zu verfügen, die für einen schmerzlindernden Effekt verantwortlich sind.
Nocebo
Immer öfter liest man vom Nocebo-Effekt, dem umgekehrten Placebo, was bedeutet, dass Schmerz aufgrund einer bewussten oder unbewussten SchmerzErwartungshaltung entsteht. Die „Self-fulfilling Prophecy“, eine sich erfüllende Voraussage, stellt sich tatsächlich ein, wenn mit Schmerz oder dessen Verstärkung gerechnet wird.
Und damit berühren wir einen der größten blinden Flecken moderner Medizin, denn genau solche im Unterbewusstsein ablaufenden Vorgänge, wie sie dem Nocebo-Effekt zugrunde liegen, werden flächendeckend ignoriert. Denken wir nur an Sätze, die von Arzt- oder Therapeutenseite durchaus gängig sind: „Jetzt versuchen wir erst einmal das … Und wenn das nicht anschlägt, weiß ich auch nicht mehr weiter …“ oder: „Wenn das so weitergeht, wird der Schmerz chronisch, und dann haben wir ein wirkliches Problem …“ oder: „Wenn das so weitergeht, kommen wir um einen operativen Eingriff nicht herum“.
Es macht einen Riesenunterschied, ob man einem Rückenschmerzgeplagten die Operation als „Worst-Case-Szenario“ in Aussicht stellt oder ihm vermittelt, welche Ressourcen es gibt, die für ihn sofort nutzbar sind.
Doch der Nocebo-Effekt kann auch subtiler initiiert werden. Zum Beispiel, wenn es um „Vor-Sorge“ und Präventionsuntersuchungen geht. Ohne Zweifel ist es wichtig, sich um seine Gesundheit zu kümmern. Dennoch halte ich es für krankheitsfördernd, den Fokus auf mögliche Störungen zu richten. Untersuchungen im Sinne der Früherkennung säen oftmals erst die Vorstellung eines Problems. Wer sowieso schon vorbelastet, schmerzerfahren, übermäßig hellhörig oder ängstlich ist, öffnet sowohl Beschwerden als auch der Schmerzentwicklung Tür und Tor.
„Therapieresistenz“
Der Nocebo erreicht dann seinen Gipfelpunkt, wenn Ärzte oder Therapeuten aufgeben. Ich bin einigen Betroffenen begegnet, die von ihrem Arzt irgendwann einmal beiseitegenommen worden waren mit der Botschaft, die Wahl der Heilmittel sei ausgeschöpft. „Therapieresistent“ heißt das, oder schmuckloser: Weitere Versuche sind zwecklos. Dass das eine innere Katastrophe ist, muss man nicht erklären, weil eine solche Prophezeiung jegliche Zuversicht, jeden noch so kleinen Hoffnungsschimmer auf Besserung begräbt.
Glücklicherweise schält sich diese Prognose zumeist als unhaltbar heraus. Ich habe mit zahlreichen „therapieresistenten“ Menschen gearbeitet, die sich entgegen aller Voraussagen regenerierten und in ein schmerzfreies Leben zurückgekehrt sind.
Schmerz konkret
Anna
litt an diffusen Schmerzen im ganzen Körper und hatte bereits mit zweiundvierzig das Gefühl, steinalt zu sein. Zu machen sei da nichts mehr, hatte man ihr gesagt, sie sei „vollständig austherapiert“.
Anna ist inzwischen beschwerdefrei. Die Biss-Schiene für den Kiefer hat sie in den Müll geworfen, sie lacht wieder und ist ihrem Naturell entsprechend ein bewegungsaktiver Mensch.
Geert
stellte mir seinen eingegipsten Arm mit einem Tennisellenbogen vor, der seit einem Jahr auf keinerlei therapeutische Intervention reagiert hatte. Die Palette der Mittel sei ausgereizt, so sein Arzt, und in seinem Alter (gerade fünfzig geworden) sei es einfach Verschleiß, der für seine Beschwerden verantwortlich war. Für Geert kam das einer Katastrophe gleich, denn mit einem Computerarbeitsplatz und einer leitenden Position, die Schonzeiten ausschloss, hatte er keine Alternative parat. Und einen Plan B gab es nicht.
Mit einem auf ihn zugeschnittenen Intensivprogramm für Körperbewusstheit brauchte Geert kein Vierteljahr, bis er schmerzfrei und bald auch wieder frei beweglich war.
Elisa
stand kurz vor einer geplanten Bandscheiben-OP, aber sie wollte doch noch einen letzten Versuch unternehmen, um ihre bis in die Zehen ausstrahlenden Schmerzen loszuwerden. Längeres Sitzen, Stehen und Liegen waren längst unmöglich und die Lust am Leben fehlte ihr auch. Elisa habe zu lange gewartet, so ihr Orthopäde. „Kaputt ist kaputt“, kommentierte dieser den Röntgenbefund. Selbst eine OP werde nur partiellen Erfolg bringen.
Nach einem knappen Jahr begann Elisa wieder Sport zu treiben. Sie joggt, reitet, tanzt, fährt Ski und reist. Sie lebt das aktive Leben, das sie mit vierunddreißig Jahren begraben hatte.
Katharina
suchte nach drei Jahren Kopfschmerz eine sogenannte Koryphäe im Bereich der Schmerzmedizin auf. Als der Spezialist ihre Geschichte mit mehreren Unfällen und ebenso vielen Therapieversuchen hörte, empfahl er Katharina, sich mit dem Schmerz zu arrangieren. Es gebe nun einmal Menschen, bei denen nichts helfe, und mit fast sechzig sei es normal, dass der Körper weniger ansprechbar sei.
Nach nur sechs Sitzungen, in denen wir einfache Bewusstheitstechniken anwendeten, reduzierte Katharina ihren Schmerz um gefühlte fünfzig Prozent. Mit Meditation kam dann die Wende. Die vernichtenden Worte des Arztes zu vergessen war der schwierigste Teil der Intervention.
Schmerzpunkt IV
Unangefochten ist die Tatsache, dass Schmerz zu den heiklen, weil hochkomplexen Themen im therapeutischen Alltag gehört. Während Symptomvernarrtheit direkt ins Leere führt und Schmerz sich weder in diagnostische Gleichmacherei noch in eine Therapie von der Stange packen lässt, liegt nahe, dass der symptomfokussierte Lösungsansatz nur partiell hilfreich ist.
Abenteuer Gehirn
Und das hat etwas damit zu tun, dass Dauerschmerz hausgemacht – oder präziser: hirngemacht ist. Wenn wir Schmerz beeinflussen wollen, geht es automatisch um die Verarbeitung von Schmerzsignalen im „Headquarter Gehirn“. Und da betreten wir geradewegs Neuland. Trotz High-Tech-Medizin und digitaler Diagnostik ist es nicht einmal ein Vierteljahrhundert her, dass die Wissenschaft das Rodeo der Neuronen in unserem Nervensystem erstmals sichtbar machen kann und so in leisen Ansätzen zu verstehen beginnt.
Wiederum reichen Forschungen aus, um den Fokus auf die richtige Fährte zu lenken: Es existiert kein abgrenzbares Schmerzzentrum im Gehirn, das für die Schmerzverarbeitung verantwortlich ist. Während eine Schmerzreaktion im Körper tobt, ist eine Vielzahl verschiedener Hirnareale erregt, die so gut wie jeden Aspekt unserer Erlebniswelt involviert. Vorgänge des Fühlens, Denkens, Bewegens, des Wahrnehmens und Beurteilens sind in Schmerzprozesse ausnahmslos eingeschlossen, sämtliche Prozesse des Agierens als Mensch.
Fokus Mensch und Meditation
Was wir als Erstes akzeptieren müssen ist, dass der chronische Schmerz als solcher nicht existiert. Deshalb kann dieser auch nicht im Mittelpunkt der Intervention stehen, sondern der Mensch, der ihn hat, die Konstitution seines Körpers, die Funktionsweise seines Nervensystems, sein Empfinden und seine Sensibilität. Und besonders das Potenzial, das in ihm steckt.
Und genau hier setzt Meditation an: Sie involviert das Individuum. Sie trifft auf den agierenden, fühlenden und sich selbst reflektierenden Menschen, dessen Nervensystem zu natürlicher Balance zurückfinden muss.
Im Licht des Zen: Vom „Glas“ zum „See“
Der Schmerz des Lebens
Lassen Sie mich an dieser Stelle einen sehr heiklen Schnitt wagen. Heikel deshalb, weil es nun darum geht, den Bogen zu schlagen vom komplexen Thema Schmerz hin zum noch komplexeren Gebiet der Meditation. Vom analytischen Denken zum internen Verstehen. Von intellektueller Folgerichtigkeit zu lebensbezogener Intelligenz.
Sicherlich haben Sie schon einmal von Zen-Meistern gehört, von weisen Lebenslehrern, die gemäß der fernöstlichen Tradition des Zen-Buddhismus für ihre spirituell interessierten Schüler ein Erfahrungsfeld zum meditativen Lernen kreierten. Die Erleuchtung stand im Mittelpunkt der Intention.
Von einem solchen Meister wird berichtet, dass er es eines Tages satt hatte, sich das Jammern eines seiner Schüler über die Schwere und den Schmerz seines Lebens anzuhören. Es war Zeit für eine Lektion.
Der Meister nahm den Schüler beiseite und forderte ihn auf, eine Handvoll Salz in einem Glas Wasser aufzulösen