etwas völlig anderes als ein hemmungsloses Sich-Ausleben. Selbstbestimmung bedeutet nicht, dass Kinder alles bekommen sollten, was sie wollen, oder dass andere für sie die Arbeit tun sollten. Unsere Aufgabe besteht darin, die Selbstbestimmung unserer Kinder zu respektieren, ohne ihnen gleichzeitig das Gefühl zu vermitteln, alles, was sie tun, sei völlig in Ordnung, egal, was dabei herauskommt, weil nur sie wichtig seien und nur ihre Sicht der Dinge oder ihre Wünsche zählten. Die Selbstbestimmung eines Menschen kann nie isoliert gesehen werden, sondern steht immer zur Selbstbestimmung aller anderen Menschen in Beziehung, weil wir alle Teile eines größeren Ganzen sind und weil alles, was wir tun, alles andere beeinflusst.
Natürlich haben unsere Kinder ein Recht auf viele Dinge. Und natürlich haben auch Erwachsene Rechte. Doch weist die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern wichtige Ungleichgewichte auf: Die Erwachsenen sind für die Kinder verantwortlich. Die Kinder haben ein Recht darauf, geliebt, versorgt und von ihren Eltern oder von anderen Erwachsenen beschützt zu werden. Als Erwachsene und als Eltern können wir von unseren Kindern nicht erwarten, dass sie unsere emotionalen Bedürfnisse erfüllen, weil wir sie damit überfordern würden. Um diese Bedürfnisse zu erfüllen, müssen wir uns um uns selbst kümmern oder uns die emotionale Zuwendung, die wir brauchen, von anderen Erwachsenen holen. Den Segen, den unsere Kinder uns unablässig schenken, ohne dass wir sie darum bitten – einfach dadurch, dass sie so sind, wie sie sind –, dürfen wir natürlich ohne Schuldgefühle annehmen und genießen.
Es mag durchaus sein, dass wir als Erwachsene und Eltern eine stärkere Verbindung zu unserer eigenen grundlegenden Selbstbestimmung entwickeln müssen, da diese so wichtig und gleichzeitig auch so vage ist. Das ist die innere Arbeit, die nötig ist, damit wir zu unserer eigenen wahren Natur erwachen. Möglicherweise werden wir einwenden, dass wir die meiste Zeit über zu beschäftigt sind, um Aufforderungen wie jenes berühmte „Erkenne dich selbst“ der alten Griechen überhaupt beherzigen zu können. Doch könnte es nicht sein, dass wir es uns im Grunde nicht leisten können, nicht nach unserer wahren Natur zu suchen und zu lernen, im Einklang mit ihr zu leben? Wenn wir es nicht tun, schlafwandeln wir dann nicht über weite Strecken unseres Lebens und wissen am Ende trotz allen Nachdenkens nicht, wer wir sind oder waren und wer unsere Kinder sind?
Wie wir gesehen haben, ist die Praxis der Achtsamkeit ein Weg, diese Entdeckungsreise nach innen anzutreten. Wir können das auf zwei unterschiedliche Arten tun, die einander ergänzen: indem wir alle Aspekte unseres alltäglichen Lebens mit Aufmerksamkeit betrachten und indem wir uns täglich einer formellen Meditationsübung widmen, die darin besteht, eine gewisse Zeitspanne innezuhalten und Augenblick für Augenblick, in Stille, die Aktivitäten unseres Geistes und Körpers wahrzunehmen. Wenn wir versuchen, auf eine oder beide Arten die Achtsamkeit in unserem Leben zu verwurzeln und uns der Frage zuzuwenden, wer wir wirklich sind, so hilft uns das, unsere eigene wahre Natur zu erkennen und unseren Kindern Selbstbestimmung einzuräumen.
Was kann es für uns als Eltern bedeuten, wenn wir es unserem Kind ermöglichen, seinen eigenen Weg zu gehen? Was bedeutet es eigentlich, seinen eigenen Weg zu gehen? Was ist der wahre eigene Weg eines Menschen überhaupt? Was beinhaltet die Erfahrung der Selbstbestimmung für einen Erwachsenen und für ein Kind? Wie wird diese Selbstbestimmung in verschiedenen Lebensaltern und auf verschiedenen Entwicklungsstufen erfahren? Und wie erfahren sie Kinder mit sehr unterschiedlichem Temperament?
Die Selbstbestimmung eines Kindes zu respektieren bedeutet zunächst einmal, dass wir uns der Existenz verschiedener Entwicklungsstufen und Temperamente bewusst sind. Es kann bedeuten, dass wir auf die Botschaften, die ein Baby uns gibt, angemessen reagieren, denn wir sind für das Baby die wichtigste Verbindung zur Welt. Wenn das Baby weint, wenden wir uns ihm zu, nehmen es vielleicht auf den Arm, halten es und nehmen mit ihm Kontakt auf, indem wir anwesend sind und ihm zuhören. Wir versuchen, bei ihm zu sein und ihm ein Gefühl des Wohlbefindens zu vermitteln. Auf diese Weise respektieren wir die Fähigkeit des Kindes, die Welt zu einer Reaktion auf seine Bedürfnisse zu veranlassen; wir gestehen ihm diesen Respekt zu und vermitteln ihm, dass die Welt auf seine Signale reagiert und dass es in der Welt einen Platz hat – dass es dazugehört. Wir tun das, unabhängig davon, ob wir gerade Lust dazu haben oder nicht.
Wenn wir unseren Kindern, ihrer Altersstufe gemäß, Selbstbestimmung zugestehen wollen, so kann das bedeuten, dass wir unser Haus so „kindersicher“ machen, dass unser Krabbelkind ungefährdet seine Umgebung erkunden kann. Doch selbst in einer relativ ungefährlichen Umgebung ist es wichtig, Krabbelkinder nicht aus den Augen zu lassen. Wir ignorieren durchaus nicht die Selbstbestimmung eines Krabbelkindes, wenn wir weitgehend wahrzunehmen versuchen, was es gerade tut. Wir bringen dadurch zum Ausdruck, dass das Kind unsere kontinuierliche Aufmerksamkeit verdient. Für Eltern mit Kindern in diesem Alter wird sie zu einer Art sechstem Sinn, mit dessen Hilfe sie beispielsweise augenblicklich erkennen, dass ein Glas zu nah am Tischrand steht, und es so, unmittelbar bevor das Kind danach greift, von dort wegstellen können, selbst wenn sie sich gleichzeitig mit einer anderen Person unterhalten.
Hingegen können ständige ängstliche Warnungen wie: „Tu das nicht! Pass auf, du tust dir weh!“, wenn ein Kind seine Umgebung erforscht, das Selbstvertrauen des Kindes unterminieren, und unsere Ängste werden so auf das Kind übertragen. Stattdessen könnten wir ruhig dabei sein und das Kind mit unserer Aufmerksamkeit begleiten. So können wir einen Unfall verhindern oder das Kind notfalls aufnehmen, ohne seine Abenteuerlust durch unsere eigenen Ängste zu bremsen.
Das Selbstbestimmungsbedürfnis Heranwachsender können wir auf angemessene Weise unterstützen, indem wir uns nicht dadurch irritieren lassen, wie sich unsere Kinder in diesem Alter anziehen oder wie sie ihre Individualität zum Ausdruck bringen. Stattdessen können wir uns auf ihr grundlegendes Gutsein beziehen, auch wenn ihre Versuche, ihre innere Kraft zum Ausdruck zu bringen, auf uns und andere Erwachsene oft schockierend und abstoßend wirken. Wir gestehen ihnen Selbstbestimmung zu, indem wir ihnen zuhören und ihre individuellen Ansichten, Erkenntnisse, Fähigkeiten und Stärken zu verstehen und zu würdigen versuchen. Wir tun es auch, indem wir uns der unzähligen Einflüsse bewusst bleiben, mit denen sie in dieser Zeit in Kontakt kommen. Das bedeutet, dass wir in der Lage sein müssen, zu erkennen, wann es besser ist, nichts zu ihnen zu sagen und sie in Ruhe zu lassen, und wann wir besser verbal oder aber nonverbal Kontakt zu ihnen aufnehmen – und zwar auf eine Weise, die ihre wachsende Autonomie respektiert. Und manchmal bedeutet es, dass wir klare Grenzen definieren und dann wohlwollend, aber gleichzeitig auch unerschütterlich dazu stehen.
Das sind nur ein paar Beispiele, wie wir Kindern in verschiedenen Altersstufen Selbstbestimmung zugestehen können. So wie bei Lady Ragnell ist auch unsere wahre Natur nicht immer leicht zu erkennen. Die Klarheit, die es uns ermöglicht, den Schleier der äußeren Erscheinungen zu durchschauen und zum Besten unserer Kinder zu handeln, entwickeln wir, indem wir das Gewahrsein für jeden Augenblick schulen. Selbstbestimmung kann weder uns selbst noch einem anderen allein durch eine einzelne vertrauensvolle Handlung gewährt werden, so wichtig solche Handlungen und Augenblicke auch sein mögen. Selbstbestimmung entsteht vielmehr dadurch, dass wir versuchen, jedem Augenblick mit offenem Herzen und gesundem Unterscheidungsvermögen zu begegnen.
Kein Tag vergeht, an dem wir uns nicht auf irgendeine Weise auf die Probe gestellt fühlen, an dem wir nicht unsere Selbstbestimmung hinterfragen oder das Gefühl haben, dass sie nicht mit der Selbstbestimmung unserer Kinder zu vereinbaren ist. Oder, anders ausgedrückt: Die Aufgabe, die Eltern Tag für Tag erfüllen, kann manchmal sehr erschöpfend sein und ist immer harte Arbeit, so wie auch der Versuch, kontinuierliche Aufmerksamkeit zu entwickeln, harte Arbeit ist. Wie wir bereits gesehen haben, erfordert Elternschaft Disziplin; sie fordert ständig, dass wir uns an die Möglichkeit des Präsent-Seins erinnern; dass wir unsere Kinder als die sehen und akzeptieren, die sie sind, und uns, indem wir das tun, im Umgang mit ihnen von unserer besten Seite zeigen, zu ihrem und unserem eigenen Wohlergehen.
Ein Teil dieser Arbeit besteht darin, nie zu vergessen, dass wir unsere eigenen Probleme und die unserer Kinder nicht ausschließlich durch Denken lösen können. Wir verfügen über andere, ebenso wichtige geistige Ressourcen, und als Eltern müssen wir lernen, diese zu nutzen, denn nur dann können wir auch unseren Kindern helfen, sie zu entwickeln. Eine dieser Ressourcen ist