unterdrücken; dass nun aber im Gegenteil, während die jungen Geschöpfe mit einer solchen Übung beschäftigt sind, sie von anderen das zu leiden haben, was an ihnen gescholten wird und höchlich verpönt ist. Dadurch kommen die armen Wesen zwischen dem Naturzustande und dem der Zivilisation gar erbärmlich in die Klemme und werden, je nachdem die Charaktere sind, entweder tückisch, oder gewaltsam aufbrausend, wenn sie eine Zeit lang an sich gehalten haben.
Gewalt ist eher mit Gewalt zu vertreiben; aber ein gutgesinntes, zur Liebe und Teilnahme geneigtes Kind weiß dem Hohn und dem bösen Willen wenig entgegenzusetzen. Wenn ich die Tätlichkeiten meiner Gesellen so ziemlich abzuhalten wusste, so war ich doch keineswegs ihren Sticheleien und Missreden gewachsen, weil in solchen Fällen derjenige, der sich verteidigt, immer verlieren muss. Es wurden also auch Angriffe dieser Art, insofern sie zum Zorn reizten, mit physischen Kräften zurückgewiesen, oder sie regten wundersame Betrachtungen in mir auf, die denn nicht ohne Folgen bleiben konnten. Unter anderen Vorzügen missgönnten mir die Übelwollenden auch, dass ich mir in einem Verhältnis gefiel, welches aus dem Schultheißenamt meines Großvaters für die Familie entsprang: denn indem er als der erste unter seinesgleichen dastand, hatte dieses doch auch auf die Seinigen nicht geringen Einfluss. Und als ich mir einmal nach gehaltenem Pfeifergerichte etwas darauf einzubilden schien, meinen Großvater in der Mitte des Schöffenrats, eine Stufe höher als die anderen, unter dem Bilde des Kaisers gleichsam thronend gesehen zu haben, so sagte einer der Knaben höhnisch: ich sollte doch, wie der Pfau auf seine Füße, so auf meinen Großvater väterlicher Seite hinsehen, welcher Gastgeber zum Weidenhof gewesen und wohl an die Thronen und Kronen keinen Anspruch gemacht hätte. Ich erwiderte darauf, dass ich davon keineswegs beschämt sei, weil gerade darin das Herrliche und Erhebende unserer Vaterstadt bestehe, dass alle Bürger sich einander gleich halten dürften und dass einem jeden seine Tätigkeit nach seiner Art förderlich und ehrenvoll sein könne. Es sei mir nur leid, dass der gute Mann schon so lange gestorben: denn ich habe mich auch ihn persönlich zu kennen öfters gesehnt, sein Bildnis vielmals betrachtet, ja sein Grab besucht und mich wenigstens bei der Inschrift an dem einfachen Denkmal seines vorübergegangenen Daseins gefreut, dem ich das meine schuldig geworden. Ein anderer Misswollender, der tückischste von allen, nahm jenen ersten beiseite und flüsterte ihm etwas in die Ohren, wobei sie mich immer spöttisch ansahen. Schon fing die Galle mir an zu kochen, und ich forderte sie auf, laut zu reden. »Nun, was ist es denn weiter«, sagte der erste, »wenn du es wissen willst: dieser da meint, du könntest lange herumgehen und suchen, bis du deinen Großvater fändest.« Ich drohte nun noch heftiger, wenn sie sich nicht deutlicher erklären würden. Sie brachten darauf ein Märchen vor, das sie ihren Eltern wollten abgelauscht haben: mein Vater sei der Sohn eines vornehmen Mannes, und jener gute Bürger habe sich willig finden lassen, äußerlich Vaterstelle zu vertreten, die hatten die Unverschämtheit, allerlei Argumente vorzubringen, z. B. dass unser Vermögen bloß von der Großmutter herrühre, dass die übrigen Seitenverwandten, die sich in Friedberg oder sonst aufhielten, gleichfalls ohne Vermögen seien, und was noch andere solche Gründe waren, die ihr Gewicht bloß von der Bosheit hernehmen konnten. Ich hörte ihnen ruhiger zu, als sie erwarteten, denn sie standen schon auf dem Sprung, zu entfliehen, wenn ich Miene machte, nach ihren Haaren zu greifen. Aber ich versetzte ganz gelassen: auch dieses könne mir recht sein. Das Leben sei so hübsch, dass man völlig für gleichgültig achten könne, wem man es zu verdanken habe: denn es schriebe sich doch zuletzt von Gott her, vor welchem wir alle gleich wären. So ließen sie, da sie nichts ausrichten konnten, die Sache für diesmal gut sein; man spielte zusammen weiter fort, welches unter Kindern immer ein erprobtes Versöhnungsmittel bleibt.
Mir war jedoch durch die hämischen Worte eine Art von sittlicher Krankheit eingeimpft, die im Stillen fortschlich. Es wollte mir gar nicht missfallen, der Enkel irgend eines vornehmen Herrn zu sein, wenn es auch nicht auf die gesetzlichste Weise gewesen wäre. Meine Spürkraft ging auf dieser Fährte, meine Einbildungskraft war angeregt und mein Scharfsinn aufgefordert. Ich fing nun an, die Angaben jener zu untersuchen, fand und erfand neue Gründe der Wahrscheinlichkeit. Ich hatte von meinem Großvater wenig reden hören, außer dass sein Bildnis mit dem meiner Großmutter in einem Besuchzimmer des alten Hauses gehangen hatte, welche beide, nach Erbauung des neuen in einer oberen Kammer aufbewahrt wurden. Meine Großmutter musste eine sehr schöne Frau gewesen sein und von gleichem Alter mit ihrem Manne. Auch erinnerte ich mich, in ihrem Zimmer das Miniaturbild eines schönen Herrn, in Uniform mit Stern und Orden, gesehen zu haben, welches nach ihrem Tode mit vielen anderen kleinen Gerätschaften, während des alles umwälzenden Hausbaues verschwunden war. Solche wie manche andere Dinge baute ich mir in meinem kindischen Kopfe zusammen und übte frühzeitig genug jenes moderne Dichtertalent, welches durch eine abenteuerliche Verknüpfung der bedeutenden Zustände des menschlichen Lebens sich die Teilnahme der ganzen kultivierten Welt zu verschaffen weiß.
Da ich nun aber einen solchen Fall niemanden zu vertrauen, oder auch nur von ferne nachzufragen mich unterstand, so ließ ich es an einer heimlichen Betriebsamkeit nicht fehlen, um wo möglich der Sache etwas näher zu kommen. Ich hatte nämlich ganz bestimmt behaupten hören, dass die Söhne den Vätern oder Großvätern oft entschieden ähnlich zu sein pflegten. Mehrere unserer Freunde, besonders auch Rat Schneider, unser Hausfreund, hatten Geschäftsverbindungen mit allen Fürsten und Herren der Nachbarschaft, deren, sowohl regierender als nachgeborner, keine geringe Anzahl am Rhein und Main und in dem Raume zwischen beiden ihre Besitzungen hatten, und die aus besonderer Gunst ihre treuen Geschäftsträger zuweilen wohl mit ihren Bildnissen beehrten. Diese, die ich von Jugend auf vielmals an den Wänden gesehen, betrachtete ich nunmehr mit doppelter Aufmerksamkeit, forschend, ob ich nicht eine Ähnlichkeit mit meinem Vater, oder gar mit mir entdecken könnte; welches aber zu oft gelang, als dass es mich zu einiger Gewissheit hätte führen können. Denn bald waren es die Augen von diesem, bald die Nase von jenem, die mir auf einige Verwandtschaft zu deuten schienen. So führten mich diese Kennzeichen trüglich genug hin und wider. Und ob ich gleich in der Folge diesen Vorwurf als ein durchaus leeres Märchen betrachten musste, so blieb mir doch der Eindruck, und ich konnte nicht unterlassen, die sämtlichen Herren, deren Bildnisse mir sehr deutlich in der Fantasie geblieben waren, von Zeit zu Zeit im Stillen bei mir zu mustern und zu prüfen. So wahr ist es, dass alles, was den Menschen innerlich in seinem Dünkel bestärkt, seiner heimlichen Eitelkeit