Oktober 1876 erhielt sie von der Statthalterei einen bestätigenden Bescheid, dass der k.k. Zollamtsoffizial Alois Schicklgruber nunmehr den Namen »Alois Hitler« führen dürfe. Als die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach immer noch zweifelte und am 8. Dezember bei der Statthalterei nochmals nachfragte, ob nunmehr auch die Dokumente des Alois Schicklgruber »auf Hitler« umgeschrieben werden müssten, wurde ihr am 27. Dezember mitgeteilt: »Zurück mit dem Bemerken, dass die mit dem Berichte vom 8. Dezember 1876 … wiederholt gestellte Anfrage schon … (am) 30. November 1876 … ihre Beantwortung gefunden hat.« 56
Über den gesellschaftlichen Diskurs im kleinbürgerlichen Braunau, der durch so einen Schritt ausgelöst worden sein muss, bei seinen Arbeitskollegen, am Stammtisch, im Tratsch auf dem Kirchenplatz, in der Nachbarschaft und in den Vereinen, wissen wir nichts. Im Innviertel waren der Umgang mit unehelichen Kindern und die damit verbundenen Namensänderungen ohnehin alltäglich.
Dienst unter dem Doppeladler: Mit der neuen Brücke über den Inn gewann das »Nebenzollamt erster Klasse« in Braunau weiter an Bedeutung. Hier begann Alois 42 Hitler 1871 seine Arbeit als Zollbeamter.
Das Dasein, als Zöllner zu leben
Für Ziehkinder gab es selten einen dauerhaften Platz im Haus der Zieheltern. Für Alois blieb nach dem Ende der Schulpflicht daher nur die Wahl, zu anderen Bauern in Dienst zu gehen oder sich eine Existenz außerhalb der Landwirtschaft zu suchen: im Handwerk, als Taglöhner, Fabrikarbeiter, Soldat oder Auswanderer. Mit dreizehn Jahren, im Jahr 1850, begann er daher bei dem Spitaler Schuhmachermeister Anton Ledermüller aus der Weitraer Schusterzunft eine Lehre. Eine wirklich qualifizierte Ausbildung war das wahrscheinlich nicht. Sie war ja mit zwei Jahren auch nur sehr kurz. Sehr anspruchsvoll waren weder das Schuhwerk, das damals im Waldviertel getragen wurde, noch die Ausbildung, die für seine Erzeugung erforderlich war: Holzschuhe, Holzbundschuhe und die üblichen Ausbesserungsarbeiten – eine Flickschusterei eben. Nach einem Probejahr erfolgte am 19. März 1851 die Aufdingung, also die fixe Aufnahme als Lehrling. Der entsprechende Eintrag im Zunftbuch lautet: »Lässt Anton Ledermüller von Spital den Alois Schicklgruber von Döllersheim aufdingen und zahlt 1 fl 20 kr. nach 1 Probejahr.« Am 28. März 1852 war bereits die Freisprechung zum Gesellen erreicht: »Lässt Anton Ledermüller von Spital seinen Lehrjungen Alois Schicklgruber von Döllersheim freisprechen und zahlt 1 fl 30 kr.«57
Als Geselle ging man auf Wanderschaft. Am besten nach Wien. »Als Dreizehnjähriger schnürte der damalige kleine Junge sein Ränzlein und lief aus der Heimat, dem Waldviertel, fort«, schrieb Adolf Hitler in Mein Kampf: Das ist nicht ganz richtig. Richtig ist, dass Alois als Dreizehnjähriger eine Lehre in Spital begann und als Fünfzehnjähriger nach Wien wegzog. Nach Adolf Hitlers Darstellung sei es »ein bitterer Entschluss« gewesen, »sich mit drei Gulden Wegzehrung so auf die Straße zu machen, ins Ungewisse hinein«. Man kann aber davon ausgehen, dass sich Alois auf vorhandene Netzwerke stützen konnte. Man könnte an Johann Prinz denken, einen sechs Jahre älteren Verwandten, den er von Spital her kannte und der ebenfalls nach Wien gegangen war, dort später als Badewärter im Dianabad arbeitete und Jahrzehnte später zum Taufpaten für seine Kinder und auch für Adolf Hitler wurde.58
Als Schuster, wenn auch mit sehr kurzer Lehrzeit, fand Alois in Wien zwar sicherlich Arbeit, ob in der Kundenschuhmacherei, als Sitzgeselle oder in der Verlags- und Marktschusterei. Dass er tatsächlich in Wien noch einmal eine Lehrzeit anhängte und erst mit siebzehn Jahren, wie in Mein Kampf behauptet, die Gesellenprüfung ablegte, ist angesichts der Weitraer Zeugnisse unsinnig. Aber ein Schusterleben war auch als ausgelernter Geselle in der Stadt kein Honiglecken. Den meisten Schustern ging es schlecht. Das mag bei Alois zu dem Entschluss geführt haben, 1855 statt in den Militärdienst, der in den unruhigen 1850er Jahren vielleicht in den blutigen Schlachten in Oberitalien geendet hätte, in die k.k. Finanzwache einzutreten, wo er fürs Erste im Zollgrenzbezirk Saalfelden, Land Salzburg, zur Dienstleistung eingeteilt wurde.
Zöllner und Schmuggler im Pinzgau
Recht merkwürdig ist, was Adolf Hitler in einem seiner Monologe im Führerhauptquartier im Jahr 1941 daherredete: »Im alten Österreich gab es zwei Berufsgruppen, für die man mit Vorliebe Vorbestrafte wählte: die Zöllner und die Förster. Zu den Zöllnern nahm man Schmuggler, meist solche, die vor der Wahl standen, Zuchthaus zu bekommen oder in den Staatsdienst zu gehen; zu Förstern machte man Wilderer. Beide, Schmuggler und Wilderer, treibt die Leidenschaft, es liegt ihnen im Blut. Wenn einer so einen romantischen Komplex hat, dann muss man ihm Gelegenheit geben, ihn abzureagieren …«59
Ob diese Geschichte überhaupt Sinn ergab oder auf einem Missverständnis beruht, ob ihm solches sein Vater erzählt hatte oder ob gar der Vater damit gemeint war? Auf jeden Fall war Alois Hitler ein zäher Bursche, der für den harten Zolldienst passte. Ein Grundsatz im alten Österreich war, dass Zollaufseher oder »Finanzer« nicht in ihrer Heimat zum Einsatz kamen und oft versetzt wurden, um verwandtschaftliche Netzwerke und regionale Seilschaften möglichst schon im Ansatz zu unterbinden. Alois Hitlers erste Station war Salzburg, das erst seit 1816 dauernd zu Österreich gehörte und wo die Unzufriedenheit mit dem neuen Staat immer noch groß war und viele der früheren fürstbischöflichen Unabhängigkeit und den Beziehungen nach Bayern und ins »Reich« nachtrauerten. Entsprechend hoch war unter der Bevölkerung die Bereitschaft zu Widersetzlichkeiten. Viele alte Bindungen über die neuen Grenzen hinweg waren noch intakt. Das sogenannte »kleine deutsche Eck«, wo der Warenverkehr zwischen Salzburg und Tirol zwangsläufig über bayerisches bzw. deutsches Gebiet führte, war ein Eldorado für Schmuggler. Hoch oben, wo die Pfade unwegsam und die Verhältnisse unüberblickbar wurden, kannten sich die Holzknechte, Senner und Wildschützen viel besser aus als die Zöllner.
Eine Respektsperson mit Wohlstandsbäuchlein und blinkenden Knöpfen: k.k. Zollamtsoberoffizial Alois Hitler in seiner Ausgehuniform. In seiner Bartmode folgte er dem 45 Kaiser.
Alle haben sich beteiligt, auch die Zollbeamten. Arm waren sie ja alle und alle brauchten sie Geld. Notwendig waren Zähigkeit und Mut. Geschmuggelt wurde alles, was es hüben oder drüben nicht gab oder was billiger zu haben war: Pfeifentabak und Zigarren, Zucker und Kaffee, Speck und Butter, Alkohol und Salz, Textilien und Eisenwaren, lebende Hühner und Gänse, aber auch ausgewachsene Rinder und Pferde. Gesucht wurde natürlich auch nach staatsgefährdenden oder pornografischen Schriften und nach gefährlichen Revolutionären und flüchtigen Kleinkriminellen. Gearbeitet wurde mit allen erdenklichen Tricks, um über die Grenze zu kommen, am besten in mondlosen Nächten, bei Nebel und Regen, einzeln oder in ganzen Banden, auf damals wie heute gefährlichen Steigen und Schleichwegen. Vor allem das Salz war der Stein des Anstoßes: »Bayern, welches einen sehr großen Theil des Salzes, das wir an den Grenzen zu speisen bekommen, durch den Schmuggel zu uns herüberschafft, verkauft sein Salz zu 4 und 5 fl per Zentner, bei uns beträgt der Preis des Salzes 8, 10, auch 11 fl.«, klagte der Abgeordnete Ignaz Mayer 1868 im Wiener Reichsrat.60
Die Schmuggler waren zu allen Zeiten erfinderisch: Junge Ferkel wurden mit Schnaps betäubt und in Heuwagen versteckt, Rindern und Pferden zur Schalldämmung die Hufe mit Stofffetzen eingebunden. Man arbeitete mit schlauen Tricks und mit roher Gewalt. Einmal soll Alois einen großen Diamanten, eingewickelt in eine Zigarre, beschlagnahmt haben, erzählte Adolf seinem Wiener Kumpanen Reinhard Hanisch.61 Meist aber ging es um Zuckerhüte, Salzküfel, Solinger Messer oder den neuen chemischen Süßstoff Saccharin.62 Beschreibungen von Situationen, in denen man den Verfolgern von der Zollwache nur knapp und mit kühnen Taten entkam, sind zentrale Bestandteile klassischer Schmugglergeschichten, auch wie man den »Wiener« Zöllnern auf geschickte Weise ein Schnippchen schlagen oder sie »lächerlich« machen konnte. Neben »Schläue« wurde den Schmugglern immer auch körperliche