Werner Huemer

Unsterblich?!


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die „Pille gegen das Altern“ wohl näher. Josef M. Gaßner beispielsweise, den ich zum Anlass der Veröffentlichung seines Buches „Urknall, Weltall und das Leben“ interviewt habe, glaubt, dass Lebensverlängerung künftig „ein ganz großes Thema“ wird und diesbezüglich viele Entwicklungen zu erwarten seien. Denn die Aussicht, irgendwann einmal nicht mehr sterben zu müssen, sei ein wirklich relevantes Zukunftsthema – viel wichtiger als alle künftig womöglich zu erwartenden technischen Entwicklungen. Allerdings stünden wir heute – immerhin sei ja erst vor wenigen Jahrzehnten das Grundkonzept der DNA entschlüsselt worden – diesbezüglich erst am Anfang. Denn die Medizin arbeite noch überwiegend auf der Grundlage von empirischem Wissen. „Es fehlt in diesem Bereich ein Newton oder Einstein, der eine wirklich umfassende Theorie entwickelt“, befindet Gaßner.

      Der in vielen Fachbereichen versierte Wissenschaftler spricht damit das Problem an, dass wir die Komplexität, in der sich lebendige Organismen zeigen, noch nicht annähernd verstehen. In der Medizin werden mit Hilfe von Studien an Patienten oder in Laborversuchen zwar Erfahrungsdaten gesammelt, auf Grund derer man angeben kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Medikament wirkt, aber es gibt keine wissenschaftliche Grundlage, die eindeutige Wenn-Dann-Schlüsse beschreibt. „Wenn wir beide zum Arzt gehen und etwas verordnet bekommen, dann weiß der, dass es mit 80 Prozent Wahrscheinlichkeit helfen wird. Aber der Arzt weiß nicht zuverlässig, warum und bei wem es helfen wird und bei wem nicht. In diesem Bereich bewegen wir uns in der Medizin.“

      Von einem umfassenden Verständnis des Alterungs- und Sterbeprozesses, das verdeutlichen könnte, „welche Programme dabei ein- und ausgeschaltet werden“ sei die Wissenschaft deshalb „noch ein gutes Stück weit entfernt“. Und es sei auch absehbar, dass wir auf dem Weg zum Erkennen „vor große ethische und moralische Fragen gestellt“ werden, meint Gaßner. „Das wird extrem spannend!“

      Derzeit lautet das Motto der medizinischen Forschung jedenfalls: „Das Alter bekämpfen heißt Krankheiten bekämpfen.“ Wenn es gelingt, die Regenerationsfähigkeit des Körpers zu verbessern und zentrale Probleme des Alterns zu lösen (voran die DemenzErkrankungen; etwa ein Drittel der 90-jährigen leidet an einer Demenz), dann würde damit gleichzeitig das menschliche Leben sinnvoll verlängert.

      Der Traum von der Unsterblichkeit bliebe allerdings wohl auch dann unerfüllt, wenn wir das Altern weiter und weiter hinauszögern könnten und es gelänge, die damit einher gehenden sozialen Fragen zu lösen. Denn das Lebewesen Mensch ist, medizinisch und biologisch betrachtet, mit großer Wahrscheinlichkeit ein Sterbewesen.

      Natürlich kann man das Menschsein auch anders betrachten. Nicht wissenschaftlich, sondern menschlich. Nicht objektiv von außen, sondern aus der Ich-Perspektive. Rein subjektiv also.

      Aus diesem Blickwinkel erscheint das Altern nicht mehr unbedingt als grobe Nachlässigkeit einer „kaltblütigen“ Natur, die sich zweckorientiert nur um die Arterhaltung kümmert. Denn neben der körperlichen Entwicklung, die ja schon im ersten Lebensdrittel ihren Höhepunkt erreicht, gibt es ja auch noch die geistige. Und zwar weitgehend unabhängig davon. In meinem Wissen, auch in meiner Menschlichkeit, im Gemüt, kann ich mich noch weiter entwickeln, auch wenn mein Körper schon alt und gebrechlich ist.

      Es gibt eine schöne Analogie zwischen den Abschnitten im Leben eines Menschen, den unterschiedlichen Temperamenten und den vier Jahreszeiten. Die Kindheit, das sonnige, offene, unbeschwerte Leben im Moment, lässt sich dem sanguinischen Temperament zuordnen; die von großen Lebensträumen geprägte Jugendzeit dem melancholischen; die Tatkraft des Erwachsenenalters dem cholerischen Temperament und die passivere, besonnene Zeit des Alters dem phlegmatischen. Frühling, Sommer, Herbst und Winter im Leben des Menschen: Ungestümes Erwachen und Erleben des Augenblicks … drängendes Reifen und volle Entwicklung der persönlichen Fähigkeiten … danach die Erntezeit, das Nützen der Fähigkeiten in werktätiger oder kreativer Tätigkeit …

      Aber was kommt dann? Worin liegt der besondere Sinn des Alters?

      Winter … Ruhe … Rückzug – aber wohin?

      Wenn im Alter die Belastungsfähigkeit des Körpers abnimmt, die Motivation für kräfteraubende Abenteuer nachlässt oder die gewohnten Leistungen schlicht und einfach nicht mehr erbracht werden können, dann mag das dazu anregen, den Fokus von der Außenwelt mehr auf die Innenwelt zu verlagern. Emotionale Eruptionen könnten größerer Gelassenheit weichen, die gewohnte fiebernde Geschäftigkeit einer ungewohnten, aber letztlich vielleicht doch wohltuenden Entspannung. Neue Räume könnten sich auftun für die Sehnsucht nach unvergänglichen Werten und Lebensnähe. Und nicht zuletzt könnte der „Ruf des Alters“ zu einer vielleicht längst überfälligen Erkenntnis locken: Dass sich der Wert des Menschen nicht unbedingt im äußeren Erfolg zeigt, auch nicht in körperlicher Schönheit, sondern schlicht in der Art, wie er sein „nacktes Leben“ lebt.

      Alles in allem ist das Altern natürlich „eine Zumutung“. Damit hatte der große Humorist Vicco von Bülow alias Loriot ohne Zweifel recht.

      Aber sollte die Weisheit der Natur tatsächlich nicht nur die Arterhaltung des Homo sapiens fördern, sondern gleichermaßen dessen individuelle geistige Weiterentwicklung, dann könnte es sich bei dem Erlebnis-Konzept „Alters-Phlegmatismus“ um eine durchaus angemessene Zumutung handeln. Um die liebevolle Einladung, die Schönheit aller Lebens-Jahreszeiten zu verinnerlichen.

      Was, bitte, soll am Alter schön sein? Ich habe Rückenschmerzen und Knieprobleme, das Leben erscheint mir im Rückblick verd…ächtig kurz, und ich bin jetzt selbst der vorsichtig über die Straße schleichende Opi, den ich früher als genervter, drängelnder Autofahrer in den Himmel gewünscht hätte. Oder woanders hin.

      Exkurs abgeschlossen. Wir kehren aus dem Reich des SonntagsSchöngeistigen zurück in die reale Welt, wo Anti-Aging-Konzepte den verbreiteten Jugendwahn bedienen und wo die Überzeugung lebt, dass eine weit fortgeschrittene medizinische Forschung irgendwann das Alter und den Tod überwunden haben wird. In der nüchternen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts sucht der Mensch die Unsterblichkeit nicht mehr in ungewissen seelisch-geistigen Dimensionen. Sie muss „machbar“ sein.

      Aber es sollte auch gestattet sein, diese vom Rationalismus geprägte Haltung kritisch zu betrachten. Denn der heute übliche Blickwinkel ist mit großer Wahrscheinlichkeit noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Und gerade in der Frage nach dem ewigen Leben könnte es gut tun, ein wenig über den Tellerrand hinaus zu schauen.

      Allerdings ist es anspruchsvoll, das allgemein akzeptierte Weltbild zu hinterfragen. Denn die „kollektiven Gedankenformen“, wie die Berliner Philosophin Nathalie Knapp die in einer Gesellschaft übliche Art des Denkens und Schlussfolgerns bezeichnet, prägen auch unsere Einschätzung dahingehend, ob etwas „denkbar“ ist oder von vornherein als Humbug eingestuft wird.

      Heute hat die Naturwissenschaft, etwas überspitzt formuliert, den Status einer Religion. An sie glauben auch Menschen, die selbst weder wissenschaftlich noch logisch denken. Recht plakativ zeigen das zum Beispiel Werbekonzepte: Der seriöse Forscher im sauberen, weißen Mantel oder das sterile Chemielabor funktionieren seit Jahrzehnten als attraktive „Garanten für Wahrheit“. Denn die breite Allgemeinheit schätzt den unbestechlichen Überblick des gelehrten Forschers und vertraut sich gern seiner Weisheit an.

      Konfessionelle Lehren werden indes kaum noch als bedeutend erachtet, sofern es um die Ergründung des Weltgetriebes geht. Die Kirchen und ihre Vertreter sind für gemütvolle Zeremonien gefragt, aber doch bitte nicht mehr als Erkenntnisquellen!

      Und in der naturwissenschaftlichen Lesart ist „die Welt“ das sichtbare Universum, in welchem auf einem kleinen blauen Planeten vor 2 Millionen Jahren zufällig der Mensch entstand – ein Lebewesen mit der Intelligenz, dort einzugreifen, wo die Evolution schwächelt. Wenn also die Natur nicht dafür gesorgt hat, dass wir unsterblich sind, dann werden wir eben selbst dieses Manko beheben!

      Vor wenigen Hundert Jahren stellte sich die Welt dem Menschen unvergleichlich anders dar: als Schöpfung Gottes. Unsterblichkeit erfahren zu können, war damals eine