geschieht dies gleichermaßen, aber bei der Neuroplastizität geht es um viel mehr. Die aktuelle physische Architektur des Gehirns passt sich an neue Informationen an, indem sie sich selbst reorganisiert und neue neuronale Leitungsbahnen bildet, die auf dem beruhen, was eine Person sieht, hört, berührt, denkt, tut usw. Alles, dem wir Aufmerksamkeit schenken, alles, das wir in unseren Erfahrungen und Interaktionen betonen, schafft neue Verbindungen im Gehirn. Wohin die Aufmerksamkeit gelenkt wird, feuern die Neuronen. Und wo Neuronen feuern, „verdrahten“ oder verbinden sie sich.
WOHIN DIE AUFMERKSAMKEIT GELENKT WIRD FEUERN DIE NEURONEN und NEURONALE VERBINDUNGEN WACHSEN
Die Neuroplastizität führt zu einigen überaus interessanten Fragen für Eltern, und zwar hinsichtlich der Art von Erfahrungen, die sie ihren Kindern ermöglichen. Da Eltern die Aufmerksamkeit ihrer Kinder beeinflussen können und somit wichtige Verbindungen in den Gehirnen ihrer Kinder aufbauen und stärken helfen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Eltern über jene Erfahrungen nachdenken und darüber, welche Arten von Verbindungen sie dadurch in jenen jungen Gehirnen sich „verdrahten“ lassen. Wohin die Aufmerksamkeit gelenkt wird, da feuern die Neuronen. In einem Ja-Gehirnzustand „verdrahten“ sich die Neuronen auf konstruktive Weise, wenn sie feuern, indem sie das Gehirn verändern und integrieren. Wenn Sie also mit Ihrem Kind lesen und fragen, „Was glaubst du, hat das kleine Mädchen traurig gemacht?“, geben Sie ihm die Chance, Schaltkreise von Empathie und sozialem Engagement in seinem Gehirn aufzubauen und zu stärken. Einfach weil Sie jener besonderen Geisteshaltung Aufmerksamkeit geschenkt haben, stärken Sie den Schaltkreis des Mitgefühls. Oder wenn Sie Witze erzählen und Rätsel aufgeben, lenken Sie die Aufmerksamkeit auf Humor und Logik und helfen, jene Aspekte im Selbst Ihres Kindes zu entwickeln. Auf die gleiche Art und Weise werden neuronale Leitbahnen gelegt, die sein Selbstgefühl beeinflussen, wenn es schädlicher Scham und übermäßiger Kritik, entweder von Ihnen oder seitens eines Lehrers oder Trainers oder irgendeines anderen, ausgesetzt wird. Dieser negative Gehirnzustand in der Interaktion mit Ihnen kann ebenso das Gehirn aufbauen – aber nun wächst es nicht auf eine integrierte Art und Weise.
Da Eltern die Aufmerksamkeit ihrer Kinder beeinflussen können und somit wichtige Verbindungen in den Gehirnen ihrer Kinder aufbauen und stärken helfen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Eltern über diese Erfahrungen nachdenken und darüber, welche Verbindungen sie dadurch in den jungen Gehirnen sich „verdrahten“ lassen.
Sie haben die Wahl: negatives oder Ja-Gehirn? Genauso wie ein Gärtner eine Harke benutzt oder ein Arzt ein Stethoskop, können Eltern das Werkzeug der Aufmerksamkeit gebrauchen, damit sich wichtige Teile im Gehirn eines Kindes entwickeln und verbinden. Auf diese Weise können Sie das Wachstum Ihres Kindes in Richtung Integration lenken.
Gleichermaßen können, wenn wir bestimmte Phasen der Entwicklung unseres Kindes vernachlässigen, jene Teile seines Gehirns „beschnitten“ werden – sie können unterentwickelt sein oder sogar verkümmern und absterben. Das bedeutet, dass Kinder, wenn sie bestimmte Erfahrungen nicht machen oder ihre Aufmerksamkeit niemals auf bestimmte Informationen gelenkt wird, den Zugang zu jenen Fertigkeiten verlieren können, insbesondere durch den Prozess der Adoleszenz. Wenn Ihr Kind beispielsweise niemals von Großzügigkeit und Schenken erfährt, kann der Teil seines Gehirns, der für diese Funktionen verantwortlich ist, sich nicht voll entwickeln. Das Gleiche geschieht, wenn ihm nicht genügend Freizeit zur Verfügung gestellt wird, um zu spielen, neugierig zu sein und zu erkunden. Jene Neuronen werden nicht in der Lage sein, zu feuern, und die notwendige Integration, die zum Gedeihen führt, wird nicht auf die gleiche Art und Weise stattfinden. Einige dieser Fertigkeiten mögen später im Leben mit Energie und Mühe erreichbar sein, aber am besten ist es, diese das Gehirn entwickelnden Erfahrungen schon in der Kindheit und Jugend anzubieten, sodass sie sich frühzeitig ausbilden können. Wie wir immer wieder das ganze Buch hindurch erläutern werden, wird das, was Sie tun oder nicht tun, und das, was Sie beachten oder nicht beachten, Einfluss dar- auf nehmen, wer Ihr Kind wird.
Andere Faktoren, wie etwa Temperament und verschiedene angeborene Variable, sind offensichtlich genauso wichtig, wenn es darum geht, die Entwicklung der Gehirnfunktionen und -strukturen zu prägen. Die Gene können eine Hauptrolle bei der Formung des Gehirns und daher beim Verhalten der einzelnen Kinder spielen. Aber wir beeinflussen unsere Kinder auch auf bedeutsame Art und Weise durch die Erfahrungen, denen wir Raum geben, sogar angesichts angeborener Unterschiede, die sich unserem Einfluss entziehen. Das heißt, dass das Sich-Einstellen auf Ihr Kind, um die Erfahrungen ausfindig zu machen, die es braucht, und Ihre Hilfe, seine Aufmerksamkeit auf eine Art und Weise zu fokussieren, die seinem individuellen Temperament entsprechen, wichtige Wege sind, wie Sie das weitere Wachstum seines oder ihres Gehirns positiv beeinflussen können. Erfahrung formt das Wachstum der Verbindungen im Gehirn – in der Kindheit, in der Jugend und im Laufe unseres Erwachsenenlebens!
Die vier Grundprinzipien des Ja-Gehirns
Wenn Sie unsere anderen Bücher gelesen haben, wissen Sie, dass wir viel von der Ausbildung dessen sprechen, das wir das obere Gehirn nennen. Das Gehirn ist augenscheinlich außergewöhnlich komplex, daher besteht eine Möglichkeit, dieses besondere Konzept zu vereinfachen, darin, das sich entwickelnde Gehirn eines Kindes mit einem sich im Bau befindlichen Haus zu vergleichen, das sowohl ein Unter- als auch ein Obergeschoß besitzt. Das Parterre stellt die primitiveren Teile des Gehirns dar – den Hirnstamm und den limbischen Bereich –, die sich in den unteren Teilen des Gehirns befinden und sich vom oberen Hals bis zum Nasenrücken erstrecken. Wir bezeichnen dies als das untere Gehirn. Es ist für die fundamentalsten neuronalen und mentalen Funktionen zuständig, einschließlich starker Emotionen, Instinkte und Basisfunktionen wie Verdauung und Atmung. Das untere Gehirn funktioniert extrem schnell, größtenteils ohne dass wir uns seiner Arbeit bewusst werden. Es wird uns häufig dazu veranlassen, in bestimmten Situationen reaktiv zu sein und zu handeln, bevor wir darüber nachdenken, da unten der Ort ist, wo diese instinktiven, oftmals automatischen Prozesse niedriger Ordnung stattfinden.
Bei der Geburt ist der untere Teil des Gehirns ziemlich gut entwickelt. Das obere Gehirn indes ist der Teil des Hauses, der noch ein Großbauprojekt ist, verantwortlich für ein komplexeres Denken, für emotionale und Beziehungen betreffende Fertigkeiten. Es besteht aus dem zerebralen Cortex, der die äußerste Schicht des Gehirns ist, unmittelbar hinter der Stirn und sich in den Hinterkopf fortsetzend, wie eine Kuppel, die das untere Gehirn bedeckt. Das obere Gehirn erlaubt es uns, vorauszuplanen, Folgen zu bedenken, schwierige Probleme zu lösen, verschiedene Perspektiven einzunehmen und aufwendige kognitive Aktivitäten in Verbindung mit der Exekutivfunktion zu verrichten. Viel, aber keineswegs alles, was wir mithilfe unserer Alltagswahrnehmung erfahren, ist Ergebnis der höheren mentalen Prozesse unseres oberen Gehirns.
Das obere Gehirn braucht Zeit, um sich zu entwickeln, während ein Kind heranwächst und reift. Tatsächlich wird der Aufbau des oberen Gehirns nicht weitestgehend fertig sein, bis eine Person die Mittzwanziger erreicht hat. Wenn Sie einen einzigen Grund dafür haben möchten, mit Ihrem Kind geduldig zu sein, wenn es einen Trotzanfall bekommt oder auf andere Weise unvernünftig ist, so ist es folgender: Sein Gehirn ist noch nicht vollständig ausgeformt, und es ist, zumindest zeitweise, buchstäblich nicht in der Lage, seine Emotionen und seinen Körper zu regulieren. Es agiert in jenen Momenten aus seinem unteren, primitiven Reptiliengehirn heraus. Das ist der Punkt, an dem Sie, in Ihrer Eigenschaft als Eltern, ins Spiel kommen. Eine Ihrer Hauptaufgaben als Betreuer dieses Kindes besteht darin, es ins Leben zu begleiten und zu lieben, indem Sie ihm helfen, sein oberes Gehirn aufzubauen und zu stärken. Sie sind quasi sein externes oberes Gehirn, bis sein eigenes gut entwickelt ist. Auf dem Weg dahin können Sie das plastische Gehirn Ihres Kindes sich formen helfen, indem Sie ihm Erfahrungen des Ja-Gehirns ermöglichen. Auf diese Weise unterstützen Sie die Integration seines Gehirns, sodass die verschiedenen Funktionen des oberen Gehirns entwickelt und die Funktionen des unteren Gehirns ausbalanciert werden.
Wenn Sie einen einzigen Grund dafür haben möchten, mit Ihrem Kind geduldig zu sein, wenn es einen Trotzanfall bekommt oder sonst wie unvernünftig ist, so ist es folgender: Sein Gehirn ist noch nicht vollständig ausgeformt, und es ist, zumindest zeitweise, buchstäblich nicht in der Lage, seine Emotionen und seinen Körper zu regulieren.
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