abgelenkt wurden.
Der Sonnenwind und die sowieso vorhanden Partikel des Alls waren bedeutungslos für das Kurshalten, da sie ebenfalls keine Wirkung irgendeiner Art auf das hatten, was sich Martin da gebastelt hatte. Ein Instrumentenflug, bei dem nur die Strecke aufgezeichnet wurde, die man dann wieder zurückflog, mit ein paar Korrekturen. Die Atemluft sammelte Martin einfach in den Dellen, die geschlossen wurden und verkleinert. Die Schwierigkeiten, die manches Mathematische in sich barg, löste nicht er, sondern ein College seiner Wahl. Bei diesem Wettstreit der Colleges und auch der NASA, die natürlich der Meinung war, sie hätte die Lösungen, gab es natürlich Beanstandungen. Die Aufgaben seien zu leicht!
Mathematiker: Der Bretz ist wieder da. Guck dir das an, zu blöd, der fragt hier doch nach einem Körper mit der kleinstmöglichen Oberfläche.
Hausmeister: Kugel, oder?
Mathematiker: Das schick ich an Princeton, da sind die Bücher so alt, dass die immer noch mit neun Planeten rechnen.
Sir Henry Kaven: Es sollen jetzt wieder elf oder zehn sein, weil Charon sich mit Pluto um dasselbe Schwerkraftzentrum dreht. Der kleine ganz außen ist, glaube ich, zu klein. Der ist jetzt ein Planetoid, wie hieß der noch mal?
Mathematiker: Sedna, nach der Inuit-Göttin.
Sir Henry: Geht mein Antrieb?
Mathematiker: Ja, mit Einschränkungen, es ist technisch schwierig umzusetzen, Kohlefaser-Triebwerke brauchen andere Dichtungen.
Es war mittlerweile Auslegungssache, wie viele Planeten unser Sonnensystem hatte.
Es war beim Mathematischen ein Ding der Unmöglichkeit, dass Martin den Schwierigkeitsgrad änderte oder überhaupt unterscheiden konnte, da für ihn alles gleichermaßen unmöglich aussah. Aber die NASA berechnetet dort etwas Reales. So weil keiner davon wusste, konnte niemand sagen, ob es funktionierte.
Zigaretten, Konserven, Wasser und Kleidung mussten auch noch eingekauft werden.
Martin: Tschüs, Miete.
Neben einem Gerät, das die Fernsehsignale ortete, konstruierte er noch den Raum mit dem einzigen Fenster, vom Rest des Inneren getrennt, das Cockpit. Die Licht und Strahlenmauer forderte ihren Tribut. Auf dem Computer zeichnete sich langsam ein 34 Meter langes Schiff ab. Keine Triebwerke, die normalerweise den größten Platz forderten. Der Überlichtantrieb wäre nach heutigen Maßstäben in frühestens 250 Jahren realisiert, selbst wenn die ganze Welt daran arbeiten würde. Jetzt war nicht mehr drin als vier Fünftel Lichtgeschwindigkeit. Die pessimistischen Schätzungen lagen bei über 1300 Jahren. Blödsinn, das Ego kroch aus seinem Loch, in das es bei den mathematischen Aufgaben geflüchtet war. Er würde die Schwerkraft im Bug so hoch drehen, dass auch die Lichtmauer fällt. Das wäre, als hätte er ein schwarzes Loch vor den Wagen gespannt. Den ganzen Tag schweißtreibendes Training gegen die Erschlaffung des Körpers in der Schwerelosigkeit. Künstliche Schwerkraft stand in seinem Kopf ebenfalls bereits auf dem Patent und war nicht nur Fantasie.
Martin sparte Kraft und sorgte für einen langen Flug ohne interessante Ereignisse. Zeit, seinen Geisteszustand zu überprüfen.
Martin: Was mache ich hier?
Und Zeit, dafür zu sorgen, dass man den desolaten Verstand mit etwas anderem ablenkte. Er nahm jede Art von Unterhaltung, die er finden konnte. Der zu Unrecht eingesperrte Dreyfuss beschäftigte sich mit mathematischen Problemen, dann musste er es nicht tun da es schon jemand anderes machte. Philosophie gut, Mathe schlecht. Dreyfuss war tot, und Mathe wäre wohl sinnvoller.
Wenn er das Maschinchen ausreizen wollte, brauchte er Platz im Raum, nicht nur eine lange Strecke, sondern auch einen unbeobachteten Abschnitt. SETI kontrollierte zwei bis drei Prozent des Himmels. Wenn das Raumschiff nur mit der Schwerkraft der Erde flöge, wäre er schon nach kurzer Zeit hilflos im All und müsste von der ISS gerettet werden, peinlich. Dieser Witz blieb ihm noch eine ganze Zeit lang im Kopf.
Für die Außenwelt machte er für die Dauer des Fluges ein Auslandspraktikum, sechs Monate müssten reichen. Und im Bewusstsein der Tradition nahm er sich eine Plakette mit, wie sie schon auf den Voyager-Sonden angebracht waren. In »Star Trek« wurde der erste Kontakt durch einen Warp-Flug initiiert, ein solches Ereignis war für Martin nun greifbar.
Der Tag der Abreise war gekommen und Martin war kaum noch zu halten. Da niemand eine Ahnung davon hatte, was er im Begriff war zu tun, überlegte Martin sich, ob er das nur für sich tat und wie viele einen solchen Wahnsinn vor ihm schon gewagt hatten.
Er grübelte bei guter Musik und las dabei ein paar Bücher, die sich nur zum Teil mit diesem Thema befassten. Schlafen konnte er kaum, aber rauchen. Er rauchte Billigzeug, diese Zigarillos für einen Euro pro Packung. Die waren Bückware, dabei dachte man, dass es so etwas nur zu DDR-Zeiten gegeben hatte. Er rauchte eine Schachtel pro Tag, dementsprechend war die zu transportierende Menge. Der ‚Hawazuzie‘ – Handwagen zum Ziehen – war das einzige Transportmittel, das ihm zur Verfügung stand. Erst die Zigaretten zum kleinen Versteck auf der Waldlichtung, in einer Bauminsel, und dann die schwereren Konserven. Beim Beladen stellte Martin einen Backstein unter die Achse des im Supermarkt gekauften Wagens, damit diese, dünn wie ein Zahnstocher, nicht durchbog. Er konnte nicht stehenbleiben, bergauf, bergab, mit dem Backstein in der Hand. Er glaubte, ihn zu brauchen, wenn es ums Ausladen ging. Dem war aber nicht so, da der Wagen in der Wiese der Lichtung versank.
Die namenlose Maschine lief auf schwerelos.
Um 01:15 Uhr nachts wurde das Schiff gebaut. Filigran veränderten sich die einzelnen Bauteile, aber viel zu laut bogen sich die Bleche zum Schiff. Besonders das Vergrößern sorgte für kräftiges Knarzen. Martin hüpfte mit den Händen fuchtelnd umher.
Martin: Pst!
Parallel suchte er bis zwei Uhr morgens die Gegend nach Spionen ab. Das Bunkern der Luft war dann noch geräuschintensiver. Es knarzte wie das Feilen eines zu hoch eingespannten Stücks Plastik. Gleichzeitig belud er das fleckige Schiff. Rot, gelb, blau. Das Schiff hatte beim Wachsen Farbe bekommen.
Einen Konstruktionsfehler bekam Martin beim Beladen zu spüren. Die Sache fiel erst auf, als es bereits zu spät war. 1,5 Sekunden vor dem Aufprall stellte Martin fest, dass die Treppe, die das Beladen des schwebenden Schiffs ermöglichen sollte, zu glatt war. Taunasser Rasen und ein Stück der Treppe, die auf ihn prallten, sorgten nur für einen blauen Fleck und ein paar unauffindbare Konserven. Das war alles, was Martin zunächst übersehen hatte. Schulterzuckend legte er eine Decke über die Stufen und belud das Schiff. Praktischerweise programmierte man zwei Schiffe, eines mit und eines ohne Tür.
Als Martin das Beladen beendet hatte, baute er kurzerhand um.
Martin: Luftdicht.
Gestartet wurde 02:45 Uhr. Martin bevorzugte zum Steuern ein Joypad, keinen Steuerknüppel. Durch die durch die Lichter der Stadt rot ausgeleuchteten Wolken sollte es gehen, so schnell wie möglich. Luftraumüberwachung gab es zwar nicht, aber die Signalfarben Rot und Gelb korrigierten Martins Einschätzung der Sichtbarkeit stark nach oben. Gute Gründe für UFO-Sichtungen. Martin setzte, im Cockpit sitzend, zum Spurt an und jagte sein Schiff durch die beim Näherkommen dunkel werdenden, rötlich glühenden Wolken.
Es folgten Wassermassen. Als die Sterne aufblinkten, bemerkte er, dass die Maschine immer noch keinen Namen besaß. Er befand sich tatsächlich in einem UFO, nur bedeutete es in seinem Fall »unbenanntes fliegendes Objekt«, nicht unbekanntes.
Martin: Schiff ist ein schlechter Name für ein Schiff.
Bei Martins Sinn für Namensgebung war diese Erkenntnis eine gewaltige Leistung.
Martin plante nicht, wieder auf den Boden zurückzukehren. Ein solcher Flug wäre nur in Geschwindigkeiten denkbar, die eine Entdeckung mit sich führen könnten, ohnehin konnte er nicht abschätzen, wie weit der Boden unter ihm lag.
Eine Ausrede des Egos, die Fähigkeiten eines Piloten wurden nicht gemessen an der Geschwindigkeit, sondern eher an Dingen wie der Landung. Entweder dachte er, dass er das schon lernen würde, wahrscheinlich hatte er jedoch gar nicht daran gedacht.