Sies mit der Religion, Herr von Rohr?
Gott ist eine universelle Kraft, die alles natürlich regelt. Auf Erden ist Gott für mich gelebte Liebe, ich glaube nicht an einen personifizierten Gott. Viele Kirchen spielen mit der Ungewissheit, was nach dem Tode kommt, mit diesen Schuld-und-Sühne-Höllenbildern, aber es gibt nur die menschengemachte Hölle. […], die Hölle für Tiefschläge. Rock’n’Roll für Musik und Liebe, die mich gerettet haben. Musik ist Therapie. Ich kenne nichts Stärkeres, um Gefühle und Anliegen auszudrücken und Menschen zusammenzubringen. Ein gutes Konzert feiert das Leben auf freistem und höchstem Level.
Sie pfeifen auf die konventionellen Pfade und leben unbeirrt Ihre Leidenschaft für die Musik. Woher haben Sie diese Kraft?
Aus meinen Genen, meiner sozialen Herkunft und aus den Sternen. Meine Eltern waren grossartig, trotz allen Spannungen. Meine Mutter brachte mir bei, gross zu denken und Vollgas zu geben, ohne die wichtigen Details und eine gewisse Sorgfalt aus den Augen zu verlieren. Mein Vater konnte seine künstlerische Ader nicht ausleben, das übernahm ich für ihn.
Welche Werte vermittelten Sie Ihrer Tochter?
Zu Weihnachten dankte sie mir, ihr meine Lebenslust und meinen Mut vererbt zu haben. Wie wunderbar! Auf dem Sterbebett kümmert dich nicht, wie viele goldene Schallplatten an den Wänden hängen sondern, ob du als Vater gut genug warst.
Die Autorin Sabine Hübner (2016) schreibt:
»Der fundamentale Unterschied in den Religionen verläuft nicht vertikal zwischen den einzelnen Bekenntnissen, sondern horizontal zwischen der esoterischen und exoterischen Ebene dieser Religionen. Alle Religionen haben eine exoterische Seite, das heißt, sie haben Bekenntnisse, Heilige Schriften, Rituale und Zeremonien. Die meisten Gläubigen bewegen sich auf dieser Ebene. Aber alle Religionen kennen auch einen spirituellen Weg, der über die Konfession hinaus führt in die Erfahrung dessen, was die Lehren nur beschreiben können. Im Hinduismus ist es der Weg des Rāja-Yoga, Kriyā-Yoga oder Patañjali, im Buddhismus sind es Zen und Vipassanā, im Islam gibt es den Sufismus, im Judentum die Kabbala und im Christentum die Wege der Mystik. Die Erfahrung der Gottheit, Satori, Unio Mystica – dies ist nur jenseits aller kognitiven Vorstellungen zu erreichen. Dieser Endzustand ist das reine Sosein im Hier und Jetzt und nicht ein abgehobener oder zukünftiger Zustand. Es gibt eine ›Sophia perennis‹, eine ewige Weisheit, die heute erst von wenigen gelebt wird, die aber eines Tages als das wahre Ziel einer jeden Religion erkannt werden wird. Die Menschen der Zukunft werden ›Erwachte‹ sein.«
Die beiden Begriffe Religiosität und Spiritualität möchte ich praxisnah umschreiben, ohne dabei auf theoretisch wissenschaftliche Differenzierungen einzugehen.
Schon mit der Geburt werden wir in eine spezifische Kultur, Religion und Weltanschauung eingebettet und in der Kindheit durch selbige erzogen und geprägt. In meiner Kindheit haben wir vor den Mahlzeiten gebetet und abends vor dem Einschlafen gesungen, Gott im Gebet um Vergebung gebeten und uns seinen Schutz anvertraut. Das bleiben zeitlebens Prägungen, die tiefe Wurzeln haben. Der richtende, angstmachende Gott dominierte damals.
Es gibt keine allgemein anerkannte Definition von Religion. Religion ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Weltanschauungen, deren Grundlage der jeweilige Glaube an bestimmte transzendente Kräfte darstellt. Religiosität entspringt dem persönlichen Streben nach Sinngebung. Ein religionsloses Volk, das hat die Wissenschaft festgestellt, gibt es nicht. Alle Kulturen haben neben ihrer profanen, weltlichen Seite einen sakralen, heiligen Bereich. Religion ist ein Wegweiser für mehr Erkenntnisse.
Eine Voraussetzung dafür, sich auf diesen Weg zu begeben, liegt darin zu lernen, über den eigenen Tellerrand zu blicken und sich von absoluten Meinungen und der Denkweise zu lösen, dass es nur ein richtig oder falsch gäbe. Stattdessen sind eigene Wurzeln zu vertiefen und eine Haltung einzunehmen, die gegenüber anderen Kulturen und Religionen offen, flexibel und neugierig ist, eine Haltung, die die Bereitschaft mitbringt, von diesen zu lernen.
Die meisten Religionen haben einen Religionsstifter, sie besitzen heilige Schriften, Rituale, Zeremonien, Festtage, wichtige Orte und Regeln für das Glaubensleben wie für den Alltag. Diese geben zum Beispiel vor, wie die Menschen essen, was sie anziehen oder wie sie mit ihrem Partner und ihrer Familie leben sollen.
Gotteshäuser sind entstanden. Nicht selten auch der Anspruch, die eigene Religion beziehungsweise Konfession wäre die allein Richtige. Die Lebensgewohnheiten anderer Religionen (und Konfessionen) sind uns oft fremd. Ja, sie sind unterschiedlich und doch sind sie, schauen wir genau hin, in vielem ähnlich. Viele Religionen kennen nur einen Schöpfergott. Andere verehren viele Gottheiten, glauben dabei aber dennoch an eine Urkraft.
Eine Denkweise des Absolut-Setzens verhindert ein wechselseitiges wertschätzendes Miteinander. Wie häufig sind es Unsicherheiten, die uns voneinander abgrenzen lassen. Im schlimmsten Fall endet das in Streit oder Krieg. Wer anderen Menschen Leid zufügt, hat die Botschaft der Religionen nicht verstanden. Dabei liegen Neid, Hass und Gewalt Religionen fern, sie alle möchten Liebe und Frieden stiften.
Eine göttliche Schrift existiert nicht. Heilige Schriften sind von Menschen geschrieben. Die Urkraft, das Unbeschreibliche, Gott lässt sich nicht beweisen.
Ein Blickrichtungswechsel ist in unserer globalisierten Welt im Umgang der Religionen miteinander dringend notwendig: Wie Gesellschaften und Kulturen sollten sich Religionen als gleichwertig ansehen und achten.
Der Begriff der Spiritualität lässt sich nicht so leicht definieren. In Anlehnung an den Dalai-Lama lässt dessen Bedeutung so erklären: »Spiritualität« leitet sich vom lateinischen »spiritus« ab: Geist, Hauch, Atemluft; »spiro« (ich atme) bedeutet im weitesten Sinne »Geistigkeit«. Was atmet, lebt. Wer den Atem verloren hat, hat auch die Verbindung zum Leben nicht mehr.
Spiritualität ist eine geistige Verbindung zum Transzendenten oder, mit anderen Begriffen, dem Jenseits oder der Unendlichkeit. Der Schwerpunkt der Religiosität liegt auf der Ordnung einer transzendenten Wirklichkeit.
Kein Weltfriede ohne Religionsfrieden. Aufgrund dieser Aussage und Haltung entzog der Vatikan dem Schweizer Theologen Hans Küng die Lehrerlaubnis. Ein Blick in Geschichte und Gegenwart macht offenkundig, wie Hierarchie und Dualität in Religionen dominieren. Stattdessen, so wäre zu wünschen und zu fordern, sollte ein Miteinander, ein wertfreies Leben im wechselseitigen Nehmen und Geben, den Umgang der Religionen prägen, eine gegenseitige Akzeptanz und Toleranz.
»Frieden auf Erden« ist die christliche Weihnachtsbotschaft, »Schalom« der Gruß aller Juden weltweit und »Salam aleikum!« (»Friede sei mit Euch!«) der Gruß in der arabischen Welt. »Die Liebe und das Mitgefühl sind die Grundlagen für den Weltfrieden – auf allen Ebenen.«, sagt der Dalai-Lama.
Schauen wir in die Welt, sind viele versucht zu sagen: Kaum zu glauben, dass die Weltreligionen so sehr für Frieden auf Erden sind. Es herrscht so viel Unfriede in der Welt! Weshalb sind auch die religiösen Menschen im unfriedlichen Einsatz mit dabei?
Es wird viel über Frieden, Gerechtigkeit und Nächstenliebe geschrieben, gesprochen und diskutiert. Deren alltägliche Umsetzung wird jedoch weniger eingeübt. Die übliche Verdrängung und Entschuldigung sind uns geläufig: »Wir sind doch alles nur Menschen und machen Fehler« oder »Wir können eh nichts machen«. Vorgelebte Authentizität ohne Werten und Wegducken sind heute notwendiger denn je.
Bei der spirituellen Begleitung von Menschen mit Demenz geht es darum, den Menschen in seinem Anderssein zu begleiten, Erfahrungen der Gemeinschaft zu ermöglichen, ihm ein verlässliches Umfeld zu schaffen, mit ihm vertraute, religiöse Rituale zu gestalten, ihm auf diese Weise Sinn, Geborgenheit und Halt zu geben und vor allem, sein Selbstbewusstsein zu stärken.
Demenz ist eine schwere Krankheit. Sie ist zugleich, vor allem in den späteren Krankheitsphasen, eine andere Art des Seins. Gerade in diesen späteren Krankheitsphasen dominieren Emotionen; zugleich geht die Verhaltenskontrolle erkennbar zurück. Demenzkranke wollen nicht verletzen und sich nicht verletzen lassen. Im Falle von Grenzüberschreitungen dürfen und sollten wir uns abgrenzen: Sachlich und klar haben wir unsere eigenen Gefühle und persönliche Bedürfnisse mitzuteilen. Menschen mit Demenz leben