsspielräume, die die Moderne inzwischen erschlossen hat“ (a.a.O., 372) und behauptete: „Es herrschen keine Sachzwänge mehr, es sei denn, wir lassen und machen sie herrschen“ (ebda).

      Gründlicher kann man den Kapitalismus im allgemeinen und die zeitgenössische Entwicklung zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht missverstehen und fehldeuten. Beck, der seine berufsoptimistische Chancen-Phänomenologie seither nur noch soziologie-feuilletonistisch breitgetreten hat, beschränkt seine Analyse nicht nur in falscher Weise auf das kapitalistische Zentrum hauptsächlich am Beispiel der BRD, wobei er kontrafaktisch eine Irreversibilität sozialstaatlicher Sicherungssysteme voraussetzt; und er verengt den Risiko-Begriff nicht nur in erster Linie auf technologische Gefährdungspotentiale. Vielmehr verfehlt er schon im Ansatz das Wesen des Kapitalverhältnisses, indem er die „Sachzwänge“ auf der Erscheinungsebene als demokratisch, „subpolitisch“ usw. verhandelbar und damit im Prinzip als überwunden darstellt, während sie sich in Wirklichkeit auf einer den Individuen immer schon vorausgesetzten subjektlosen Ebene blinder Systemprozesse abspielen und heute mehr denn je überwältigend geworden sind.

      Wenn Kapitalismus, dann gnadenloser Sachzwang der objektivierten Verwertungs- und Konkurrenzlogik, und sonst gar nichts. Die falschen Sachzwänge können nur dann aufhören, wenn sich die Gesellschaft in einer umwälzenden Bewegung von der kapitalistischen Form der Reproduktion, das heißt vom Zwang zur „Verwertung des Werts“ emanzipiert. Was inzwischen aus eigener bitterer Erfahrung jedes Kind weiß und jeder Sachzwangverwalter des ökonomischen Terrors als demokratische Schicksalsfrage der „Konkurrenzfähigkeit“ und „Finanzierungsfähigkeit“ im Standardrepertoire hat, daran möchten sich die Schwadroneure einer „Neuerfindung des Politischen“ (Beck) und akademischen Souffleure von „Neuer Mitte“ oder „New Labour“ pfeifend vorbeimogeln.

      Beck setzt frei entscheidungsfähige Subjekte voraus, ohne (wie alle Demokraten) zu begreifen, dass der „Sachzwang“ schon in der apriorischen Form des Geld- und Konkurrenzsubjekts selber gesetzt ist. Sein Krisenbegriff bleibt ebenso oberflächlich wie seine Analyse auf kunterbunte und vermeintlich einzeln bewältigbare „kontingente“ Erscheinungen beschränkt, während die tatsächliche Weltkrise als innerer Selbstwiderspruch des Kapitals die bürgerliche Subjektform selber erfasst. In der Verwilderung der globalen Krisenkonkurrenz auf allen Ebenen verwildern auch die Subjekte, deren Form zerfällt und ihren Gewaltkern auf neue Weise offenbart.

      Gewalt, Blut und Angst zeigen sich nicht als dem ökonomischen Reduktionismus äußerlich hinzutretende Erscheinungen, sondern als dessen integrale Bestandteile. Die postmoderne Plünderungsökonomie und ihre Greueltaten verweisen am Ende des Kapitalismus verräterisch auf seine Anfänge und seine Gründungsverbrechen; denn entgegen ihren legitimatorischen Legenden entsprang die moderne Geldmaschine keinem friedlichen Handel und Wandel, sondern der frühmodernen Feuerwaffen-Ökonomie und deren Militärdespotien. Die Konstitution und Durchsetzung der Moderne war nicht äußerlich, sondern wesentlich geprägt von Terror, Massakern und Zwangsgewalt, von Plünderung und Zwangsarbeit als dem Urgrund von „freier“ Lohnarbeit und kapitalistischer Individualisierung, die das Zwangsverhältnis bloß verinnerlicht haben.

       Die Logik der Abspaltung und die Krise des Geschlechterverhältnisses

      Das aus solchen Gründungsverbrechen entstandene gesellschaftliche Zwangsverhältnis war immer gleichzeitig auch ein entsprechendes Geschlechterverhältnis: Wiederum entgegen allen aufklärerischen Legenden hat die warenproduzierende Moderne die Unterdrückung der Frau nicht gemildert oder gar dem Anspruch nach überwunden, sondern vielmehr als systematisches „Abspaltungsverhältnis“ (Roswitha Scholz) zugespitzt, was sich aus den Ursprüngen der modernen militärischen Revolution erklärt. Im Kern ist Kapitalismus nichts anderes als die Militarisierung der gesellschaftlichen Reproduktion; nicht allein im äußeren Bezug auf die ökonomischen Erfordernisse der ursprünglichen Feuerwaffenproduktion, sondern auch als quasi-militärische Formierung der gesamten Produktionsweise, in der Form von „Armeen der Arbeit“, in der Form der universellen Konkurrenz als eines permanenten ökonomischen Krieges aller gegen alle usw. Alle Momente der Reproduktion und des Lebens, die nicht in diesen Formen aufgehen, werden als „weiblich“ konnotiert, abgespalten, „inoffiziell“ gemacht, als minderwertig gesetzt und ausgegrenzt. Das Warensubjekt ist also seinem Wesen nach „männlich“ und latentes oder manifestes Gewaltsubjekt, auch wenn es partiell Frauen in sich einbegreift. Und in diesem Sinne enthält die kapitalistische Gesellschaft das Moment der Gewaltbereitschaft bis in die Poren des Alltags.

      Dieser Gewaltkern des Kapitals, wie er manifest die äußere und innere Kolonisierungsgeschichte bestimmt hat, ist durch alle Formen des kapitalistischen Regimes hindurch bis heute präsent geblieben. Nicht umsonst sind die westlichen Demokratien der Gegenwart in einem historisch beispiellosen Maße militärisch aufgerüstet und mit Vernichtungskapazitäten ausgestattet, während der nach innen gerichtete ebenso beispiellose Apparat der kapitalistischen Menschenverwaltung polizeilich bis an die Zähne bewaffnet und jederzeit auf „innere