Zeitzerl gehört haben – wie sie heut’ im Wald herumgegangen sind, und daß die Knie nicht auswendig, sondern nur inwendig blutig sind gewesen.“
Brach das Gelächter los. „Jeder Mensch hat zwei blutige Knie!“ rief Schwesterlein, und die Ziegen meckerten, daß es ein Spott war.
Ich hatte meine Rolle ausgespielt. Dreihundertvierundsechzig Nächte lang hatte ich geglänzt als weiser, wahrhaftiger Geschichtenmann; die dreihundertfünfundsechzigste hatte mich entlarvt als argen Schwätzer.
Das Versprechen in betreff des zweiten Sonnwendkuchens wurde rückgängig gemacht; Schwesterlein erklärte, die Zusage sei nichts als Notwehr gewesen.
Und die Gläubigkeit meiner Zuhörerschaft hatte ich mir verdorben ganz und gar, und wenn sie in Zukunft an irgendeinem Erzählten ihre Zweifel ausdrücken wollte, so hieß es einstimmig: „Aha, das ist wieder ein blutiges Knie!“
Ob nicht auch die Leser meiner gedruckten Geschichten schon manchmal mit eingestimmt haben?!
ALS ICH BETTELBUB GEWESEN
Die schmale Straße, die durch den Wald ging, hatte weißen Sand und dunkles Moos, war zur sonnigen Zeit nicht staubig und in Regentagen nicht lehmig. Sie zog nicht in der Schlucht, sie zog auf der sanften Bergeshöhe hin, wo das kurze, grüne Heidekraut und in dünner Anzahl die alten, verknöcherten Fichtenbäumchen standen. Stellenweise ging der Weg über eitel grünen Rasen, und ein Wagengeleise war gedrückt; strebsame Ameisenvölker trieben auf dieser Straße ihren Handel und Wandel.
Und doch erstreckte sich der Weg aus weitem her und war von Menschen getreten. Hie und da stand etwas, wie ein Wegzeiger, eine hölzerne, wettergraue Hand wies geradeaus oder seitab und sagte nicht, wohin. An anderen Stellen wieder, wo ein alter, flechtenbewachsener Baumstamm hart am Wege ragte, prangte daran ein rotangestrichenes Holzkästchen mit einem Liebfrauenbildnis oder mit einem „Martertaferl“, erzählend vom Unglücksfalle, der sich an der Stelle zugetragen, bittend um ein christlich Gebet.
Ich habe in der weiten Welt keinen Weg mehr gefunden, der mir so grauenhaft heilig erschienen wäre, als diese Straße, die durch unseren Wald strich und von der wir Kinder nicht wußten, woher sie kam und wohin sie ging. Erfahrene Leute sagten es zwar, sie käm’ aus dem fernen Ungarlande und führe nach Mariazell. – ’s ist ein ewiges Wandern von Sonnenaufgang her. Auch die wilden Türken vor drei- und mehr hundert Jahren sollen diesen stillen Weg herangewütet haben; auch kleine Zigeunerbanden trippelten zuweilen auf demselben daher, und dann einmal ein Handwerksbursche oder ein Bettelmann oder ein Schwärzer kam des Weges und verneigte sich vor den Bildnissen.
Im ganzen jedoch war der Weg sterbens einsam und die wenigen Häuser standen fernab im Tale oder auf entlegenen Bergen.
Doch war es alle Jahre einmal, zur Zeit der Bittage, in jener Maienwoche, in welcher unsere Religion das Fest der Himmelfahrt des Herrn feiert, daß auf diesem Waldwege eine förmliche Völkerwanderung ausbrach. Seltsame Menschen mit fremden Kleidern, Gebärden und Sprachen wallten scharenweise heran. Sie hatten braune Gesichter, knochige Glieder und struppige Haare. Sie hatten scharfe Augen, weiße Zähne, lange, kühn aufgeworfene Nasen und fremdartige Züge um die Mundwinkel. Die Männer trugen weiße, flatternde, unten befranste Linnenhosen, die so weit waren, daß sie aussahen wie Kittel, und dunkelblaue Übermäntel mit breit zurückgeschlagenen Kragen, und kleine Filzhütchen mit schmalen, aufgeringelten Krempen. Auch hatten sie blaue Westen an, besetzt mit einer Reihe von großen Silberknöpfen. Andere trugen wieder so enge weiße Beinkleider, als wären selbige über und über an die Glieder gewachsen, und anstatt mit Stiefeln hatten sie die Waden und den Fuß in kreuz und krumm mit Binden umwunden. Auch hatten manche der Männer schwere Übermäntel aus weißem Filze an ihren Achseln hängen, und diese Mäntel, sowie auch ihre Beinkleider waren ausgeziert mit roten oder blauen Rändern, und allerlei Geschnüre schnörkelte sich um die Wämser.
Die Weiber trugen blauschwarze oder weiße Kittelchen, die kaum ein bißchen übers Knie hinabgingen und bei jedem Schritt keck hin und her schlugen. Bei anderen wieder waren die Kittel so eng und die schwarzen faltenlosen Schürzen so breit, daß bei jedem Schritte die Rundungen der Gestalt hervortraten. Ferner trugen sie hohe und schwere Stiefel, daß unter denselben der Sand knarrte, oder sie gingen gar barfuß und hatten Staubkrusten an den Zehen. Weiters staken die Weiber in kurzen schwarzen Spenserchen oder sie hatten gar nur ein weites Hemd über Arm und Busen flattern. Die Köpfe hatten sie turbanartig mit einem Tuche umschlungen, unter dem schwarze Lockensträhne hervorquollen.
So wogten sie lärmend und heulend heran, und jede Gestalt hatte ein weißes Bündel auf den Rücken gebunden und trug in der Hand einen glattgeschälten Stock. Diese Stöcke waren meist frisch in unseren Wäldern geschnitten, es waren Lärchenstäbe; auch an den Hüten trugen die Männer frischgeschnittene Lärchenzweige und Lärchenkränze; dieser herrliche Baum mit seinem weichen Genadel, wie er mit dem vielgestaltigen Marbelwerk der Rinde seines Schaftes in der Form einer hellgrünen Pyramide unsere Alpenwälder schmückt, war ihnen seltsam, er ist in jenen fernen, flachen Gegenden, aus denen die Scharen kamen, nimmer zu finden.
Die fremden Gestalten, welche in kleineren Rotten und großen Haufen einen ganzen Nachmittag lang heranströmten, kamen aus dem Ungarland und waren Magyaren und Slowaken. Es waren die bigotten Massen, die alljährlich einmal aus ihren Heimatsgemeinden davonwandern, um den weiten Weg von sechs bis acht Tagen bis zu dem weltberühmten Wallfahrtsorte Mariazell zu wallen. Ungarische Herren und slawische Fürsten hatten einst viel zum Ruhme und zur Verherrlichung der Gnadenstätte zu Zell getan, und so wogt heute noch der Strom jener Völker dem berufenen Alpentale zu und macht einen Hauptteil der gesamten Wallfahrer aus, die alljährlich in Zell erscheinen.
Es waren also fromme Wallfahrerscharen, die betend und singend unseren stillen Wald durchzogen. Jedes Häuflein trug eine lange rote Stange mit sich, auf welcher ein Kreuz mit bunten Bändern oder ein wallendes Fähnlein war. Vor jedem Bildnisse, wie sie am Wege standen, verneigten sie tief diese Stange; und wenn sie zu jener Höhung herangestiegen waren, auf welcher dem Wanderer das erstemal die zackige Hochkette des Schwabengebirges und der gewaltige Felsrücken der Hohen Veitsch sichtbar wird, standen sie still und senkten dreimal fast bis zur Erde ihren Fahnenstab. Begrüßten die Menschen aus dem Flachland die wilderhabene Alpennatur? Nein. In der Felsenkrone jener hohen Berge lag ihr heiliges Ziel, und das begrüßten sie mit Herz und Gebärden.
An diesem Punkte waren sie nur noch eine starke Tagreise entfernt von Zell; manche empfanden in solchem Gedanken zum Wandern neue Kraft, anderen sank der Mut im Anblicke der blauenden Alpenwände, die zu übersteigen waren. Bisweilen schleppten die Fremdlinge einen Genossen mit sich, der unterwegs erkrankt war. Einmal trugen sie auf frischer Lärchbaumtrage die Leiche eines auf der Straße verstorbenen Kameraden, um sie im nächsten Friedhofe zu bestatten.
So hallten am ersten Tage der Bittwoche die grellstimmigen Gebete der Ungarn und die melancholischen Lieder der Slawen durch unsere Gegend. Die Leute traten aus fernen Häusern und horchten den seltsamen Stimmen; wir Kinder aber pflegten eine andere Sitte. Wir zogen unsere zerfahrensten Kleider an und mit fliegenden Lumpen hüpften wir der Straße zu. Dort knieten wir auf den Sand, aber so, daß wir auf unsere eigenen Fersen zu hocken kamen, und wenn eine der Kreuzscharen nahte, so rissen wir die Hauben vom Kopf, stellten dieselben als Gefäß vor uns hin und schlugen zuerst mit zagender, bald mit kecker Stimme zahlreiche Vaterunser los.
Die Früchte blieben nicht aus. Die Männer schossen Kreuzer in unsere Hauben, Weiber warfen uns Brot und Kuchen zu, welche, wie die Spuren ihrer Zähne daran gar oft bewiesen, sie ihrem eigenen Munde entzogen hatten. Andere hielten gar an, und öffneten ihr Bündel und kramten drin herum, und reichten uns Backwerk, und manch alt’ Mütterlein, das unsertweg auf ein paar Minuten zurückgeblieben war, konnte die Schar wohl oft lange nicht mehr erreichen.
Manchmal stellten die Fremden Worte an uns, die wir nur mit glotzenden Augen zu beantworten wußten. Je seltsamer ihr Wesen und ihre Sprache war, je feiner und lieblicher zeigte sich die Gabe. Je brauner die Gesichter, je weißer war das Brot – wir hatten die Erfahrung bald gemacht. Vielleicht dachten die Geber an ihre Angehörigen in ferner Heimat, denen die Liebe galt, die uns fremden Kindern erwiesen wurde.
Bisweilen