wird, am Feldzug gegen den Gegner Schmerz, und der Fokus an dessen schnellstmöglicher Vernichtung klebt. Dieses Vorgehen entspricht natürlich dem dringenden Bedürfnis Betroffener, umgehend schmerzfrei zu sein, anstatt sich auf die Suche nach inneren Zusammenhängen zu begeben.
Doch gerade darin sehe ich die Achillessehne der allgemeinen Schmerztherapie. Wenn die Grundlage des Schmerzes im Dunkeln bleibt, mögen Behandlungen und Medikamente zeitweilige Erfolge bringen, doch diese werden genauso schnell verpuffen wie die Zuversicht Betroffener, dass ein schmerzfreier Zustand im Bereich des Möglichen liegt.
Schmerzverschiebung
Bezwungener Schmerz bedeutet keineswegs automatisch Erfolg. Schmerz kann auch lediglich verlagert werden, ein Tatbestand, der in der konventionellen Medizin gar nicht existiert. Das heißt, dass Beschwerden, wenn sie über längere Zeiträume hinweg betäubt, bespritzt und fokussiert behandelt werden, durchaus von einem Körperbereich in einen anderen wandern können. Thematisiert wird dieser Umstand schon deshalb nicht, weil ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Ereignissen weder offensichtlich und schon gar nicht nachweisbar ist. Wahrgenommen wird einzig, dass ein Schmerzherd abklingt, doch kurze Zeit später ein neuer entsteht.
Beispiel Gelenkbeschwerden: Wenn in die arthrotische Hüfte ein neues Gelenk eingebaut wird, kann das Hüftgelenk als solches nicht mehr weh tun. Da aber die Hüftmuskulatur im organischen Zusammenspiel mit den anderen Strukturen des Körpers keine Veränderung erfahren hat, ist der ursprüngliche Zustand genau derselbe, abgesehen davon, dass die schmerzende Struktur in Form einer Endoprothese zunächst keinen Schmerz mehr melden kann. Infolgedessen ist der Körper funktionell gezwungen, einen anderen Ausdrucksort zu finden, der mitunter in Schulter und Nacken, zumeist aber in den benachbarten Strukturen wie im Lumbalbereich oder den Kniegelenken liegt.
Oder Nackenschmerz: Wenn man an den Nackenmuskeln beharrlich zieht und dehnt, an den Wirbeln manipuliert und renkt, kann es passieren, dass der Nackenschmerz vergeht. Oft stellen sich einige Zeit später Symptomkomplexe wie Schultersteifen, Impingement-Syndrom, Tennisellenbogen, Karpaltunnelprobleme oder Lumbal- oder Kniebeschwerden ein und die Betroffenen sind nur erstaunt. O-Ton einer Klientin: „Kaum hatte ich den Nacken im Griff, da fing der Ellenbogen zu meutern an.“
Das kann nicht wirklich überraschen. Wo auch immer der Körper seine Dysfunktion ausdrückt, in den wenigsten Fällen handelt es sich dabei um die Lokalisation des primären Problems. Schmerzvertreibung ist ein Vorgang, der jegliche Form der Therapie massiv erschwert und unnötigerweise in die Länge zieht.
Kompensationsmechanismen
Darüber hinaus ist es eine Tatsache, dass zahlreiche Schmerzzustände aus einer kompensatorischen Situation heraus entstehen. Bleiben wir noch beim störanfälligen Nacken: Mit welchem Tonus unsere Nackenmuskeln arbeiten, hängt maßgeblich von der Flexibilität der gesamten Wirbelsäule sowie vom Becken als Bewegungszentrum des Körpers ab, im weiteren Sinne sogar von der Hüft-, Knie- und Fußfunktion. Wenn es zu Einschränkungen in diesen „unteren“ Bereichen kommt, zwingt man die Schulter- und Nackenmuskeln automatisch in eine Kompensationssituation hinein. Wird dann vor diesem Hintergrund an den Halswirbeln manipuliert, gerenkt oder operiert, behandelt man den verkehrten Teil des Systems – genau genommen denjenigen, der aus funktioneller Sicht gar nicht für Veränderung sorgen kann. Er gleicht ja nur aus, was andere Teile verhindern. Er kompensiert, was anderswo aus der Funktion gefallen ist.
Der Körper ist ein System, in welchem alle Teile miteinander verbunden sind und als Team agieren. Ist nur ein winziges Glied im System verändert, ist jedes Teammitglied in diese Veränderung involviert. Wenn infolgedessen Beschwerden auftreten oder Schmerz entsteht, ist das zwar alarmierend, aber tatsächlich zweitrangig und nicht primär ausschlaggebend für die Intervention.
Schmerztherapeutisches
Ob ursachenfokussiert oder symptombezogen, nichtmedikamentöse Schmerztherapie konzentriert sich in der gängigen Praxis zumeist auf ein relativ ähnliches Vorgehen, wenn auch die Betonung dem Heilansatz entsprechend unterschiedlich ist: Physikalische Therapie, Krankengymnastik, Entspannungsverfahren, Schmerzkuren, Psychotherapie, Alternativmedizin oder OP. Schmerzkliniken und Praxen profilieren sich oft mit einer Mischung aus diesen Ansätzen. Der Trend liegt im Therapiekanon, was bedeutet, dass man dem Schmerz auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig zu begegnen versucht. Dieses multimodale Schmerzkonzept beruft sich darauf, Schmerz von der körperlichen und seelischen Seite her in Angriff zu nehmen, und immer mehr kommt auch der mentale Aspekt hinzu.
Doch ob die gewählte Strategie letztendlich greift, ist und bleibt ein Experiment, und zwar deshalb, weil identisch lokalisierte Schmerzen, selbst mit ähnlich gelagerten Ursachen eben nicht homogen auf denselben Impuls reagieren, weder als Einzelmaßnahme noch in der Powerkombination.
Schauen wir auf zwei Rückenschmerzpatienten, denen mit einer herausgedrückten Bandscheibe im gleichen Segment ein bewegungsbasiertes Schmerzprogramm verordnet wird. Während einer der Betroffenen ausstrahlenden Schmerz bis in die Zehen hinein spürt, der bei Aktivität und Bewegung nachlässt, kann ein anderer nicht einmal durchatmen oder husten, wenn er sich rührt. Lust auf Bewegung? Anstatt sich nach Mobilisation zu sehnen, bleibt er lieber im Bett.
Während ein Schmerzgeplagter im Moorbad inmitten einer Ischialgie entspannen kann und sich für den Rest des Tages ausgewogener fühlt, löst dieselbe Anwendung bei einem anderen eine Schmerzattacke höchsten Grades aus, die ihn für Stunden handlungsunfähig macht und ihm die Laune verdirbt. „Nie wieder …“, schwor einer meiner Klienten nach der Rehakur, „nie wieder steige ich in eine Moorwanne rein.“
Nicht anders verhält es sich in der Psycho- oder Verhaltenstherapie, die bei Rückenschmerz immer häufiger hinzuaddiert wird. Während der eine Patient diese als willkommene Ergänzung begrüßt, begibt sich ein nächster in Abwehrstellung, weil er sich nicht ernst genommen fühlt und mehr Spannung aufbaut als je zuvor.
Dass bei Bandscheibenvorfällen mit Lähmungserscheinungen als einziger Ausweg der operative Eingriff bleibt, stimmt ebenso wenig. Für manche ist er die Rettung, für andere ein ziemlich böser Witz. FBSS nennt man die schmerzenden Probleme nach erfolglosen Wirbelsäulen-OPs oder: „Failed-Back-Surgery-Syndrome.“
Pauschalantworten taugen nicht
Dass es in der Schmerztherapie alles gibt, nur kein allgemeingültiges Konzept, ist eine Tatsache, an der sich so gut wie jeder Involvierte reibt. Denkt ein Physiotherapeut beispielsweise bei der Behandlung muskuloskelettaler Schmerzen darüber nach, wohin diese denn eigentlich steuert, fällt eine eindeutige Antwort schwer. Wäre es nämlich ein durchtrainierter, starker Körper, der das Abklingen oder Ausbleiben von Muskel- oder Gelenkschmerzen garantiert, dürften weder Sportler noch Bodybuilder oder Trainierte solche haben. Das ist aber ein Trugschluss. Gerade unter ihnen finden sich zahlreiche über Schmerzen Klagende, die ihre Trainingseinheiten, Auftritte oder Wettkämpfe nur mit Schmerzmitteln, Wärmepflastern oder zusammengebissenen Zähnen schaffen.
Wären fehlende Beweglichkeit und mangelnde Elastizität des Körpers die Ursache für Schmerzen und stretchwillige Muskeln die Alternative, dürften Tänzer, Leistungsgymnasten, Yogis oder Akrobaten ebenfalls davon verschont bleiben. Das sind sie aber nicht. Ich habe mit zahlreichen Sportlern, Ballettvirtuosen, Yogis und Yoginis gearbeitet. Viele von ihnen führen einen unerbittlichen Kampf gegen den Schmerz, der bei chronischer Überdehnung der Muskelfasern nur schwer zu gewinnen ist.
Wäre ein entspannter Körper der Schlüssel für das Ausbleiben von Schmerz, müssten gelassene Menschen oder solche ohne herausfordernden Lebensstil frei von Schmerz sein. Auch das trifft nicht immer zu, denn einige meiner Klienten mit Dauerbeschwerden sind Spezialisten in Entspannungstechniken wie Autogenem Training oder PMR.
Was uns zum letzten Beispiel bringt: Dass Menschen mit einer gesunden Lebensweise, oder zumindest dem, was im herkömmlichen Sinne darunter verstanden wird, vom Schmerz verschont bleiben, trifft leider auch nicht zu. Viele meiner Klienten kümmern sich ausgesprochen penibel um ihren Körper, ihren Lebensstil und ihr Befinden. Sie vermeiden ungesunde Speisen, Alkohol und Zigaretten, achten auf ausreichend Schlaf, ein optimales Körpergewicht, investieren in Privatbehandlungen und vermeiden so viel wie möglich von allem, was im Allgemeinen als Krankheitsrisiko gilt. Und dennoch bleiben sie