– oder zumindest große Gefahr. Deshalb reagieren Menschen so heftig mit Angst und Stress, wenn sie den Verlust ihres sozialen Status fürchten.16 Beispielsweise weil sie gerade betriebsbedingt gekündigt worden sind und im mittleren und höheren Alter länger nach einer neuen Chance suchen müssen. Oder weil sie vielleicht auf der Bühne einen Vortrag halten sollen und Angst haben, sich zu blamieren.
Unseren präfrontalen Cortex brauchen wir für das Denken, für die logische Analyse, für das Bewerten unserer Emotionen und für die Impulskontrolle. Unter chronischem Stress schränken wir allerdings seine Fähigkeit ein, sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Deswegen ist es klug, sich zwischendurch immer mal wieder »abzuregen«. Die Lösung lautet: unstrukturierte Zeit. Also Stunden, Tage oder gar Wochen, die nicht durchgetaktet und verplant sind. Momente, in denen Sie einfach nur Ihrer spontanen Intuition folgen können. Dadurch entspannt sich der Körper. Und nach einer mehrwöchigen Erholungspause regenerieren sich auch wieder Neuronen.
Wenn Sie in einem Angestelltenverhältnis arbeiten, bei dem Sie sich immer wieder aufreiben, aber wenig Lohn und Anerkennung bekommen: Entfernen Sie sich nach Möglichkeit davon! Keine andere Art zu arbeiten löst so viel Stress aus, auch nicht die Selbstständigkeit. Als Selbstständiger können Sie Ihre Situation immer verändern und aktiv gestalten. Sich gegen die eigene Überzeugung unterwürfig zeigen zu müssen, erzeugt dagegen massive Spannung in Ihrer Psyche.
Die »Sandwich-Position« im mittleren Management ist dabei besonders anstrengend. Sich zwischen den Ansprüchen des Chefs und den Mitarbeitern aufzureiben, sollten sich nur Menschen zumuten, die eine extrem hohe natürliche Stressresistenz haben! Für alle anderen ist das nämlich ein ziemlich guter Weg in den Burn-out – natürlich je nach Firmenkultur und Branche.
Wichtig zu wissen: Jede Angst ist heilbar, auch die vor großen Veränderungen. Allerdings lautet das Grundprinzip beim Überwinden von Ängsten, dass wir uns ihnen stellen müssen. Bei einfachen Phobien, wie etwa der Angst vor Spinnen, schaffen es Verhaltenspsychologen binnen weniger Stunden, die Patienten von dieser Einschränkung zu befreien. Indem sie sich ihrer Angst stellen, lösen sie diese auf. Der begleitende Psychologe hilft ihnen dabei, Angstsymptome wie Herzrasen oder gar eine Panikattacke zu regulieren. Nach einigen Minuten, maximal zwei Stunden in einer vermeintlich gefährlichen Situation beginnt auch das aufgebrachteste Gehirn, sich zu entspannen. Wenn es nämlich nach dieser Zeit merkt, dass es völlig sinnlos Energie verschwendet, regelt es sich von allein langsam wieder herunter.
Das ist aber gleichzeitig ein Problem. Zu oft bleiben Menschen in für sie untragbaren Situationen stecken und versuchen, irgendwie »damit klarzukommen«. Was nützt es, wenn Menschen zwar Medikamente gegen ihre Depressionen einnehmen, jedoch ihre krank machenden Umstände und Verhaltensmuster nicht ändern? Verstehen Sie mich nicht falsch: Hat ein Arzt Ihnen Medikamente verschrieben, nehmen Sie diese unbedingt ein, und setzen Sie sie nicht ohne Rücksprache mit ihm ab. Aber die medikamentöse Behandlung allein braucht noch etwas anderes, damit die Ursache tatsächlich behoben werden kann. Depressive Menschen müssen ihre übererregte Amygdala in den Griff kriegen. Denn die ist darauf geeicht, möglichst alles Negative aus der Umwelt herauszufischen und es dann mit Pauken und Trompeten dem Bewusstsein zu präsentieren: »Sieh her, so schlecht ist die Welt! Verkriech dich lieber, damit dir nicht noch mehr Schlimmes passiert!« Die Betroffenen fühlen sich runtergezogen, sitzen fast nur noch zu Hause und vereinsamen. Dieses Vermeidungsverhalten macht die Stimmung nur noch schlechter.
Wenn Sie sich länger als einen Monat niedergeschlagen fühlen, sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt oder einem Psychotherapeuten darüber, und entwickeln Sie individuelle Lösungsstrategien, denn nach etwa sechs Wochen beginnen Depressionen, sich zu chronifizieren. Dann wird es zäher, sie wieder aufzulösen.
Wer aufgrund seiner Kindheit in jungen Jahren kein Selbstwertgefühl, keinen Optimismus und keinen Glauben an die eigene Kraft entwickeln konnte, kann das im Erwachsenenalter zum Glück immer noch nachholen. Am wichtigsten ist es, das Selbstvertrauen zu stärken, und zwar in kleinen Schritten. Das funktioniert sogar in krassen Lebenssituationen.
Stellen wir uns einen jungen Mann vor, der versucht hat, seinen seelischen Schmerz mit Drogen zu betäuben. Deshalb hat er im Berufsleben nie Fuß gefasst. Wenn er eine Stelle bekam, hat er sie kurz darauf wieder verloren. Irgendwann ist er Mitte 30 und glaubt, nun erst recht keine Chance mehr im Leben zu haben. Was aber, wenn er es schafft, den Drogen fernzubleiben? Das ist ein massiver Erfolg, den dieser Mensch da erreicht – und von dort aus ist quasi alles möglich. Wenn er sich seiner enormen inneren Kraft bewusst wird, kann er danach so gut wie alles schaffen. Was, glauben Sie, ist schwieriger: einen Wanderweg einfach entlangzuspazieren oder aber zu stolpern, eine Böschung ganz tief hinunterzufallen und dann mühsam wieder nach oben zu kraxeln?
Es gibt Menschen in der Wirtschaft, die eine Drogenabhängigkeit überwunden und es noch ganz nach oben geschafft haben. Um von seinem Drogenproblem wegzukommen, kann sich der junge Mann in diesem Beispiel erst einmal das Ziel setzen, jeden Tag spazieren zu gehen. In dem Bewusstsein, sich und seinem Körper etwas Gutes zu tun. Allein das kann unter Umständen schon revolutionär wirken. Er kann sich vornehmen, während des Spaziergangs beispielsweise keine Zigarette zu rauchen. Mit der Zeit dehnt er dies aus: Eine Stunde vor dem Spaziergang und eine Stunde danach wird nicht geraucht. Was für ein wunderbares Gefühl, wieder Kontrolle über das eigene Verhalten zu erlangen! Aus den Spaziergängen können längere Radfahrten durch die Natur werden. Plötzlich gibt es wieder andere Inhalte im Leben, Abwechslung, Freude. Zart regen sich die ersten Glücksbotenstoffe, auch ohne dass sie von Drogen hochgepeitscht wurden. Für den tatsächlichen Drogenentzug ist in aller Regel professionelle Unterstützung notwendig. Doch wer erst einmal so ein Hindernis vollständig überwunden hat, hat bewiesen, dass er zu den starken Menschen dieser Gesellschaft gehört, und verdient den größten Respekt.
Ob wir eher ein ängstlicher oder draufgängerischer Typ sind, ist teilweise genetisch begründet. Ein bestimmtes Temperament ist uns in die Wiege gelegt. Eine weitere große Rolle spielen unsere Lebenserfahrungen in den ersten drei Jahren. Dabei sind die Reaktionen der Eltern wichtig: Lassen sie das Kind auch einmal voranpreschen, oder schweben sie immer sorgsam darüber? »Nicht so schnell, nicht so hoch auf dem Klettergerüst, Timmy!«
Der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth erklärte es bei ZEIT ONLINE so:17 Wer die Anlage zur Schüchternheit in sich trägt, kann sich in dieser Phase zum freundlich zurückhaltenden oder auch zum misstrauisch zurückgezogenen Charakter entwickeln – je nachdem, was er erlebt. Denn in dieser Zeit ist das limbische System, also unsere Gefühlszentrale, noch sehr stark formbar. Später kostet es uns mehr Kraft, es zu verändern. Haben sich die neuronalen Pfade besonders ungünstig ausgeprägt, sind wir also durchgängig übermäßig misstrauisch, traurig oder wütend, ist eine Veränderung dieser Strukturen vor allem mithilfe von außen möglich. Unsere Hirnstrukturen bleiben plastisch, also veränderbar, zum Beispiel durch eindrückliche Erlebnisse oder durch intensive gute Gespräche.
Angst zu haben ist uns angeboren. Es ist völlig menschlich und natürlich. Und es ist ein Gefühl in zahllosen Abstufungen. Dabei gibt es allerdings verschiedene Arten von Angst: nützliche und unnütze. Die meisten Menschen haben ganz besonders viel Angst davor, zu verlieren oder sich vor anderen Menschen zu blamieren. Genau das schränkt sie ein, sodass sie nie wirklich sie selbst sein können. Lernen Sie deshalb, die Angst für sich selbst statt gegen sich selbst zu nutzen. Haben Sie Angst davor, nicht alles zu erleben, was sie hätten erleben können? Haben Sie Angst vor Reue? Nutzen Sie diese Angst als einen Ihrer Antreiber.
Angst als Empfindung entsteht durch ein komplexes Zusammenspiel aus Sinnesorganen und verschiedenen Hirnarealen. Sehen wir beispielsweise auf einem Herbstspaziergang etwas Langes, Glänzendes im Laub, reagieren wir erst einmal reflexartig. Der Sehnerv meldet das Bild an den visuellen Cortex des Großhirns. Der »sieht« das Bild und schickt die Information weiter an einen anderen Hirnteil, den Thalamus. Dieser leitet die Bildinformation an den Mandelkern und den Hippocampus weiter. Während der Hippocampus Bescheid gibt, ob wir ein solches Objekt schon einmal gesehen haben, bewertet der Mandelkern die Sinnesinformation mit einer Emotion. Der Hippocampus kann also beim Vergleich feststellen, dass »lang und glänzend im Laub« eine Schlange sein könnte. Das wertet der Mandelkern als Gefahr – und löst die Angstreaktion aus.
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