Manfred Hutter

Religionsgeschichte Anatoliens


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      2.3.3 Stelen und »naturbezogene« Kultplätze

      Ebenfalls zu Plätzen der Kultausübung gehören Stelen, die im Hethitischen als NA4ḫuwaši- oder mit dem Logogramm NA4ZI.KIN bezeichnet werden.98 Diese (pseudo-)sumerographische Schreibweise kann als Wiedergabe des syrischen Wortes sikkannum gelten, worin der Aspekt des Wohnens der Gottheit anklingt (vgl. die semitische Verbalwurzel skn »wohnen«). Das hethitische Wort ḫuwaši- ist etymologisch möglicherweise mit dem luwischen Wortfeld der Wurzel ḫwid-99 »leben, lebendig sein« zu verbinden, d. h. in einer solchen Stele »lebt« eine Gottheit. Man kann Stelen als anikonische Götterdarstellungen bezeichnen, die in einem Tempel als »Kultbild« aufgestellt sein können. Typischer ist aber die Funktion solcher Stelen als Freiluftheiligtümer, die sich oft außerhalb von Siedlungen befinden.100 Manche Texte sprechen davon, dass man in ein ḫuwaši- hineingeht, was auf eine Verbindung zwischen einer ḫuwaši-Stele und einem abgegrenzten Areal verweist, das insgesamt als Ort der Anwesenheit einer Gottheit verstanden wird. Die »Naturverbundenheit« dieser ḫuwaši-Anlagen zeigt sich auch daran, dass diese häufig mit Quellen, Bäumen oder besonderen Felsformationen verbunden sind. Bezüglich der Form und der Größe lassen die Texte erkennen, dass die Größe variabel war, da kleine Stelen auf einen Altar gestellt werden konnten, manche jedoch die Größe eines Menschen haben konnten. Anscheinend konnten mehrere Stelen einen »Stelenbezirk« bilden, in den man wie in einen (offenen) Raum hineingehen konnte.

      Stelen als Orte der kultischen Praxis waren sicher bereits in althethitischer Zeit bekannt, wie z. B. indirekt aus der mittelhethitischen Instruktion von Arnuwanda I. an die Grenzkommandeure aus der »Vor-Großreichszeit« hervorgeht, denen folgende Dienstanweisung gegeben wird:101

      (Die alte Kultstele im Ort), um die man sich nicht kümmert, um die sollt ihr euch jetzt kümmern. Man soll sie aufrichten. Und die Opfer, die es früher dafür gab, soll man geben.

      Die Aussage ist in mehrfacher Hinsicht interessant, da der Zeitbezug wohl weit in die Zeit vor Arnuwanda I. zurückweist, was bestätigt, dass Stelen als Fokussierungspunkte kultischer Handlungen seit der hethitischen Frühzeit zum religiösen Repertoire gehörten. Zugleich zeigt diese Dienstanweisung aber auch, dass diese Kulte nicht nur auf die Hauptstadt beschränkt waren, da Arnuwandas Instruktion sich auf Beamte in der Provinz bezieht – und neben der Restaurierung der Stele auch die Durchführung anderer Kulthandlungen durch die Priester zum Thema hat.102 Dass solche Stelen und Stelenbezirke wichtige Plätze der Kultausübung waren, zeigt ihre mehrfache Nennung in Festritualen, wenn es heißt, dass der König zur Stele(nanlage) einer Gottheit geht. Außerhalb der im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts errichteten Stadt Šarišša lag auf rund 1.900 Metern Seehöhe ein solches ḫuwaši-Heiligtum des Wettergottes neben dem Šuppitaššu-Teich, wobei diese archäologische Entdeckung mit textlichen Hinweisen über Feste in dieser Stadt korreliert.103 Die Lage dieses Heiligtums scheint auf den Großen Tempel des Wettergottes, das so genannte Gebäude C, in der Stadt ausgerichtet gewesen zu sein. Die erhöhte Lage auf einem Berg und neben dem Teich, der aus einer Einsturzdoline entstanden ist, weist auf einen anderen Aspekt »kultischer Orte« der Hethiter hin, da eben natürliche Gegebenheiten wie Quellen, Teiche oder Berge als solche angesehen werden konnten. Auch wenn solche Kultplätze kaum nachweisbar sind, falls es dort – anders als beim eben genannten Beispiel aus Šarišša – keine festen Bauinstallationen gibt, werden sie in Texten mehrfach als Kultplätze genannt. Die vorhin zitierte Instruktion von Arnuwanda I. setzt nach der Aufforderung, die Stelen zu restaurieren, unmittelbar mit dem Auftrag fort, auch die Quellen hinter der Stadt zu besuchen und die Rituale dort durchzuführen; anschließend werden auch die Opfer für die Berge (in der Umgebung der Stadt) genannt (KUB 13.12 iii 13–19).

      Somit bot sich für die Hethiter ein weites räumliches Spektrum, wo kultische Handlungen ausgeführt werden konnten – von monumentalen Tempeln über lokalen Schreinen und Kulträumen im Palastbereich, wie etwa dem ḫalentu-Raum bzw. -Gebäude, bis hin zu »Kultanlagen« im Freien an Quellen, Teichen oder Bergen. Manche dieser Anlagen dürften nur temporär gewesen sein, so dass sie nicht archäologisch, sondern lediglich textlich nachweisbar sind. Genauso zeigen die Kultutensilien, die in den Bauwerken in İnandık und Hüseyindede gefunden wurden, dass Kulthandlungen auch an Orten, die nicht exklusiv der Durchführung des Kultes dienten, stattgefunden haben.

      2.4 Akteure und Akteurinnen im Kult

      An den vielfältigen Formen des Kultes sind Personen mit unterschiedlichen Aufgaben beteiligt, wobei eine einheitlich verwendete Terminologie bzgl. »Kult«, »Liturgie«, »Rituale« usw. in den hethitologischen Publikationen nicht vorhanden ist. Daniel Schwemer verwendet »Kult« primär für Feste (und vermeidet Begriffe wie »Zeremonie« bzw. »Liturgie« wegen ihrer jüdisch-christlichen Konnotation) und unterscheidet den »Kult« terminologisch von »Ritualen« (häufig mit therapeutischer Funktion). Allerdings erwähnt er zutreffend, dass eine genaue Abgrenzung von »Kult« und »(magisches) Ritual« nicht immer möglich ist.104 Aus meiner Sicht ist es daher besser, »Kult« als allgemeinen Oberbegriff zu verwenden, d. h. dazu gehören sowohl Zeremonien und Liturgien bei Festen und Opfern zur Verehrung von Gottheiten sowie jene Rituale, die für einen Einzelnen oder eine Gruppe mit therapeutischen, reinigenden oder stärkenden Zielen durchgeführt werden. Auch in den Ritualen werden dabei Götter durch Opfer und Gebete einbezogen, wie auch bei Festzeremonien die Teilnehmer (bzw. Priester) mit Opfern und Gebeten in Kontakt zu den Gottheiten treten. In dieser Hinsicht sind daher sowohl »Rituale« als auch »Feste« lediglich unterschiedliche Ausdrucksformen bzw. Typen innerhalb des Kultes. Alle die bei solchen kultischen Handlungen – in verschiedener Weise – beteiligten Personen kann man daher als »Akteure im Kult« bezeichnen, wobei die Funktionen dieser Personen weit gestreut sind: Priester und Priesterinnen (inklusive möglicher Spezialisierungen), Musiker(innen) und Tänzer(innen) als »professionelle« Akteure bei Festzeremonien, aber auch jene Personen, die Aufgaben im Tempel – inklusive der Betreuung oder Verwaltung von Wirtschaftsgütern des Tempels bzw. von Abgaben für den Tempel – ausüben; Ritualfachfrauen, Therapeuten, Heilerinnen bzw. Spezialisten und Spezialistinnen zur Erschließung des göttlichen Willens durch Orakeltechniken sind weitere Gruppen von den mit dem Sammelbegriff »Kultakteure« zusammengefassten Personen. Die Aktivitäten einzelner Personen sind dabei nicht immer explizit auf eine einzige Funktion beschränkt.

      Für das althethitische Priestertum ist auf die schon genannte Stelle des KI.LAM-Festes zu verweisen, dass der SANGA der Stadt Ziplanta ein erstklassiges Gewand bekommt, der tazzelli-Priester aber nur ein zweitklassiges. Dies zeigt eine Hierarchie für Ziplanta, aber man darf die Situation nicht automatisch als eine institutionalisierte priesterliche Rangordnung im ganzen althethitischen Reich interpretieren.105 Denn obwohl in vielen Texten verschiedene »Priester« als Akteure von Kulthandlungen genannt sind, existieren keine Textzeugnisse, die Fragen der Institutionalisierung des Priestertums behandeln, sondern Priestertitel sind wenngleich in großer Zahl fast immer nur stereotyp mit der Aufzählung von – oft ebenso stereotypen – Kulthandlungen bezeugt: Sie brechen Brote als Opfergaben, rezitieren und bringen den Göttern Trankopfer dar. Spezifische Pflichten und besondere Funktionen verschiedener Priesterkategorien sind dabei nur ansatzhaft festzustellen. Genauso muss man bedenken, dass keineswegs alle »Tempelbediensteten« (LÚMEŠ/MUNUSMEŠ É.DINGIRLIM) zu den »Priester(inne)n« zählen, wie deutlich die »Instruktion für die Tempelbediensteten« (KUB 13.4) zeigt, wenn im Kolophon dieser Instruktionen folgende Personengruppen als Tempelbedienstete genannt sind:106 Küchenpersonal der Götter, Bauern der Götter, Rinder- und Schafhirten der Götter. Im Zusammenhang mit der zeitlich richtigen Durchführung von Festen nennt die Instruktion auch die SANGA-Priester, die GUDU12-Priester, die AMA.DINGIRLIM-Priesterinnen und (andere) Tempelbedienstete (KUB 13.4 ii 57, iii 35f.).

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