Ihre emotionalen Trigger
Von einem Schüler Folgendes gefragt: »Meister, wie gelingt es Dir, ununterbrochen zentriert zu bleiben?«, antwortete dieser: »Ich halte die Zentrierung nicht ununterbrochen aufrecht, ich gewinne sie nur schneller zurück.«
MORIHEI UESHIBA,
Gründer der Kampfkunst Aikido16
Getriggert zu werden bedeutet, dass durch unsere aktuelle Erfahrung alte Gefühle in unserem emotionalen Rucksack stimuliert werden, die das Alarmsystem des Gehirns auslösen und uns so in einen Zustand von »Kampf, Flucht oder Starre« versetzen. Anders ausgedrückt, nehmen die Emotionen dem präfrontalen Kortex das Heft aus der Hand und wir verlieren den Zugang zum logischen Denken. In diesem Augenblick halten wir unsere Reaktion oft für angemessen, weil wir die Bedrohung überbewerten. Erst im Nachhinein erkennen wir unsere Überreaktion.
Wir werden oft von unserem Kind getriggert, aber unser Kind hat den Trigger nicht in uns eingebaut. Wir tragen ihn schon lange in uns. Vielmehr verhilft uns unser Kind zu einer Gelegenheit, den Trigger zu bemerken und zu heilen. Tun wir das nicht, werden wir diese Altlasten wahrscheinlich auf unser Kind abwälzen.
Nahezu jeder von uns trägt Trigger in sich, es sei denn, wir haben bereits viel an uns gearbeitet. Egal wie liebevoll und zugänglich Ihre Eltern waren, gab es fast sicher Situationen, in denen Sie etwas Überwältigendes erlebt haben. Und weil es so überwältigend für Sie war, konnte das Gehirn diese Erfahrung nicht wie gewohnt verarbeiten – die Erinnerung wurde also nicht in ein neuronales Netzwerk eingegliedert, das zusammengehörige Erinnerungen speichert. Bei der im Schlaf erfolgenden Verarbeitung unserer Erinnerungen werden normalerweise die mit den Gedächtnisinhalten verknüpften Emotionen entfernt. Deswegen ist eine Situation, über die man einige Nächte geschlafen hat, meist nicht mehr so aufwühlend.
Aber jedes Mal, wenn die Erinnerung so aufregend war, dass das Gehirn sie nicht wie gewöhnlich verarbeiten konnte, wurde sie mitsamt all jenen Empfindungen, die Sie währenddessen gespürt haben, unverarbeitet gespeichert. Daher werden Sie während einer ähnlichen Erfahrung – die vielleicht einen anderen Inhalt hat, aber identische Gefühle auslöst – mit Körperempfindungen überflutet, die eine Überreaktion sind. Diese Gefühle stammen nicht aus der aktuellen Erfahrung. Sie waren zusammen mit der früheren unverarbeiteten Erinnerung gespeichert.
Das geschieht nicht ohne Grund. Falls Sie in der Kindheit einmal fast ertrunken wären, bleiben Sie später eher am Leben, wenn Sie diese Erfahrung mit der damit verknüpften Furcht erinnern. Vielleicht hat es also Zeiten gegeben, in denen eine leichte Ausprägung von PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) für das menschliche Überleben vorteilhaft war.
Das gilt allerdings vielleicht nicht für die Erfahrung, durch einen Lehrer gedemütigt zu werden, die Sie heute noch immer jedes Mal zittern lässt, wenn Sie bei einer Mitarbeiterinnenbesprechung Ihre Meinung sagen müssen. Und sie wird zu einem echten Hindernis, falls die Erfahrung darin bestand, dass Sie von einem Elternteil in Angst versetzt, angebrüllt oder geschlagen wurden. Werden jene Erinnerungen unverarbeitet gespeichert, dann triggert Ihr Kind, sobald es Sie anbrüllt oder nach Ihnen schlägt, all jene Gefühle der Angst und Ohnmacht, die Sie selbst als Kind fühlten. Dann können Sie nicht klar denken. Sie erstarren oder stürzen sich entweder verbal oder körperlich auf Ihr Kind.
Also haben die meisten von uns einige unverarbeitete Emotionen aus der Kindheit, was nichts anderes bedeutet, als dass wir jene alten Gefühle und Erinnerungen im emotionalen Rucksack mit uns herumschleppen. Dieses unbewusste »Gepäck« wird unvermeidlich im Lauf unseres Lebens getriggert werden. Es katapultiert uns geradewegs in unser Unterbewusstsein, was heißt, dass wir dann Dinge tun und sagen, vor denen wir im voll bewussten, aufmerksamen Zustand zurückschrecken würden. Vielleicht finden Sie sich in der folgenden Tabelle mit den häufigsten Reaktionen auf Trigger wieder.
Kampf | Flucht | Erstarren |
Ungeduld | Fantasieren | Betäubung |
Verärgerung | Geistig wegtreten | sich distanzieren |
Schuldzuweisung | Mediennutzung | einschlafen |
Sich als Opfer erleben | wiederkehrende Gedanken | essen |
Emotionale und körperliche Ausbrüche | Magenverstimmung, Kopfschmerzen, körperliche Anspannung | Alkohol, Drogen |
Selbstrechtfertigung | Einkaufstour | rauchen |
Glücklicherweise zeigen Studien17, dass Sie die emotionalen Trigger einfach heilen können, indem Sie dem Körper erlauben, sie zu fühlen, ohne sich jedoch dadurch zum Handeln aktivieren zu lassen. Ich wiederhole: Für die Heilung Ihrer Trigger ist entscheidend, dass Sie die Körperempfindungen wahrnehmen, aber dem daraus entstehenden Handlungsimpuls widerstehen.
Natürlich müssen Sie zuvor bemerkt haben, dass Sie getriggert wurden, was nicht immer leicht ist. Aber sobald Sie sagen können: »Oh, hier triggert mich gerade etwas!«, können Sie mit dem Rennen, Betäuben oder Ausrasten aufhören. Sie können den Trigger heilen. Bitte beachten Sie, dass das Wahrnehmen der Gefühle im Körper, die mit einem alten Trigger verknüpft sind, eben nicht bedeutet, sich wieder in den alten Erzählfaden verwickeln zu lassen. Beim Nachdenken darüber, was damals alles passiert ist, werden Sie sich nur tiefer verstricken. Also bedeutet die Wahrnehmung der Gefühle, einfach die Körperempfindungen zur Kenntnis zu nehmen.
ÜBUNG
Gefühlstrigger heilen
Hier stelle ich Ihnen einen einfachen dreiteiligen Prozess zur Heilung eines emotionalen Triggers vor. Einfach, aber deswegen nicht unbedingt leicht. Vielmehr kann es ziemlich verstörend sein, mit den im Körper angesammelten Empfindungen einfach dazusitzen. Gehen Sie es behutsam an und kehren Sie zur Zentrierung immer wieder zu Schritt 1 und 2 zurück. Sie schaffen das! Falls Sie sich überfordert fühlen, vereinbaren Sie zur Unterstützung der Erforschung Ihrer Trigger einen Termin mit einer Beraterin.
1. Zentrieren Sie sich, soweit es Ihnen möglich ist. Sitzen Sie bequem, atmen Sie tief ein. Nehmen Sie bewusst wahr, wie Sie von dem Stuhl oder Fußboden unter Ihnen getragen werden.
2. Verstärken Sie Ihr Gefühl des Wohlbefindens und der Sicherheit. Das können Sie tun, indem Sie sich an etwas erinnern, wofür Sie dankbar sind. Sie können sich mit Liebe und Licht umgeben oder ein tröstliches Mantra oder Bild verwenden.
3. Denken Sie jetzt an ein kürzliches Ereignis, das Sie getriggert hat. Sie müssen den ursprünglichen Trigger dafür nicht kennen, denken Sie nur an das kürzliche Ereignis. Beobachten Sie, wie sich dieses Erinnern im Körper anfühlt. Bleiben Sie mit der Aufmerksamkeit beim Körper, anstatt Gedanken über das Ereignis nachzuhängen. Atmen Sie weiter. Nehmen Sie wahr, dass Sie vielleicht wegrennen (Flucht), etwas essen (Starre) oder jemanden anrufen wollen, um ihm richtig die Meinung zu sagen (Kampf). Widerstehen Sie all dem. Wenn Ihnen danach ist, aufzuspringen und nach Ihrem Telefon zu schauen, tun Sie es nicht. Wenn Sie unbedingt meinen, die Küche putzen zu müssen, lassen Sie es bleiben. Atmen Sie einfach und legen sich selbst die Arme um den Körper und spüren dem nach, wie sich diese Empfindung im Körper anfühlt. Atmen Sie in die Empfindung hinein. Sie schaffen das. Sobald Sie sich überwältigt fühlen, suchen Sie wieder den Ort Ihres Wohlbefindens auf (Schritt 1 und 2).
Das ist alles. Jene Körperempfindungen sind die abgespeicherten Gefühle aus Ihrem emotionalen Rucksack, die Ihre aktuelle Überreaktion triggern. Wenn wir sie von der ruhigen, sicheren Warte unseres erwachsenen Selbst beobachten – was einige Psychologen als das »beobachtende Ego« bezeichnen – verändern sie sich allmählich und lösen sich auf. Wenn Sie in Ihrem Beobachter-Selbst bleiben können, bewahrt Sie das davor, von den Emotionen gekapert zu werden und das Gehirn kann den entsprechenden Schaltkreis neu verdrahten.
Wird