Katrin Jonas

Meditation heilt


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zu sammeln. Während ich Ihnen im ersten Kapitel aufzeige, wo die Knackpunkte in der konventionellen Schmerztherapie liegen und wo sich folglich der Einflussbereich von Meditation aufspannen kann, erkläre ich Ihnen im zweiten Kapitel, warum der menschliche „Mind“ als der Produzent nervaler Reaktionen sowohl in der Schmerzintervention als auch in der Meditationspraxis die Hauptrolle spielen muss. In Kapitel drei werden Sie konkrete Hinweise dazu erhalten, wie Sie Ihr „meditatives Warm-up“ gestalten und wie Sie Achtsamkeit schrittweise in Ihr tägliches Leben integrieren können. Währenddessen arbeiten Sie bereits Ihre persönlichen Präferenzen heraus, sodass Sie gut vorbereitet sind, wenn ich Ihnen die Vorteile bewegungsorientierter Meditationsmethoden aufzeige. Auch hier dürfen Sie augenblicklich in die Meditationspraxis eintauchen und erfahren, worin der Unterschied zum konventionellen stillen Meditieren besteht. Ausgewählte passive Meditationstechniken stehen im fünften Kapitel im Mittelpunkt. Praktische Tools helfen Ihnen auch hier beim Sammeln neuer Erfahrungen, sodass Ihnen die Einkehr nach innen problemlos gelingt.

      Nach diesem Exkurs in die Innenwelt Ihres Organismus verfügen Sie über vielfältige Erfahrungen mit verschiedenartigsten Meditationsformen. Mittlerweile zum „Meditationsexperten“ avanciert, können Sie außerdem auf ungezählte Tipps und Tricks zurückgreifen, mit denen Meditationspraxis vor dem Hintergrund von Schmerzen funktioniert.

      Ein wasserdichtes Versprechen auf Schmerzfreiheit kann ich Ihnen nicht geben, aber viele praktische Erfahrungen, körpernahe Alternativen und vielleicht den alles revidierenden Moment, einen Moment, der Ihr Empfinden verändert, einen, durch den sich ihr Leben dreht.

       KAPITEL 1

      Schmerzverarbeitung im Neuronendschungel des Gehirns

      Schmerz-Prolog

      Dauerschmerz ist wie ein Stachel, der im Körper sitzt. Ob Empfinden, Aufmerksamkeit, Bewegung, Antrieb, Vitalität, Schlaf oder Sex, es scheint, als durchbohre er alles, die gesamte Erfahrungswelt als Mensch. Mir fallen nicht viele vergleichbare Umstände ein, die das Lebensgefühl schwerer belasten als manifestierter Schmerz.

      Ihn als Dauergast im Körper zu begrüßen, ihn zu bewältigen oder ihn sogar zu akzeptieren, wie es im Therapiedeutsch heißt, kommt einem am leichtesten über die Lippen, wenn man ihn nicht hat. In der Realität verhält es sich nämlich vollkommen anders, da ist Schmerzbewältigung salopper gesagt als praktisch getan.

      Damit wir verstehen, wo das praktische Wirkungsfeld von Meditation im Schmerzgeschehen liegt, müssen wir beide Bereiche in ihrer Essenz begreifen. Schauen wir zunächst einigen schmerzhaften Tatsachen ins Auge, die für die Kopplung dieser beiden Mammutgebiete bedeutsam sind.

      Meditation und Schmerz – zwei spannende Themen, die ich mit Fakten, Fragen und jeder Menge praktischer Tipps in ein neues Licht setzen möchte.

      Akutes und Chronisches

      Wenn von chronischen Schmerzen die Rede ist, gibt es also auch andere, ja, akute. Was wiederum heißt, dass die chronischen da anfangen, wo die akuten aufhören.

      Ein akuter Schmerz ist einer, der durch eine Gewebeschädigung oder Funktionsstörung im Körper entsteht. Unsere Sensoren für Schmerz, die Nozizeptoren, nehmen diese auf und leiten sie übers Rückenmark weiter zum Gehirn. Doch ganz gleich, ob es sich um Geburts-, Hals-, Zahn-, Menstruationsschmerz oder eine Nierenkolik dreht, dieses lebenserhaltende Es-tut-weh-Signal verstummt wieder, sobald der auslösende Reiz beseitigt, die Schädigung des Gewebes geheilt ist. Wer keine einschlägigen Erfahrungen damit hat, kennt zumindest die Kurzversion: Beim Rasieren schneiden Sie sich ins Kinn oder beim Brotschneiden in den Finger: Pflaster drauf, Schnitt geschlossen, Schmerz ade. Oder: schmerzender Zahn raus, Füllung rein, Problem behoben. Muskelkater: Milchsäure im Muskel weg, Stoffwechsel normal, das Ziehen vergeht und so weiter. Aber bereits an der Schnittstelle: „OP-Narbe geschlossen, Schmerz vorbei“ beginnt nicht selten das Dilemma, denn viele OP-Narben heilen nicht wie erhofft. Einige bleiben auf Dauer überempfindlich und sind Urheber energetischer Blockaden sowie bleibender muskulärer Dysbalance. Die Folge: Dauerspannung in den Muskeln, eingeschränkte inter- und intramuskuläre Funktion, und schließlich Schmerz, der zum Reaktionsmuster wird.

      Schmerzkrankheit

      Als chronischen Schmerz bezeichnet man dann genau jenen, der bleibt, und zwar länger als drei Monate, und auf eingeleitete Intervention zögerlich oder gar nicht reagiert. Mit zunehmender Zeit spricht man in der allopathischen Medizin von einem Schmerzsyndrom und sieht das Geschehen als eigenständiges Krankheitsbild an. Diagnose: Schmerzkrankheit. Der Betroffene erfährt von diesem Namen zumeist nichts. Er hört von seinem Arzt Begriffe wie Chronisches Lumbalsyndrom, Carpaltunnelsyndrom, Schulter-Arm-Syndrom, Rezidivierende Ischialgie, Frozen Shoulder, Tennisellbogen, Impinchment-Syndrom, Fibromyalgie, Trigeminusneuralgie, Arthrose, Chronische Polyarthritis und Co. Während ein Syndrom eigentlich nur ein allgemeines Beschwerdebild beschreibt, ist bei einer „Algie“ Schmerz im Spiel. „Algie“ heißt, es tut etwas weh. Und damit beginnt dann meistens der Konflikt. Warum reagiert er nicht, der Schmerz? Oder: Was ist der Grund dafür, dass er bleibt?

      Schmerzgedächtnis

      Was im Zusammenhang mit der Chronifizierung von Schmerz lange diskutiert wurde, ist das so genannte Schmerzgedächtnis, das sich offenbar entwickelt, wenn Schmerz auf lange Zeit besteht und gegenüber heilenden Impulsen immun bleibt. Der Begriff ist unglücklich gewählt, weil Betroffene ihn mit einem profunden, wenn nicht sogar schwerwiegenden und nur langfristig zu lösenden Problem im Gehirn assoziieren. Was sich dahinter verbirgt, ist aber allein die Beobachtung, dass sich der dauerhafte Verkehr von Schmerzsignalen verselbstständigt hat und zu einer Gewohnheit der reizübertragenden Nervenzellen in Rückenmark und Gehirn geworden ist.

      Konkret: Nach längerem Auftreten des schmerzauslösenden Reizes senden die Nervenzellen ununterbrochene Schmerzsignale ans Gehirn, selbst dann noch, wenn der Grund in der Peripherie des Körpers, an der Haut, im Muskel, Gelenk, Kreuzband, Organ oder Sehnenstrang, längst verschwunden ist. Man spricht von „spontanaktiven“ Zellen, deren Reaktion sich mit der Zeit nicht nur automatisiert, sondern auch an Heftigkeit und Schnelle zunimmt.

      Auch wenn dieses Modell als veraltet gilt und nicht für die Erklärung jeder einzelnen Schmerzliaison taugt, kennen einige meiner Klienten dessen Wirkung im Körper ganz genau: Während der Schmerz unverändert weiter schießt, können sie mitunter sogar spüren, dass das Schmerzgebiet als solches längst nicht mehr die Wurzel allen Übels ist, sondern, wie eine Klientin es erst kürzlich beschrieb, „als eine tief sitzende Erinnerung im Gewebe“ existiert.

      Schmerzverarbeitung: mysteriöser Dschungel Gehirn

      Während Schmerzforscher ziemlich detailliert nachvollziehen können, auf welchem Wege Schmerzsignale aus der Peripherie des Körpers zum Gehirn gelangen, besteht weitaus weniger Klarheit darüber, was mit den Impulsen exakt passiert, nachdem sie im Netzwerkdschungel des Gehirns verschwunden sind. Deshalb bleibt das Rätsel: Wie aus dem Körper aufsteigende Impulse nach Ihrer Ankunft im Gehirn exakt gemixt und in Schmerzempfinden übersetzt werden, geschieht innerhalb eines gigantischen Netzwerks von Nervenzellen, das bis ins kleinste Detail kaum nachvollziehbar ist.

      Wiederum weiß man, dass sich die Gehirnaktivität bei Menschen mit Dauerschmerz im Zuge der Schmerzverarbeitung anders gestaltet als bei Menschen ohne Schmerz. Es werden nicht nur andere Gehirnareale erregt, die normalerweise ruhig und unbeeinflusst bleiben, sondern auch anders abgerufen und unterschiedlich miteinander verknüpft.

      Das Gehirn pegelt sich auf eine Art Schmerzmodus ein, dem eine hartnäckige Beständigkeit zu unterliegen scheint. Umkehrbar ist dieser nicht ohne Weiteres, oder sagen wir: zumindest nicht auf konventionellem Weg.

      Schmerzamplituden

      Bei aller Pein ist chronischer Schmerz bei weitem kein Einheitsphänomen. Es gibt ihn zwar wirklich, den Dauerschmerz, der permanent anwesend ist, Tag und Nacht, und keine Auszeit kennt. Das ist wohl derjenige, der am meisten den Begriff „chronisch“ verdient. Doch bleibender Schmerz muss bei Weitem keine umfassende Es-tut-immer-weh-Erfahrung sein. Es gibt auch intervallartige Schmerzen, bei denen sich extreme Schmerzschübe und schmerzfreie oder zumindest beschwerdeärmere