Daniela Leinweber

Schritt für Schritt – Unterwegs am South West Coast Path


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nie ent­sprechen werde. Irgendwann war aber klar, dass ich wohl am Ende meiner Reise der Gewichtsreduktion angekommen war und dass dies nun der Körper war, mit dem ich mich auseinandersetzen musste. Das tat ich schließlich auch und ließ mir zuerst Oberarme und Brust operieren, einige Monate später dann den Bauch. Während Brust und Bauch völlig unkompliziert und schmerzfrei waren, riss ich im Bereich der Oberarme eine massive Wundheilungsstörung auf und musste sogar ein zweites Mal operiert werden. Die Hautproblematik hat sich dadurch erledigt, aber über einen gnaden- los schönen, anbetungswürdigen Körper verfüge ich trotzdem nicht, denn wie man es dreht und wendet, aus einem Nilpferd kann auch der beste Schönheitschirurg keine Gazelle machen. An den neuen Bauch und die neuen Oberarme konnte ich mich schnell gewöhnen, aber die veränderte Brust machte mir sehr zu schaffen; auf diese psychische Belastung war ich nicht vorbereitet. Natürlich war sie viel ­schöner als zuvor, doch sie war mir fremd, gehörte irgendwie nicht zu mir. Erst hier wurde mir bewusst, wie wichtig die Brust für mich als weibliche Person ist, und ich ­denke, dass es vielen Frauen ähnlich geht.

      Letzte Weitwanderung vor dem SWCP – der UNESCO Welterbesteig in der Wachau.

      Diese Erkenntnis war allerdings nicht die erste Reise in mein Inneres, um die Tiefen meiner Psyche zu erkunden, sondern eher nur eine Ergänzung zu meinen Erkundungen meiner emotionalen Welt. Wie bereits ­erwähnt bin ich der Meinung, dass die Psyche eine wichtige Säule für eine nachhaltige Gewichtsreduktion ist, und so blieb auch mir nichts anderes übrig, als mich auf die Suche nach möglichen Ursachen zu machen, aus denen sich eine derartige Bewäl­tigungsstrategie entwickelt und in weiterer Folge manifestiert hatte. Als ­Sozialpädagogin ist man in der glücklichen Lage, an Supervision, Men­toring und Coaching gewöhnt zu sein, daher hatte ich nie Berührungsängste mit Therapeuten und war auch alternativen Therapieformen gegenüber aufgeschlossen. So entstand im Laufe der Zeit ein bunter Mix aus Gesprächen, kinesiologischen Sitzungen und cranio-sacralen Behand­lungen mit dem Ziel, zu dem Zeitpunkt zurückzukehren, von dem an ­Essen für mich diesen wichtigen Stellenwert eingenommen hatte. Gleich vorweg, hundertprozentig weiß ich es auch heute noch nicht, aber mit ziemlicher Sicherheit ist die Ursache in meiner Kindheit und meinem ­Verhältnis zu meinen Eltern und Geschwistern zu finden. Ich hatte oft das Gefühl, nicht gut genug zu sein, und auch wenn das wohl damals schon nicht der Wahrheit entsprach, so entsprach es doch meinen ­Empfindungen. Ich war weder besonders talentiert noch mit natürlichem Charme gesegnet und so gab es für mich nur die einzige Möglichkeit, mich durch gute Noten in der Schule zu profilieren. Als gute Noten aber nichts Besonderes mehr waren, ging auch diese positive Bestätigungssequenz verloren, und Schokolade wurde immer mehr zu meinem Seelentröster. Der kurz empfundenen Freude über den Genuss folgte in der Regel ein schlechtes Gewissen, das mit einem weiteren Stück Schokolade vertrieben werden musste. Ein ­Teufelskreis, aber zumindest ist wissenschaftlich fast bewiesen, dass ­Schokolade die Gehirnleistung positiv beeinflusst, und so waren wenigstens die guten Noten gesichert. Eine weitere Ursache dürfte das Bedürfnis nach Gesehenwerden gewesen sein. Je dicker ich wurde, umso besser konnte ich von anderen Menschen gesehen werden. Dass ­dieses Sehen aber nichts mit Bewunderung, sondern im besten Fall mit Ignoranz, wahrscheinlicher aber mit Abscheu einherging, realisierte das Unterbewusstsein wohl nicht zeitgerecht.

      Heute bin ich mir ziemlich sicher, dass es die Akzeptanz und das Wissen darum, dass meine Eltern in meiner Kindheit ihr Bestes gaben und mich auf ihre ganz eigene, besondere Weise liebten, waren, die mich schließlich in meinen Diätbemühungen durchhalten ließen. Ich weiß aber auch, dass Adipositas das Thema meines Lebens bleiben wird und auch, dass ich meist nur einen Wimpernschlag davon entfernt bin, in meine ­alten Gewohnheiten zurückzufallen und wieder zuzunehmen. Es würde nur eine Zeit geben, zu der Zunehmen ziemlich unwahrscheinlich wäre, nämlich genau dann, wenn ich mein tägliches Wanderpensum am SWCP herunterspulen würde und endlich zwei Monate lang keine Kalorien ­zählen müsste.

      Die offizielle Vorbereitung auf die Weitwanderung am SWCP begann ziemlich genau eineinhalb Jahre im Vorhinein mit dem Kauf eines geeigneten Wanderrucksacks. ­Dafür fuhren wir ins ferne Wien und begaben uns zum Bergfuchs, dem Schlaraffenland der Outdoorausrüstung. Es war unmöglich, uns selbstständig durch den Dschungel der angebotenen Wandertaschen zu wurschteln, und so beschäftigten wir einen Angestellten gute zwei Stunden, bis wir uns endlich entscheiden konnten. Uns überraschte vor allem, dass fast kein Rucksack wasserdicht war. Dabei gehörte Regen zu den größten Gefahren unseres Abenteuers, besonders für die Kleidung, und so mussten wir uns nicht nur den Rucksack, sondern auch die dazugehörige Regenhülle und ihr Verschlusssystem gut anschauen. Meine Wahl fiel auf den Gregory Amber Damenrucksack, den ich fortan immer liebevoll Greg nannte, mit einem Fassungsvermögen von 60 Litern. Peter entschied sich für einen Deuter Aircontact 55 + 10, der von vornherein ein wenig schwerer als ­meiner war. Beim Wandern entscheidet das Gewicht der Ausrüstung oft darüber, ob die Tour zu einem unvergess­lichen Naturerlebnis wird oder zu einer endlosen Schinderei, bei der man nur mehr ans Ziel kommen will. Daher beschloss ich, jedes einzelne Stück, das mit mir die lange Reise antreten durfte, auf einer Küchenwaage abzuwiegen, und entschied danach noch einmal, ob ich es tatsächlich brauchen würde. Dafür schrieb ich Listen, Maßangaben und Auswahlmöglichkeiten, bis ich schließlich auf annehmbare 8,25 kg ohne Getränke und Lebens­mittel kam. Ich war sehr zufrieden mit mir selbst und wollte meine aus­geklügelte ­Methode auch meinem Göttergatten nahebringen. Dem war das aber völlig egal, denn schließlich brauche er, was er brauchte, und das nähme er auch mit erklärte er mir, schmiss alles in seinen Rucksack und kam dabei auf das unfassbare Gewicht von 8,45 kg. Wegen 200 g habe ich mir also all die Mühe gemacht? Wobei, hätte ich das genauso gehandhabt wie Peter, würden wir ja nicht von 200 g, sondern eher von zwei Kilo reden. Vor dreißig Jahren wären wir wohl noch mit weitaus weniger Gepäck gereist, denn damals hatte noch niemand eine Ahnung davon, wie sehr die ­digi­tale Welt unseren ­Lebens- und auch Reisestil beeinflussen würde, aber heutzutage erhöht ­allein unser technisches Equipment, das wir auf Wanderungen mitnehmen, das Gewicht des Rucksacks deutlich. Handy, iPod, Ladekabel und natürlich mein heißgeliebtes Tablet waren unver­zichtbar. Viele reagierten verständnislos als ich erklärte, dass ich ein Tablet samt Tastatur mitnehmen würde. Beide Teile wogen zusammen knapp einen Kilo, aber es würde sich im Laufe der Reise herausstellen, dass das die ­absolut beste Investition war.

      Zeitgleich mit dem Kauf der Rucksäcke schloss ich mich auch diversen Internetgruppen und Wanderforen an, knüpfte Kontakte und ließ mich bei allen Themen rund ums Wandern in England beraten. Zwei Foren ­sollten dabei meine wichtigsten Wegbegleiter werden. Zum einen ist das die ­offizielle Facebook-Gruppe von South West Coast Path Wanderern und zum anderen die Gruppe der größten englischen Wanderzeitschrift Country Walking, die mich auch davon überzeugte, im Jahr 1.000 Meilen zu wandern, also 1.610 Kilometer, was einem Tages-Soll von 4,4 Kilo­metern entspricht. Da sich das gut mit meinem 10.000 Schritte-Programm vereinbaren ließ, nahm ich 2017 erstmals an dieser Challenge teil und brauchte tatsächlich bis zum 30. Dezember, bis ich diese Kilometeranzahl schaffte. An Silvester 2017 genoss ich den einzig wanderfreien Tag in ­vollen Zügen, war aber zeitgleich auch sehr stolz, dass ich tatsächlich auf diese Zahl gekommen war, und freute mich über die Medaille, die man nach erfolgreichem Abschluss bestellen kann. Durch diese beiden Gruppen lernte ich viel über das Wandern in Großbritannien; etwa, dass es 1.000 Mile Socks gibt, die Blasenfreiheit garantieren, dass nirgendwo sonst über einen derart langen Zeitraum so viele Stufen zu bewältigen sind wie am SWCP und dass es ohnehin nirgends schöner ist als genau dort.

      Im Herbst 2017 unternahm ich dann meine erste Weitwanderung ­alleine ohne Peter und begab mich in die niederösterreichische Wachau, um dort den zweiten der insgesamt vier „Best Trails of Austria“ zur Hälfte zu wandern – den UNESCO Weltkulturerbesteig. Wie ein gewaltiger Riss durch das Gestein beeindruckt das Donautal zwischen Krems und Melk jährlich zahlreiche Besucher. Aufgrund ihrer malerischen Orte, ihrer ­historischen Bauten, des die Landschaft gestaltenden Weinbaus und der hier noch frei fließenden Donau wurde die Wachau im Jahr 2000 durch die Aufnahme in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes geadelt. Doch wer hier einen Wanderweg entlang des Flusslaufes auf der beliebten Radstrecke vermutet, der liegt falsch,