Johann Wolfgang von Goethe

Dichtung und Wahrheit


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von ver­schie­de­ner Far­be, die, eben­falls nied­rig am Bo­den, den vor­ge­zeich­ne­ten Grund­riss leicht ver­fol­gen lie­ßen. Die­ser köst­li­che An­blick, den ich in vol­lem Son­nen­schein ge­noss, fes­sel­te ganz mei­ne Au­gen; aber ich wuss­te fast nicht, wo ich den Fuß hin­set­zen soll­te: denn die schlän­geln­den Wege wa­ren aufs rein­lichs­te von blau­em San­de ge­zo­gen, der einen dunk­lern Him­mel, oder einen Him­mel im Was­ser, an der Erde zu bil­den schi­en; und so ging ich, die Au­gen auf den Bo­den ge­rich­tet, eine Zeit lang ne­ben mei­nem Füh­rer, bis ich zu­letzt ge­wahr ward, dass in der Mit­te von die­sem Bee­ten- und Blu­men­rund ein großer Kreis von Cy­pres­sen oder pap­pel­ar­ti­gen Bäu­men stand, durch den man nicht hin­durch­se­hen konn­te, weil die un­ters­ten Zwei­ge aus der Erde her­vor­zu­trei­ben schie­nen. Mein Füh­rer, ohne mich ge­ra­de auf den nächs­ten Weg zu drän­gen, lei­te­te mich doch un­mit­tel­bar nach je­ner Mit­te, und wie war ich über­rascht, als ich, in den Kreis der ho­hen Bäu­me tre­tend, die Säu­len­hal­le ei­nes köst­li­chen Gar­ten­ge­bäu­des vor mir sah, das nach den üb­ri­gen Zei­ten hin ähn­li­che An­sich­ten und Ein­gän­ge zu ha­ben schi­en. Noch mehr aber als die­ses Mus­ter der Bau­kunst ent­zück­te mich eine himm­li­sche Mu­sik, die aus dem Ge­bäu­de her­vor­drang. Bald glaub­te ich eine Lau­te, bald eine Har­fe, bald eine Zither zu hö­ren, und bald noch et­was klim­pern­des, das kei­nem von die­sen drei In­stru­men­ten ge­mäß war. Die Pfor­te, auf die wir zu­gin­gen, er­öff­ne­te sich bald nach ei­ner lei­sen Berüh­rung des Al­ten; aber wie er­staunt war ich, als die her­austre­ten­de Pfört­ne­rin ganz voll­kom­men dem nied­li­chen Mäd­chen glich, das mir im Trau­me auf den Fin­gern ge­tanzt hat­te. Sie grüß­te mich auch auf eine Wei­se, als wenn wir schon be­kannt wä­ren, und bat mich, her­ein­zu­tre­ten. Der Alte blieb zu­rück, und ich ging mit ihr durch einen ge­wölb­ten und schön ver­zier­ten kur­z­en Gang nach dem Mit­tel­saal, des­sen herr­li­che do­mar­ti­ge Höhe beim Ein­tritt mei­nen Blick auf sich zog und mich in Ver­wun­de­rung setz­te. Doch konn­te mein Auge nicht lan­ge dort ver­wei­len, denn es ward durch ein rei­zen­de­res Schau­spiel her­ab­ge­lockt. Auf ei­nem Tep­pich, ge­ra­de un­ter der Mit­te der Kup­pel, sa­ßen drei Frau­en­zim­mer im Drei­eck, in drei ver­schie­de­ne Far­ben ge­klei­det, die eine rot, die an­de­re gelb, die drit­te grün; die Ses­sel wa­ren ver­gol­det, und der Tep­pich ein voll­kom­me­nes Blu­men­beet. In ih­ren Ar­men la­gen die drei In­stru­men­te, die ich drau­ßen hat­te un­ter­schei­den kön­nen: denn durch mei­ne An­kunft ge­stört, hat­ten sie mit Spie­len in­ne­ge­hal­ten. – »Seid uns will­kom­men!« sag­te die mitt­le­re, die näm­lich, wel­che mit dem Ge­sicht nach der Türe saß, im ro­ten Klei­de und mit der Har­fe. »Setzt Euch zu Aler­ten und hört zu, wenn Ihr Lieb­ha­ber von der Mu­sik seid.« Nun sah ich erst, dass un­ten quer vor ein ziem­lich lan­ges Bänk­chen stand, wor­auf eine Man­do­li­ne lag. Das ar­ti­ge Mäd­chen nahm sie auf, setz­te sich und zog mich an ihre Sei­te. Jetzt be­trach­te­te ich auch die zwei­te Dame zu mei­ner Rech­ten; sie hat­te das gel­be Kleid an und eine Zither in der Hand; und wenn jene Har­fen­spie­le­rin an­sehn­lich von Ge­stalt, groß von Ge­sichts­zü­gen und in ih­rem Be­tra­gen ma­je­stä­tisch war, so konn­te man der Zither­spie­le­rin ein leicht an­mu­ti­ges, heitres We­sen an­mer­ken. Sie war eine schlan­ke Blon­di­ne, da jene dun­kel­brau­nes Haar schmück­te. Die Man­nig­fal­tig­keit und Über­ein­stim­mung ih­rer Mu­sik konn­te mich nicht ab­hal­ten, nun auch die drit­te Schön­heit im grü­nen Ge­wan­de zu be­trach­ten, de­ren Lau­ten­spiel et­was Rüh­ren­des und zu­gleich Auf­fal­len­des für mich hat­te. Die war die­je­ni­ge, die am meis­ten auf mich acht zu ge­ben und ihr Spiel an mich zu rich­ten schi­en; nur konn­te ich aus ihr nicht klug wer­den: denn sie kam mir bald zärt­lich, bald wun­der­lich, bald of­fen, bald ei­gen­sin­nig vor, je nach­dem sie die Mie­nen und ihr Spiel ver­än­der­te. Bald schi­en sie mich rüh­ren, bald mich ne­cken zu wol­len. Doch moch­te sie sich stel­len, wie sie woll­te, so ge­wann sie mir we­nig ab: denn mei­ne klei­ne Nach­ba­rin, mit der ich Ell­bo­gen an Ell­bo­gen saß, hat­te mich ganz für sich ein­ge­nom­men; und wenn ich in je­nen drei Da­men ganz deut­lich die Syl­phi­den mei­nes Traums und die Far­ben der Äp­fel er­blick­te, so be­griff ich wohl, dass ich kei­ne Ur­sa­che hät­te, sie fest­zu­hal­ten. Die ar­ti­ge klei­ne hät­te ich lie­ber an­ge­packt, wenn mir nur nicht der Schlag, den sie mir im Trau­me ver­setzt hat­te, gar zu er­in­ner­lich ge­we­sen wäre. Sie hielt sich bis­her mit ih­rer Man­do­li­ne ganz ru­hig; als aber ihre Ge­bie­te­rin­nen auf­ge­hört hat­ten, so be­fah­len sie ihr, ei­ni­ge lus­ti­ge Stück­chen zum Bes­ten zu ge­ben, kaum hat­te sie ei­ni­ge Tanz­me­lo­di­en gar auf­re­gend ab­ge­klim­pert, so sprang sie in die Höhe; ich tat das Glei­che. Sie spiel­te und tanz­te; ich ward hin­ge­ris­sen, ihre Schrit­te zu be­glei­ten, und wir führ­ten eine Art von klei­nem Bal­lett auf, wo­mit die Da­men zu­frie­den zu sein schie­nen: denn so­bald wir ge­en­digt, be­fah­len sie der klei­nen, mich der­weil mit et­was Gu­tem zu er­qui­cken, bis das Nachtes­sen her­an­käme. Ich hat­te frei­lich ver­ges­sen, dass au­ßer die­sem Pa­ra­die­se noch et­was an­de­res in der Welt wäre. Aler­te führ­te mich so­gleich in den Gang zu­rück, durch den ich her­ein­ge­kom­men war. An der Sei­te hat­te sie zwei woh­lein­ge­rich­te­te Zim­mer; in dem einen, wo sie wohn­te, setz­te sie mir Oran­gen, Fei­gen, Pfir­schen und Trau­ben vor, und ich ge­noss so­wohl die Früch­te frem­der Län­der, als auch die der erst kom­men­den Mo­na­te mit großem Ap­pe­tit. Zucker­werk war im Über­fluss; auch füll­te sie einen Po­kal von ge­schliff­nem Kris­tall mit schäu­men­dem Wein: doch zu trin­ken be­durf­te ich nicht, denn ich hat­te mich an den Früch­ten hin­rei­chend ge­labt. – »Nun wol­len wir spie­len«, sag­te sie und führ­te mich in das an­de­re Zim­mer. Hier sah es nun aus wie auf ei­nem Christ­markt; aber so kost­ba­re und fei­ne Sa­chen hat man nie­mals in ei­ner Weih­nachts­bu­de ge­se­hen. Da wa­ren alle Ar­ten von Pup­pen, Pup­pen­klei­dern und Pup­pen­ge­rät­schaf­ten; Kü­chen, Wohn­stu­ben und Lä­den; und ein­zel­ne Spiel­sa­chen in An­zahl. Sie führ­te mich an al­len Glas­schrän­ken her­um: denn in sol­chen wa­ren die­se künst­li­chen Ar­bei­ten auf­be­wahrt. Die ers­ten Schrän­ke ver­schloss sie aber bald wie­der und sag­te: »Das ist nichts für Euch, ich weiß es wohl. Hier aber«, sag­te sie, »könn­ten wir Bau­ma­te­ria­li­en fin­den, Mau­ern und Tür­me, Häu­ser, Pa­läs­te, Kir­chen, um eine große Stadt zu­sam­men­zu­stel­len. Das un­ter­hält mich aber nicht; wir wol­len zu et­was an­de­rem grei­fen, das für Euch und mich gleich ver­gnüg­lich ist.« – Sie brach­te dar­auf ei­ni­ge Käs­ten her­vor, in de­nen ich klei­nes Kriegs­volk über ein­an­der ge­schich­tet er­blick­te, von dem ich so­gleich be­ken­nen muss­te, dass ich nie­mals so et­was Schö­nes ge­se­hen hät­te. Sie ließ mir die Zeit nicht, das ein­zel­ne nä­her zu be­trach­ten, son­dern nahm den einen Kas­ten un­ter den Arm, und ich pack­te den an­de­ren auf. »Wir wol­len auf die gold­ne Brücke ge­hen«, sag­te sie, »dort spielt sich’s am bes­ten mit Sol­da­ten: die Spie­ße ge­ben gleich die Rich­tung, wie man die Ar­meen ge­gen­ein­an­der zu stel­len hat.« Nun wa­ren wir auf dem gold­nen schwan­ken­den Bo­den an­ge­langt; un­ter mir hör­te ich das Was­ser rie­seln und die Fi­sche plät­schern, in­dem ich nie­der­knie­te, mei­ne Li­ni­en auf­zu­stel­len. Es war al­les Rei­te­rei, wie ich nun­mehr sah. Sie rühm­te sich, die Kö­ni­gin der Ama­zo­nen zum Füh­rer ih­res weib­li­chen Hee­res zu be­sit­zen; ich da­ge­gen fand den Achill und eine sehr statt­li­che grie­chi­sche Rei­te­rei. Die Hee­re stan­den ge­gen­ein­an­der, und man konn­te nichts Schö­ne­res se­hen. Es wa­ren nicht etwa fla­che blei­er­ne Rei­ter,