Andrea Dinkel-Tischendorf

Tore zur Freiheit


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sie kein gewöhnlicher Hund ist, weiß sie natürlich wie ich Bescheid.

      Es kam wie vorhergesehen: Im Sommer 2012 zogen wir ein, im Februar zuvor verstarb meine engste Begleiterin seit sieben Jahren. Ohne ihre Freundschaft, Loyalität und ihre großzügige Liebe hätte ich es nicht bis hierher geschafft. Jetzt ist sie im Himmel, wo wir uns eines Tages wiedersehen, und zwischenzeitlich steht sie mir immer noch treu zur Seite ‒ als Engel im wahrsten Sinne des Wortes. Ab und an sehe oder spüre ich sie, und hin und wieder macht sie sich über unsere neue Hündin Amira bemerkbar. Auch bei Botschaftsabenden, wenn verstorbene Tiere Kontakt aufnehmen, ist sie meist diejenige, die mich zu ihren trauernden Besitzern führt.

      Gina kündigte mir Amira an, die gemäß meinem Wunsch, ein wirklicher Hund zu sein, auf wundersamen Weg zu uns kam. Kurz nachdem Gina verstarb und ich hierher zog, hörte ich bei einem Spaziergang plötzlich ihre Stimme in mir: »Eine neue Hündin wird kommen! Sie wird, wie ich, eine Dackelmischlingshündin sein und durch eine österreichische Freundin zu euch geführt. Ihr Name ist Mia!«

      Ich war mir nicht sicher, ob ich richtig hörte … Mia oder Mira? »Na, egal, wenn es so ist, werde ich sie Amira nennen.« Das bedeutet auf Arabisch ›Prinzessin‹ und ist die weibliche Form von Amir, einem indischen Yogi, der im Himalaya lebt und dessen Stimme ich erstmals 2008 wahrnahm.

      »Sie kommt früher als du denkst ... noch vor eurem Indienurlaub!«

      »Oh weh!«, dachte ich, »Wie soll das funktionieren?« Es kam 1:1 genauso, wie es mir Gina angekündigt hatte. Selbst der Name des Tieres war der gleiche.

      Nun, im 47. Lebensjahr angekommen, beginne ich meine persönliche Aufgabe anzugehen: Neben meiner Arbeit, die ich liebe, auch zu leben und mich selbst genauso wichtig zu nehmen wie jeden anderen. Kaum zu glauben, dass ich hierfür 46 Jahre gebraucht habe, um das zu tun, was ich mir persönlich vorgenommen habe, oder besser gesagt: meine Seele!

      Frühe Kindheit

      Meine Eltern waren noch sehr jung, als ich in ihr Leben trat, und man kann nicht behaupten, dass ich eine unbeschwerte Kindheit hatte. Meine Mutter war Alkoholikerin, eine sogenannte Quartalstrinkerin, die sich seit ihrem vierzehnten Lebensjahr immer wieder aus dem realen Leben in den Alkohol flüchtete. Häufig saß meine Oma stundenlang am Fenster, um auf ihren Mann, ihre Tochter und ihren Sohn zu warten. Mein Halbonkel war der Grund dafür, dass meine Mutter alkoholabhängig wurde. Jahre des Missbrauchs durch ihn und seine Freunde hatten sie beinahe zerstört; ein normales Leben war nicht mehr möglich.

      Angefangen hatte der Missbrauch bereits mit elf Jahren, als ein ›Freund‹ der Familie sie erstmals vergewaltigte. Ich weiß noch, dass ich mir Kinderbilder meiner Mutter ansah, speziell ihr Konfirmationsfoto, und dabei dachte: »Wie traurig sie doch ausschaut!«

      Mein Opa, ein warmherziger, kluger und sensibler Mann, entdeckte meine Oma beim Spaziergang, als sie damit beschäftigt war, den Garten umzugraben und alle anderen im Haus feierten. »Schön blöd sind Sie!«, sprach er meine Oma an. »Da drinnen wird gefeiert, und Sie sind mit Umgraben beschäftigt!« Er brachte damit zum Ausdruck, was allen Angehörigen der weiblichen Ahnenreihe meiner Großmutter zu eigen war, und das galt auch für mich: Arbeit bekam im Leben absolute Priorität.

      Als ich dreizehn Jahre alt war, sprach meine Mutter erstmalig über ihre traurige Vergangenheit. Anlass war ein Übergriff auf mich selbst, den ich glücklicherweise verhindern konnte. Ein Polizist hatte sich, während ich schlief, an mich herangemacht. Eine Freundin der Familie, die aufgrund eines stationären Aufenthalts meiner Mutter im Krankenhaus auf meine jüngere Schwester und mich aufpasste, brachte ihn mit ins Haus. Als ich spürte, dass mich etwas am Körper berührte und ich deshalb aus dem Schlaf gerissen wurde, um sogleich in ein fremdes Gesicht zu blicken, schrie ich im Schock nach Leibeskräften aus und schlug den Mann damit in die Flucht.

      Meine Mutter spürte im Krankenhaus, dass etwas vorgefallen sein musste, und nachdem ich widerwillig aussprach, was geschehen war, packte sie kurzerhand ihre Sachen und eilte vorzeitig nach Hause. Dort angekommen, erzählte sie mir ihre deprimierende Geschichte, die mich erschütterte und mir die Tränen in die Augen trieb.

      Nach einer langen Pause, in der ich ihr voller Mitgefühl den Arm streichelte, fragte ich sie: »Warum hast du Oma nichts davon gesagt?«

      »Oh, das habe ich versucht. Aber sie hat mir nicht geglaubt, und bevor ich zu Ende reden konnte, hat sie mich als Spinnerin abgetan. Kurz darauf schickte sie mich zu Verwandten an die Ostsee. ›Zwangsausweisung‹! Ich habe nie wieder versucht, mit ihr darüber zu reden.« Meine Oma und meine Mutter hatten deshalb ihr Leben lang ein schwieriges Verhältnis.

      Ich denke, dass ich in meiner medialen Tätigkeit deshalb auch immer wieder vielen Frauen begegne, die das gleiche Schicksal wie meine Mutter teilen, weil ich durch diese Erfahrungen sensitive Antennen für das Erkennen von Missbrauch und Alkoholismus entwickelt habe. Und natürlich, weil ich am eigenen Leib erlebt habe, was dies für den Betreffenden selbst sowie für seine Angehörigen bedeutet.

      Mein Vater hatte eine gleichermaßen schwierige Kindheit. Bereits als Baby wurde er zur Adoption freigegeben. Er kam in eine Pflegefamilie, die bereits drei Kinder aufgenommen hatte. Seinen Pflegeeltern ging es vor allem um das Geld, welches sie für die Aufnahme und Betreuung der Kinder erhielten. Es gab für alle vier Kinder weder Liebe oder Zärtlichkeit, noch Mitgefühl oder Verständnis.

      Mit diesen Kindheitserfahrungen lernten sich meine Eltern kennen und beschlossen, gemeinsam alles besser zu machen. Sie mieteten ein Haus in Calw, wünschten sich eine große Familie und wollten ihre eigenen Kinder mit Liebe großziehen. Zwei Menschen, denen die Flügel gestutzt worden waren und die versuchten, gemeinsam wieder ganz zu werden und fliegen zu lernen. Weder Vater noch Mutter schafften es, sich von ihrer Vergangenheit zu lösen, und Alkoholkonsum spielte bei beiden eine große Rolle. Trotzdem waren sie bemüht, eine normale Familie zu sein und uns Liebe zu schenken.

      Meine eigenen Kindheitserinnerungen sind spärlich, sie liegen im undurchsichtigen Nebel der Vergangenheit. Das Wenige, das ich in mir bewusst gespeichert habe, waren Umstände und Situationen, die später beim Erkennen und Verstehen meines Wesens eine maßgebliche Rolle spielten. Ich weiß zum Beispiel noch sehr genau, wie ich mit zwei Jahren das Gitter des Kinderbetts meiner Schwester, die als Neugeborene friedlich in ihrem Bettchen schlummerte, festhielt. »Endlich bist du da!«, dachte ich, und betrachtete sie mit Entzücken. Stundenlang hätte ich sie so anschauen können. Lange, bevor sie in dieses Leben geboren wurde, freute ich mich schon über ihre Ankunft. Maya sagte ihr einmal, sie habe eine engelsgleiche Seele. Das muss ich bereits als Kind gespürt haben. Irgendwie wusste ich, dass jetzt mehr Licht gekommen war und somit auch für mich Unterstützung. Obwohl so viele Geschehnisse ausgeblendet sind, gibt es doch diese schöne Erinnerung an die Ankunft meiner Schwester ‒ ein Stern in dunkler Nacht!

      Eigentlich hätte ich auf sie eifersüchtig sein müssen, war sie doch das bevorzugte Kind meiner Mutter. Ich selbst fühlte mich als Kind an der Seite meiner Mutter unsicher, ja sogar ängstlich. Der Grund hierfür sollte sich später, als ich bereits in die spirituelle Welt eingetaucht war, zeigen.

      Wir lebten in einer winzigen Wohnung in einer einfachen Gegend. Graue, eintönige Gebäude reihten sich aneinander, es gab einen steinigen Innenhof und kaum Grün. Der Kindergarten war nur einen Sprung entfernt, die Schule ebenso. Als Kind empfand ich die Dimensionen natürlich anders. In der Küche stand eine winzige Sitzbadewanne aus Zink, was ich damals schon als ulkig empfand, und meine Schwester und ich teilten uns ein Zimmer. Die Wohnung selbst war gruselig, überall gab es Geister von Verstorbenen, und niemals wollte oder konnte ich ohne Licht einschlafen. Hier begann mein Sehen und Hören.

      Jahre später, als ich bereits erwachsen war, erzählte mir mein Vater, dass ich mit zwei oder drei Jahren meine Eltern warnte, sich nicht ins Wohnzimmer zu begeben. »Ihr könnt da nicht rein! Seht ihr nicht, dass schon alles voll ist? Viel zu viele Leute!« Ich sprach schon sehr früh, noch bevor ich gehen lernte. Natürlich glaubten mir meine Eltern nicht. Sie dachten, das Kind hätte einfach eine rege Phantasie.

      Ich fürchtete mich sehr in dieser Wohnung, und für meine Schwester