Peter Rosegger

Waldheimat


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weißes Lamm als mein Eigentum war, heim in den Stall führen.

      Wie ich aber so hinhüpfe und Steinchen schleudere und damit die goldenen Abendwolken treffen will, sehe ich plötzlich, daß dort am Fels ein alter weißköpfiger, sehr arm gekleideter Mann kauert. Da stehe ich erschrocken still, getraue mir keinen Schritt mehr zu tun und denke bei mir: Jetzt, das ist aber doch ganz gewiß der lieb’ Heiland-Herrgott. Ich habe gezittert vor Furcht und Freude, ich habe mir gar nicht zu helfen gewußt.

      Wenn es doch der lieb’ Herrgott ist, ja, da muß eins ihm wohl was geben. Wenn ich jetzt heimlauf’, daß die Mutter komme und gucke und mir sage, wie ich dran bin, so geht er mir die weilen davon, und es wär’ eine Schand’ und Spott. Ich denk’, sein wird er’s gewiß, just so hat derselb’ auch ausgeschaut, den der Reitersmann gesehen.

      Ich schlich einige Schritte nach rückwärts und hub an meinem grauen Jöppel zu zerren an. Es ging nicht leicht, es war so fest über dem grobleinenen Hemde oben, und ich wollte das Schnaufen verhalten, ich meinte, der Bettelmann solle mich früher nicht bemerken.

      Einen gelbangestrichenen Taschenfeitel hatte ich, nagelneu und just scharf geschliffen. Diesen zog ich aus der Tasche, das Röcklein nahm ich zwischen die Knie und begann es nun mitten auseinanderzutrennen.

      Es war bald fertig, ich schlich zum Bettelmann, der halb zu schlummern schien, und legte ihm sein Teil von meinem Rock zu Häupten. – Hab’ vorlieb damit, mein notleidender Bruder! Das habe ich ihm still in Gedanken gesagt. Dann nahm ich mein Teil vom Rocke unter den Arm, lugte noch eine Weile dem lieben Gott zu und jagte dann die Schäflein von der Heide.

      In der Nacht wird er wohl kommen, dachte ich, und da werden ihn Vater und Mutter sehen, und wir können ihm, wenn er bei uns bleiben will, gleich das hintere Stübel und das Hausaltarl herrichten.

      Ich lag im Schiebbettlein neben Vater und Mutter, und ich konnte nicht schlafen. Die Nacht verging, und der, den ich gemeint hatte, kam nicht.

      Am frühen Morgen aber, als der Haushahn die Knechte und Mägde aus ihren Nestern hervorgekräht hatte, und als draußen im Hofe schon der laute Werktag anhub, kam ein alter Mann (sie hießen ihn den Schwammveitel) zu meinem Vater, brachte ihm den verschenkten Teil von meinem Rock und erzählte, ich hätte denselben abends zuvor in meinem Mutwillen zerschnitten und ihm das eine Stück an den Kopf geworfen, wie er so ein wenig vom Schwammsuchen ausgeruht habe auf der Schafheide.

      Darauf kam der Vater, eine Hand hinter dem Rücken, ganz leicht an mein Bett geschlichen: „Geh’, tu’ mir’s sagen, Bub, wo hast denn du dein neues Sonntagsjöppel?“

      Das leise Schleichen und die Hand hinter dem Rücken war mir verdächtig vorgekommen, und jetzt ging mir schon das Gesicht auseinander und weinend rief ich: „Ja, Vater, ich hab’ gemeint, dem lieben Herrgott hätt’ ich es geben.“

      „Bub, du bist aber so ein Halbnarr!“ schrie mein Vater, „für die Welt zu dalkert, zum Sterben zu dumm. Dir müßt’ man mit einem Besen die Seel’ aus der Haut schlagen!“

      Es war halb spaßhaft gesagt, aber ich vermutete hinter seinem Rücken die Birkengerte.

      Eilte sogleich die Mutter herbei, faßte des Vaters Hand und sagte: „’s Röckel flick’ ich ’leicht wieder zusammen, Alter. Geh’ jetzt mit, ich muß dir was sagen.“

      Sie gingen beide hinaus in die Küche; ich denke, dort haben sie über die Martinigeschichte gesprochen. Sie kamen nach einer Weile wieder in die Stube.

      Der Vater sagte: „Sei nur still, es geschieht dir nichts.“

      Und die Mutter flüsterte mir zu: „Ist schon recht, wenn du das Röckel dem lieben Herrgott hast wollen geben, aber besser ist’s noch, wir geben es dem armen Talmichelbuben. In jedem Armen steckt der liebe Gott. So und jetzt, mein Bübel, hupf’ auf und schlüpf ins Höslein; der Vater ist noch nicht allzuweit mit der birkenen Liesel.“

       WIE DAS ZICKLEIN STARB

      Ein andermal drohte die birkene Liesel wieder. Mein Vater hatte ein schneeweißes Zicklein; mein Vetter Jok hatte einen schneeweißen Kopf. Das Zicklein kaute gern an Halmen oder Erlenzweigen; mein Vetter gern an einem kurzen Pfeifchen. Das Zicklein hatten wir, ich und meine noch jüngeren Geschwister, unsäglich lieb; den Vetter Jok auch. So kamen wir auf den Gedanken: wir sollten das Zicklein und den Vetter zusammentun.

      Da war’s im Heumonat, daß ich eines sonnenfreudigen Tages alle meine Geschwister hinauslockte auf den Krautacker, und daselbst die Frage an sie tat: „Wer von euch hat einen Hut, der kein Loch hat?“

      Sie untersuchten ihre Hüte und Hauben, aber durch alle schien die Sonne. Nur Jackerls Hut war ohne Arg; den nahm ich also in die Hand und sagte: „Der Vetter heißt Jok, und morgen ist der Jokopitag, und jetzt, was geben wir ihm zum Bindband (Angebinde)? Das weiße Zicklein.“

      „Das weiße Zicklein gehört dem Vater!“ rief das kleine Schwesterchen Plonele, empört über ein so eigenmächtiges Vorhaben.

      „Desweg ist es ja, daß ich euch den Hut hinhalte“, sagte ich. „Fallt’s euch nicht ein, was wir tun müssen? Du, Jackerl, hast gestern dem Knierutschersepp dein Kinigl (Kaninchen) verkauft; du, Plonele, hast von deinem Göden drei Groschen zum Taufpfennig gekriegt; dir, Mirzerle, hat vor zwei Tagen der Vater ein Haltergeld geschenkt. Schaut, ich leg’ meine ersparten fünf Kreuzer hinein, und wir müssen zusammentun, daß wir dem Vater das Zicklein abkaufen mögen; und das schenken wir morgen dem Vetter Jok. Na, jetzt halt’ ich schon her!“

      Sie guckten eine Weile so drein, dann huben sie in ihren Taschen zu suchen an. Da sagte das Plonele: „Mein Geld hat die Mutter!“ und das Mirzerle rief erschrocken: „Das meine weiß ich nicht!“ und das Jackerl starrte auf den Boden und murmelte: „Mein Sack hat ein Loch.“

      Auf diese Weise war mein Unternehmen gescheitert.

      Nichtsdestoweniger haben wir das schneeweiße Zicklein geherzt. Es stieg mit den Vorderfüßchen an unsere Knie empor und guckte uns mit seinen großen, eckigen Augen schelmisch an, als wollte es uns recht spotten, daß wir allmitsammen nicht soviel an Vermögen hatten, um es kaufen zu können. Es kicherte und blökte uns ordentlich aus, und dabei sahen wir die schneeweißen Zähnlein. Es war kaum drei Monate alt und hatte schon einen Bart; und ich und das Jackerl waren über sieben Jahre hinaus und mußten uns aus grauen Baumflechten einen Bart ankleben, wenn wir einen haben wollten. Und selbst den fraß das Zicklein vom Gesichte herab.

      Trotzdem hatten wir jedes das Vierfüßchen viel lieber, als uns untereinander. Und ich sann auf weitere Mittel, mit dem Tiere den Vetter zu beglücken.

      Als mittags darauf der Vater vom Felde heimfuhr, umschwärmten wir ihn alle und zupften an seinen Kleidern.

      „Vater“, sagte ich, „ist es wahr, daß die Morgenstunde Gold im Munde hat?“

      Das war ja sein eigen Sprichwort, und so antwortete er rasch: „Freilich ist es wahr.“

      „Vater!“ riefen wir nun alle vier zugleich, „wie früh müssen wir all’ Tag’ aufstehen, daß Ihr uns das weiße Zicklein gebt?“

      Auf diese geschäftliche Wendung schien der Vater nicht gefaßt gewesen zu sein. Da er aber von unserem Vorhaben, dem Vetter Jok das Zicklein zuzueignen, hörte, so bedingte er, ein halb Stündlein früher aufzustehen jeden Tag, und trat uns das liebe Tier ab.

      Das Zicklein gehörte uns. Wir beschlossen einstimmig, schon am nächsten Morgen noch vor des Vetters Aufstehzeit – und das war viel gesagt – aus dem Neste zu kriechen, das Zicklein mit einem roten Halsband zu versehen und es ans Bett des alten Jok zu führen, ehe dieser noch seinen langen, grauen Pelz, den er Winter und Sommer trug, an den Leib brachte.

      So unser heilig Vorhaben.

      Aber am anderen Tage, als uns die Mutter weckte und wir die Lider aufschlugen, schien uns die Sonne mit solcher Gewalt in die Augen, daß wir dieselben sogleich wieder schließen mußten, bis die Mutter mit ihrem Kopftuch das Fenster verhüllte.

      Nun gab es