und sage ihm ein freudiges „Tschüss, mach’s gut“. Noch weiß ich nicht, wie oft ich mich nach genau diesem Platz zurücksehnen werde und richte daher zum letzten Mal für mehr als zwei Monate mein Kissen und meine Decke, damit alles seine Ordnung hat. Man will sich ja vor möglichen Einbrechern nicht genieren, wobei unsere Töchter hoffentlich unsere gemeinsamen vier Wände gut hüten werden. Eigentlich müssen sie nur die vollgeschriebene A4-Seite meines Mannes befolgen, aber wäre ich sie, würde ich das nicht so ernst nehmen. Ich würde selbst die Hälfte wohl nicht machen, denn wie heißt es so schön: „Ist die Katze aus dem Haus, haben die Mäuse Kirtag!“, aber das verrate ich meinem Mann natürlich nicht, er macht sich eh jetzt schon viel zu viele Sorgen. Ich hingegen bin sicher, dass das Haus auch noch stehen wird, wenn wir wieder heimkommen, vermutlich nicht so, wie wir es heute verlassen, aber stehen wird’s schon noch.
Mittlerweile ist es 4.00 Uhr morgens und unsere große Tochter Claudia und ihr Freund Manuel warten bereits, bis wir mit unserem Hausrundgang fertig sind. Herd abgedreht, Jalousien hinaufgezogen, Fenster verschlossen? So machen wir es bereits seit Jahren, vermutlich Jahrzehnten, und haben unsere eigene unübertreffliche Routine entwickelt. „Ihr wisst aber schon, dass ich in zwei Stunden wieder daheim bin, oder?“, meint Claudia etwas genervt. Stimmt eigentlich, aber das ist wohl die Macht der Gewohnheit. Ohne unsere Töchter so lange wegzufahren, ist neu für uns; überhaupt so lange wegzufahren, ist neu für uns.
Noch ein letzter Blick zurück und wir machen uns auf in Richtung Flughafen. Ein wunderschöner Sonnenaufgang begleitet uns auf dem Weg und es kribbelt schon in unseren Bäuchen, wenn wir daran denken, dass wir nun viele solcher Sonnenaufgänge sehen werden. Vielleicht kribbelt es aber auch, weil wir absolut noch nichts gefrühstückt haben und zumindest mein Bauch kann das gar nicht verstehen. Beleidigt grummelt er also vor sich hin, aber er muss sich noch etwas gedulden. Wir sind nämlich auf einer Mission. Unser erstes Ziel soll die Folierstation des Flughafens sein. Wir verabschieden uns also überschwänglich von Claudia und Manuel und stellen erfreut fest: Noch hält sich die Sehnsucht nach den Kindern in Grenzen.
Da wir nicht so mutig sind, um unser Gepäck mit all den Schlaufen, Bändern und Gurten einfach so einzuchecken, haben wir bereits gestern beschlossen, die Rucksäcke in Folie einwickeln zu lassen. Ganze € 12,– kostet der Spaß, pro Gepäckstück, versteht sich. Die Folierstation befindet sich in der Abflughalle beim Großgepäck und wir sind die Zweiten in der Reihe. Vor uns versucht gerade ein Mann mühevoll, sein teuer aussehendes Fahrrad hinter die Absperrung zu wuchten. Vom Mitarbeiter der Folierstation ist hier keine Hilfe zu erwarten, er ist genauso grummelig wie mein Bauch und gibt nur halbherzig Anweisungen, wo denn das gute Stück zu platzieren sei. Vielleicht ist dies ein ganz berühmter Radrennfahrer, aber selbst wenn, wir würden ihn ohnehin nicht erkennen, denn mit Radfahren haben wir nichts am Hut. Schließlich findet das Fahrrad einen kuscheligen Platz, ob es auch den Weg ins richtige Flugzeug schaffen wird, entzieht sich leider unserer Kenntnis. Nun gut, jetzt sind wir an der Reihe, dachten wir zumindest, denn plötzlich ist der gute Mann, der unsere Rucksäcke vor Schaden bewahren soll, indem er sie fürsorglich und nahezu watteweich einpackt, verschwunden. Die Minuten vergehen und wir suchen schon die Klingel, mit der man Personal rufen könnte, aber da ist keine oder zumindest versteckt sie sich vor uns. Mittlerweile hat sich hinter uns auch schon eine kleine Schlange gebildet und nicht nur wir fragen uns, was hier eigentlich los ist. Seelenruhig kommt der Flughafenmitarbeiter dann plötzlich um die Ecke gebogen und fragt uns wenig charmant, was wir denn wollen. „Bitte einfolieren“, bleiben wir immer noch freundlich und ich schenke ihm einen lächelnden Blick. Leider habe ich nicht das Talent, Männer mit einem einzigen Augenaufschlag dahinschmelzen zu lassen, und so scheitere ich kläglich beim Versuch, dem Mitarbeiter ein Lächeln zu entlocken. Gut, zumindest packt er, wenn auch ziemlich lustlos, unsere Rucksäcke ein und zwar mit derart viel Folie, dass ich bereits jetzt ein schlechtes Gewissen habe, dass wir diese in England – ich weiß, das Land heißt Großbritannien, aber wir werden uns tatsächlich nur in England aufhalten – entsorgen müssen und somit deren Plastikmüllproblem drastisch vergrößern werden.
Nach dem „Baggage Drop-off“ beschließen wir, gleich sämtliche Kontrollen hinter uns zu bringen und in der Nähe unseres Abfluggates zu frühstücken. Es ist wirklich wenig los, doch auch hier sind die Mitarbeiter nicht freundlicher und die Miene des Polizisten bei der Passkontrolle gibt mir zu verstehen, dass mit ihm nicht zu spaßen ist. Dabei tu ich gar nichts! Schließlich schaffen wir es doch und holen uns einen Frühstückskaffee. Die Dame an der Kassa ist das erste freundliche Wesen, das mir heute begegnet. „Guten Flug“, meint sie und natürlich bin ich ebenso freundlich und meine, „Ihnen auch!“. Hoppla, das funktioniert hier nicht, aber sie meint gelassen: „Eines Tages werde ich auch wegfliegen, bis dahin hebe ich mir die Wünsche auf.“
Mittlerweile sind wir spät dran und wir eilen zum Gate. Mein Mann und ich sind beide extrem stur, wenn es um Sitzplätze im Flugzeug geht. Ich will am Fenster sitzen und er braucht unbedingt einen Platz am Gang und so ist der Platz in der Mitte immer frei – wobei frei ist er so gut wie nie, denn meistens setzt sich jemand dazwischen, so auch dieses Mal. Doch die Flugpartnerin ist eine angenehme Zeitgenossin und wir plaudern fast den ganzen Flug hindurch. Sie hat eine Tochter in Schottland und diese möchte sie besuchen, zuvor gehen sie und ihr Mann aber auf Entdeckungsreise quer durch England und Schottland. Außerdem lese ich einen kleinen, aber hervorragenden Artikel von Karl Hohenlohe über die Wartezeit vor dem Gepäckförderband, einfach herrlich, weil die Situation so treffend beschrieben ist. Diese Anspannung erleben wir wirklich jedes Mal, wenn wir auf das Gepäck warten und das zu Recht, denn wir sind auch schon mal ohne Gepäck, dafür in Jeans und Sweater, im sommerlichen Orlando gestanden. Würde uns das heute passieren, dann würde ich vermutlich durchdrehen, schließlich haben wir die Ausstattung feinsäuberlich über ein ganzes halbes Jahr zusammengesucht. Doch wir haben Glück: Nach einem ruhigen Flug kommen unsere hervorragend verpackten Rucksäcke sehr schnell das Förderband entlang. Geschafft!
Nach einem ewig langen Weg am Heathrower Flughafen kommen wir bei der Central Station an, wo wir als erstes lesen, dass sich unser Bus um eine dreiviertel Stunde verspäten wird, was heißt, dass wir jetzt die nächsten drei Stunden am Busbahnhof festsitzen. Die Zeit vertreiben wir uns mit Warten, denn viel mehr kann man hier nicht machen. Als der National Express, der uns in Somersets Hauptstadt Taunton bringen soll, endlich eintrifft, merken wir sofort, dass wir uns die falschen Plätze reserviert haben. 1. Reihe rechts, dachten wir uns, sei eine gute Wahl, denn da kann man durch die große Scheibe des Busses frontal alles beobachten. Unser Gehirn wusste zwar theoretisch, dass in Großbritannien Linksverkehr herrscht, doch praktisch hat es uns nicht weitergegeben, dass dann auch der Busfahrer vor der 1. Reihe rechts sitzt. So ein Schmarren. Wir sehen also gar nichts von vorne und seitlich ist es auch schwierig, denn die Fenster strotzen nur so vor Staub- und Matschtropfen. Noch dazu kommt, dass die Klimaanlage defekt ist, und so sucht sich die kalte Luft ihren ganz eigenen Weg, um dem System zu entkommen, und dieser endet genau oberhalb meiner rechten Schulter. Da der Bus aber ziemlich voll ist, können wir den Gedanken, die Plätze zu wechseln, ad acta legen. So versuche ich, die Spalten mit Taschentüchern zuzustopfen, doch durch den Windzug gleiten sie sacht, aber schnell, wieder zurück auf meinen Schoß. Vor einer Stunde hatte ich den Jamaikaner auf der linken Seite, der im Sommer eine Haube trägt, noch belächelt, jetzt wäre ich bereit, für diese Haube meinen letzten Penny zu geben. Mein diesbezügliches Angebot nimmt er irgendwie nicht ernst, aber so entsteht zumindest ein nettes Gespräch und es stellt sich heraus, dass auch er nach Minehead unterwegs ist. Auf meine Frage, ob er denn auch wandern würde, lacht er schallend: „Are you crazy? Definitely not!“ Vermutlich sind wir tatsächlich ein wenig verrückt, aber nicht verrückter als so viele vor uns, die diesen Weg schon erfolgreich gemeistert haben.
Die Reise verzögert sich erneut, denn plötzlich müssen wir kurz nach Bristol auf eine Autobahnraststelle und den Bus wechseln. Ein Passagier eines anderen Busses hat ein Fensterglas eingeschlagen und die Busfahrerin traut sich nicht damit bis nach London zu fahren. So müssen wir den kaputten Bus, na gut, den Bus mit dem kaputten Fenster, übernehmen, denn unser Weg sei nicht mehr so lang, werden wir aufgeklärt. Schließlich kommen wir doch in Taunton an und dieses Mal haben wir Glück, denn der Anschlussbus steht direkt bereit. Zwei Stunden später als geplant erreichen wir schließlich das beschauliche Städtchen Minehead. Dieses ist zwar mit knapp 10.000 Einwohnern die größte