Weg zur Erkenntnis dessen, was wir wirklich sind, und dazu, unser Leben so zu führen, als käme es wirklich darauf an. Es zählt tatsächlich – viel mehr, als wir glauben mögen oder uns vorstellen können, und zwar nicht bloß im Hinblick auf unser eigenes Vergnügen oder unsere Leistung, auch wenn diese Erkenntnis unserer Freude, unserem Wohlbefinden und unserer Leistungsfähigkeit ebenfalls zugute kommt.
Dieser Weg zu mehr Gesundheit und geistiger Klarheit beginnt damit, dass wir die Ressourcen, die wir bereits besitzen, mobilisieren und weiterentwickeln. Die wichtigste davon ist unsere Fähigkeit, aufmerksam zu sein, insbesondere für jene Aspekte unseres Lebens, um die wir uns bisher wenig gekümmert haben, von denen wir vielleicht sagen würden, dass wir sie schon eine gefühlte Ewigkeit ignorieren.
Wenn wir aufmerksam sind, kommen wir unserem Bewusstsein näher, jenem Aspekt unseres Daseins, der neben der Sprache das Potenzial unserer Spezies zum Lernen und zur Transformation ausmacht. Wir entwickeln und verändern uns, wir lernen und werden uns gewahr durch die direkte Wahrnehmung mittels unserer fünf Sinne in Verbindung mit der Kraft des Geistes, der im Buddhismus als ein eigenständiger Sinn betrachtet wird. Wir sind fähig wahrzunehmen, dass jeder einzelne Aspekt unserer Erfahrung innerhalb eines unendlichen Geflechts von Beziehungen existiert, von denen einige für unser unmittelbares und langfristiges Wohlergehen von großer Bedeutung sind. Zwar mögen wir viele dieser Beziehungen nicht sofort erkennen, und vielleicht handelt es sich dabei um bislang eher verborgene Dimensionen im Gefüge unseres Lebens, die noch der Entdeckung harren. Aber dennoch sind diese verborgenen Dimensionen – oder das, was wir „neue Grade der Freiheit“ nennen könnten – uns potenziell zugänglich, und sie werden sich nach und nach enthüllen, wenn wir unsere Fähigkeit zum bewussten Gewahrsein kultivieren und darin verweilen, indem wir unsere Aufmerksamkeit staunend und liebevoll auf das verblüffend komplexe und doch grundlegend geordnete Universum gerichtet halten, auf das Terrain – sei es die Welt, das Land, den sozialen Kreis, die Familie, den Körper, den Geist –, innerhalb dessen wir uns befinden und orientieren. All das ist auf allen Ebenen in einem ständigen Wandel und Fluss, ob wir uns dessen nun bewusst sind oder nicht, ob es uns gefällt oder nicht, und gibt uns somit unzählige und unerwartete Möglichkeiten, aufzuwachen und klarer zu sehen. Dann können wir wachsen, in unseren Handlungen mehr Weisheit verkörpern und das quälende Leid in unserem aufgewühlten Geist lindern, der für gewöhnlich so weit von seiner Heimat, von innerer Ruhe und Frieden, entfernt ist.
Diese Reise hin zu Gesundheit und geistiger Klarheit ist nicht weniger als die Einladung, zur Fülle unseres Lebens zu erwachen, solange wir noch Zeit dazu haben, statt dies erst, wenn überhaupt, auf unserem Totenbett zu tun. Davor hat uns schon Henry David Thoreau so eindringlich gewarnt, als er in Walden schrieb:
Ich bin in den Wald gezogen, weil mir daran lag, bewusst zu leben, es nur mit wesentlichen Tatsachen des Daseins zu tun zu haben. Ich wollte sehen, ob ich nicht lernen könne, was es zu lernen gibt, um nicht, wenn es ans Sterben ging, die Entdeckung machen zu müssen, nicht gelebt zu haben.
Zu sterben, ohne wirklich gelebt zu haben, ohne zu unserem Leben erwacht zu sein, stellt eine stetige und ernste Gefahr für uns alle dar angesichts unserer automatisierten Gewohnheiten und des gnadenlosen Tempos, in dem sich die Dinge heutzutage entwickeln, viel schneller als noch zu Thoreaus Zeiten. Dazu trägt auch die Achtlosigkeit bei, die so oft unsere Beziehungen zu dem prägt, was uns vielleicht das Allerwichtigste im Leben, zugleich aber auch das am wenigsten Offenkundige ist.
Doch wie schon Thoreau uns rät, können wir lernen, uns in der uns innenwohnenden Fähigkeit zu weiser und offenherziger Aufmerksamkeit zu verankern. Er weist darauf hin, dass es sowohl möglich als auch äußerst erstrebenswert ist, das weite Gewahrsein in Herz und Geist zunächst zu kosten und dann darin zu verweilen. Wenn wir dieses Gewahrsein auf die richtige Weise kultivieren, kann es die Schleier unserer zur Routine gewordenen Gedankenmuster, Sinneswahrnehmungen und Beziehungen durchdringen und uns von ihnen sowie auch von den häufig sehr turbulenten und destruktiven Bewusstseinszuständen und Emotionen befreien, die mit ihnen einhergehen. Solche Gewohnheiten sind stets von der Vergangenheit bestimmt, nicht nur von unserem genetischen Erbe, sondern auch von unseren Erfahrungen: von Traumata und Ängsten, vom Mangel an Vertrauen und Sicherheit, von Gefühlen der Wertlosigkeit, die daher rühren, dass wir nicht gesehen und wertgeschätzt wurden, sowie von lange gehegtem Groll aufgrund alter Kränkungen, Ungerechtigkeiten oder ganz offensichtlichen und überwältigenden Verletzungen. Es sind diese Gewohnheiten, die heute unsere Sicht einschränken, unser Verständnis verzerren und uns, wenn wir uns ihnen nicht zuwenden, daran hindern, zu wachsen und heil zu werden.
Um zur Besinnung zu kommen, im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinne, sowohl im Großen und Ganzen als Spezies als auch im Kleinen als Individuum, müssen wir als Erstes zum Körper zurückkehren, zu jenem Ort, an dem unsere biologischen Sinne und das, was wir den „Geist“ nennen, lebendig sind. Der Körper ist etwas, was wir meist ignorieren, mitunter bewohnen wir ihn kaum, wir schenken ihm zu wenig Aufmerksamkeit und achten ihn nicht genug. Unser eigener Körper ist seltsamerweise eine Landschaft, die uns sowohl vertraut als auch erstaunlich fremd ist. Manchmal fürchten wir uns vor ihm oder verabscheuen ihn geradezu, je nachdem, was wir erlebt haben oder zu erleben fürchten. Dann wiederum sind wir völlig eingenommen von ihm; wir sind besessen von seiner Größe, seiner Form, seinem Gewicht, seinem Aussehen und laufen Gefahr, in unbewusste und anscheinend endlose Selbstverlorenheit und Narzissmus zu verfallen.
Wie wir aus den zahlreichen Studien wissen, die in den letzten vierzig Jahren im Bereich der Geist-Körper-Medizin durchgeführt wurden, ist es auf der Ebene des Individuums möglich, zu einem gewissen Ausmaß Frieden in Körper und Geist zu finden – und damit mehr Gesundheit, Wohlbefinden, Glück und Klarheit, selbst inmitten großer Schwierigkeiten und Herausforderungen. Mittels des MBSR-Ansatzes sind bereits Tausende zu dieser Reise aufgebrochen und haben berichtet, wie viel sie für sich selbst, aber auch für ihre Mitmenschen daraus gewinnen konnten. Es hat sich gezeigt, dass Aufmerksamkeit ein Weg ist, auf dem wir Zugang zu diesen verborgenen Dimensionen und diesen neuen Graden von Freiheit finden können, ein Weg, der nicht bloß einigen wenigen Auserwählten offensteht. Jeder kann sich auf diesen Pfad begeben und dort sehr vieles finden, was ihm nützlich ist und ihm wohltut.
Zur Besinnung kommen ist etwas, was keinerlei Zeit erfordert, einzig und allein unsere Präsenz und Wachheit hier und jetzt. Paradoxerweise ist es zugleich eine lebenslange Aufgabe. Man könnte sagen, dass wir uns dieser Aufgabe „für unser Leben“ widmen – in jedem denkbaren Sinne.
Wollen wir auf allen nur möglichen Ebenen zur Besinnung kommen, dann besteht der erste Schritt darin, dass wir Intimität mit unserem Bewusstsein an sich entwickeln. „Achtsamkeit“ ist ein Synonym für „Gewahrsein“. Meine Arbeitsdefinition von Achtsamkeit lautet: „das Gewahrsein, das entsteht, wenn man absichtsvoll aufmerksam ist, im gegenwärtigen Moment und ohne zu urteilen“. Sollten Sie einen weiteren guten Grund brauchen, ließe sich dem noch hinzufügen: „im Dienste der Weisheit, des Verständnisses für uns selbst und des Erkennens unserer intrinsischen Verbundenheit mit anderen und der Welt und somit auch im Dienste von Güte und Mitgefühl“. Achtsamkeit hat eine intrinsische ethische Dimension, wenn man versteht, was „ohne zu urteilen“ wirklich bedeutet. Ganz sicher bedeutet es nicht, dass Sie keine Urteile mehr haben sollen – Sie werden weiterhin jede Menge Urteile haben. Es ist vielmehr eine Einladung, sich mit den Urteilen zurückzuhalten, so gut Sie können, und sie einfach zu erkennen, wenn sie auftauchen, aber dann auch das Urteilen selbst nicht zu verurteilen.
Unsere Fähigkeit zu Gewahrsein und Selbsterkenntnis könnte man als die „ultimative Gemeinsamkeit auf dem Weg zu unserem eigentlichen Menschsein“ bezeichnen. Durch die Kultivierung von Achtsamkeit bekommen wir Zugang zu der Kraft und Weisheit unseres Gewahrseins. Und mittels Achtsamkeitsmeditation kann man Achtsamkeit als Praxis und als Seinsweise sorgsam und systematisch kultivieren, entwickeln und verfeinern.
Die Achtsamkeitspraxis hat sich in den letzten vierzig Jahren – nicht zuletzt aufgrund der stetig steigenden Zahl an wissenschaftlichen und medizinischen Studien zu ihren vielfältigen Wirkungen – rasch in der ganzen Welt ausgebreitet und ist zu einem Bestandteil der westlichen Kultur geworden, und in verschiedensten Bereichen ist ein explosionsartig ansteigendes Interesse zu verzeichnen, sei es an weiterführenden Schulen und Hochschulen, in der Geschäftswelt, im