Johann Wolfgang von Goethe

Dichtung und Wahrheit


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und was sie be­glei­te­te, für den Gip­fel sei­nes Le­bens ge­hal­ten hät­te. So präch­tig die Krö­nung Karls des Sie­ben­ten ge­we­sen war, bei wel­cher be­son­ders der fran­zö­si­sche Ge­sand­te, mit Kos­ten und Ge­schmack, herr­li­che Fes­te ge­ge­ben, so war doch die Fol­ge für den gu­ten Kai­ser de­sto trau­ri­ger, der sei­ne Re­si­denz Mün­chen nicht be­haup­ten konn­te und ge­wis­ser­ma­ßen die Gast­frei­heit sei­ner Reichs­städ­ter an­fle­hen muss­te.

      War die Krö­nung Franz des Ers­ten nicht so auf­fal­lend präch­tig wie jene, so wur­de sie doch durch die Ge­gen­wart der Kai­se­rin Ma­ria The­re­sia ver­herr­licht, de­ren Schön­heit eben so einen großen Ein­druck auf die Män­ner scheint ge­macht zu ha­ben als die erns­te, wür­di­ge Ge­stalt und die blau­en Au­gen Karls des Sie­ben­ten auf die Frau­en. We­nigs­tens wett­ei­fer­ten bei­de Ge­schlech­ter, dem auf­hor­chen­den Kna­ben einen höchst vor­teil­haf­ten Be­griff von je­nen bei­den Per­so­nen bei­zu­brin­gen. Alle die­se Be­schrei­bun­gen und Er­zäh­lun­gen ge­sch­a­hen mit heitrem und be­ru­hig­tem Ge­müt: denn der Aach­ner Frie­de hat­te für den Au­gen­blick al­ler Feh­de ein Ende ge­macht, und wie von je­nen Fei­er­lich­kei­ten, so sprach man mit Be­hag­lich­keit von den vor­über­ge­gan­ge­nen Kriegs­zü­gen, von der Schlacht bei Det­tin­gen, und was die merk­wür­digs­ten Be­ge­ben­hei­ten der ver­flos­se­nen Jah­re mehr sein moch­ten; und al­les Be­deu­ten­de und Ge­fähr­li­che schi­en, wie es nach ei­nem ab­ge­schlos­se­nen Frie­den zu ge­hen pflegt, sich nur er­eig­net zu ha­ben, um glück­li­chen und sor­gen­frei­en Men­schen zur Un­ter­hal­tung zu die­nen.

      Hat­te man in ei­ner sol­chen pa­trio­ti­schen Be­schrän­kung kaum ein hal­b­es Jahr hin­ge­bracht, so tra­ten schon die Mes­sen wie­der ein, wel­che in den sämt­li­chen Kin­der­köp­fen je­der­zeit eine un­glaub­li­che Gä­rung her­vor­brach­ten. Eine durch Er­bau­ung so vie­ler Bu­den in­ner­halb der Stadt in we­ni­ger Zeit ent­sprin­gen­de neue Stadt, das Wo­gen und Trei­ben, das Ab­la­den und Auspa­cken der Wa­ren er­reg­te, von den ers­ten Mo­men­ten des Be­wusst­seins an, eine un­be­zwing­lich tä­ti­ge Neu­gier­de und ein un­be­gränz­tes Ver­lan­gen nach kin­di­schem Be­sitz, das der Kna­be mit wach­sen­den Jah­ren, bald auf die­se, bald auf jene Wei­se, wie es die Kräf­te sei­nes klei­nen Beu­tels er­lau­ben woll­ten, zu be­frie­di­gen such­te. Zu­gleich aber bil­de­te sich die Vor­stel­lung von dem, was die Welt al­les her­vor­bringt, was sie be­darf, und was die Be­woh­ner ih­rer ver­schie­de­nen Tei­le ge­gen­ein­an­der aus­wech­seln.

      Die­se großen, im Früh­jahr und Herbst ein­tre­ten­den Epo­chen wur­den durch selt­sa­me Fei­er­lich­kei­ten an­ge­kün­digt, wel­che um de­sto wür­di­ger schie­nen, als sie die alte Zeit, und was von dort­her noch auf uns ge­kom­men, leb­haft ver­ge­gen­wär­tig­ten. Am Ge­leits­tag war das gan­ze Volk auf den Bei­nen, dräng­te sich nach der Fahr­gas­se, nach der Brücke, bis über Sach­sen­hau­sen hin­aus; alle Fens­ter wa­ren be­setzt, ohne dass den Tag über was Be­son­de­res vor­ging; die Men­ge schi­en nur da zu sein, um sich zu drän­gen, und die Zuschau­er, um sich un­ter ein­an­der zu be­trach­ten: denn das, wor­auf es ei­gent­lich an­kam, er­eig­ne­te sich erst mit sin­ken­der Nacht und wur­de mehr ge­glaubt als mit Au­gen ge­se­hen.

      In je­nen äl­tern un­ru­hi­gen Zei­ten näm­lich, wo ein je­der nach Be­lie­ben Un­recht tat oder nach Lust das Rech­te be­för­der­te, wur­den die auf die Mes­sen zie­hen­den Han­dels­leu­te von We­ge­la­ge­rern, ed­len und un­ed­len Ge­schlechts, will­kür­lich ge­plagt und ge­plackt, so­dass Fürs­ten und an­de­re mäch­ti­ge Stän­de die Ih­ri­gen mit ge­waff­ne­ter Hand bis nach Frank­furt ge­lei­ten lie­ßen. Hier woll­ten nun aber die Reichs­städ­ter sich selbst und ih­rem Ge­biet nichts ver­ge­ben; sie zo­gen den An­kömm­lin­gen ent­ge­gen: da gab es denn manch­mal Strei­tig­kei­ten, wie weit jene Ge­lei­ten­den her­an­kom­men, oder ob sie wohl gar ih­ren Ein­ritt in die Stadt neh­men könn­ten. Weil nun die­ses nicht al­lein bei Han­dels- und Mess­ge­schäf­ten statt­fand, son­dern auch, wenn hohe Per­so­nen in Kriegs- und Frie­dens­zei­ten, vor­züg­lich aber zu Wahl­ta­gen, sich her­an­be­ga­ben, und es auch öf­ters zu Tät­lich­kei­ten kam, so­bald ir­gend ein Ge­fol­ge, das man in der Stadt nicht dul­den woll­te, sich mit sei­nem Herrn her­ein­zu­drän­gen be­gehr­te, so wa­ren zeit­her dar­über man­che Ver­hand­lun­gen ge­pflo­gen, es wa­ren vie­le Re­zes­se des­halb, ob­gleich stets mit bei­der­sei­ti­gen Vor­be­hal­ten, ge­schlos­sen wor­den, und man gab die Hoff­nung nicht auf, den seit Jahr­hun­der­ten dau­ern­den Zwist end­lich ein­mal bei­zu­le­gen, als die gan­ze An­stalt, wes­halb er so lan­ge und oft sehr hef­tig ge­führt wor­den war, bei­nah für un­nütz, we­nigs­tens für über­flüs­sig an­ge­se­hen wer­den konn­te.

      Un­ter­des­sen ritt die bür­ger­li­che Ka­val­le­rie in meh­re­ren Ab­tei­lun­gen, mit den Ober­häup­tern an ih­rer Spit­ze, an je­nen Ta­gen zu ver­schie­de­nen To­ren hin­aus, fand an ei­ner ge­wis­sen Stel­le ei­ni­ge Rei­ter oder Husa­ren der zum Ge­leit be­rech­tig­ten Reichs­stän­de, die nebst ih­ren An­füh­rern wohl emp­fan­gen und be­wir­tet wur­den; man zö­ger­te bis ge­gen Abend und ritt als­dann, kaum von der war­ten­den Men­ge ge­se­hen, zur Stadt her­ein; da denn man­cher bür­ger­li­che Rei­ter we­der sein Pferd noch sich selbst auf dem Pfer­de zu er­hal­ten ver­moch­te. Zu dem Brück­en­to­re ka­men die be­deu­tends­ten Züge her­ein, und des­we­gen war der An­drang dort­hin am stärks­ten. Ganz zu­letzt und mit sin­ken­der Nacht lang­te der auf glei­che Wei­se ge­lei­te­te Nürn­ber­ger Post­wa­gen an, und man trug sich mit der Rede, es müs­se je­der­zeit, dem Her­kom­men ge­mäß, eine alte Frau dar­in sit­zen; wes­halb denn die Stra­ßen­jun­gen bei An­kunft des Wa­gens in ein gel­len­des Ge­schrei aus­zu­bre­chen pfleg­ten, ob man gleich die im Wa­gen sit­zen­den Pas­sa­gie­re kei­nes­wegs mehr un­ter­schei­den konn­te. Un­glaub­lich und wirk­lich die Sin­ne ver­wir­rend war der Drang der Men­ge, die in die­sem Au­gen­blick durch das Brück­en­tor her­ein dem Wa­gen nach­stürz­te; des­we­gen auch die nächs­ten Häu­ser von den Zuschau­ern am meis­ten ge­sucht wur­den.

      Eine an­de­re, noch viel selt­sa­me­re Fei­er­lich­keit, wel­che am hel­len Tage das Pub­li­kum auf­reg­te, war das Pfei­fer­ge­richt. Es er­in­ner­te die­se Ze­re­mo­nie an jene ers­ten Zei­ten, wo be­deu­ten­de Han­dels­städ­te sich von den Zöl­len, wel­che mit Han­del und Ge­werb in glei­chem Maße zu­nah­men, wo nicht zu be­frei­en, doch we­nigs­tens eine Mil­de­rung der­sel­ben zu er­lan­gen such­ten. Der Kai­ser, der ih­rer be­durf­te, er­teil­te eine sol­che Frei­heit da, wo es von ihm ab­hing, ge­wöhn­lich aber nur auf ein Jahr, und sie muss­te da­her jähr­lich er­neu­ert wer­den. Die­ses ge­sch­ah durch sym­bo­li­sche Ga­ben, wel­che dem kai­ser­li­chen Schult­hei­ßen, der auch wohl ge­le­gent­lich Ober­zöll­ner sein konn­te, vor Ein­tritt der Bar­tho­lo­mäi-Mes­se ge­bracht wur­den, und zwar des An­stands we­gen, wenn er mit den Schöf­fen zu Ge­richt saß. Als der Schult­heiß spä­ter­hin nicht mehr vom Kai­ser ge­setzt, son­dern von der Stadt selbst ge­wählt wur­de, be­hielt er doch die­se Vor­rech­te, und so­wohl die Zoll­frei­hei­ten der Städ­te als die Ze­re­mo­ni­en, wo­mit die Ab­ge­ord­ne­ten von Worms, Nürn­berg und Alt-Bam­berg die­se ur­al­te Ver­güns­ti­gung an­er­kann­ten, wa­ren bis auf un­se­re Zei­ten ge­kom­men. Den Tag vor Ma­riä Ge­burt ward ein öf­fent­li­cher Ge­richts­tag an­ge­kün­digt. In dem großen Kai­ser­saa­le, in ei­nem um­schränk­ten Rau­me,