Paul Fenzl

Fokus SEIDENPLANTAGE


Скачать книгу

München, war die Sachlage anders. Millionenstädte waren immer schon anders dimensioniert. Wenn in Regensburg 150 Leute an einer Demo mitmachen, und das Wort ›randalieren‹ den meisten davon ein Fremdwort ist, dann geben sich in Berlin vor dem Brandenburger Tor schnell mal 20 Tausend und mehr Demonstranten ein Stelldichein. Und ein paar, die so eine Demo gerne dazu nutzen, gehörig Dampf abzulassen, sind immer darunter. Aber in Regensburg …? Natürlich gibt es auch in Regensburg ein paar Bescheuerte, aber die wären notfalls auch mit einer Wasserpistole zur Ruhe zu bringen. Ob die Polizei in Regensburg über einen Wasserwerfer, quasi die professionelle Version der Wasserpistole, verfügt, das ist ernsthaft zu bezweifeln.

      Also gingen seit dem Ausbruch der Pandemie größere Straftaten, bei denen Personen zu Schaden kamen, erst einmal zurück. Bis sich die neue Situation dann einzupendeln begann. Vielleicht auch, weil sich einiges aufgrund all der Einschränkungen aufgestaut hatte.

      Vergleichen lässt sich das gut mit dem Geschehen in einem Vulkan. Lange passiert nichts. Der Druck wird stärker, was höchstens an einigen Rauchwölkchen zu erkennen ist. Aber irgendwann steigt der Druck ins Unermessliche und er bricht aus. So einen triebgeleiteten Verbrecher zum Beispiel, den können äußere Umstände durchaus einmal längere Zeit davon abhalten, wieder aktiv zu werden. Aber eben nur längere Zeit und nicht für immer.

      Jedenfalls bekam die Kripo plötzlich wieder alle Hände voll zu tun. Das oben in der SEIDENPLANTAGE war dabei erst der Anfang.

      Trotzdem schlug zumindest für den Moment eine damit in aller Regel einhergehende Hektik bis ins Präsidium noch nicht durch. Die Kommissarin Martina Cuscunà hatte noch immer nichts Konkretes zu tun und träumte, während sie an ihren Fingernägeln herumfeilte, vom letzten Jahnspiel, wo sie geschlagene 90 Minuten am Stück ganz ungeniert all die attraktiven Spieler beobachten konnte, ohne deswegen gleich als Voyeurin verdächtigt zu werden.

      Frau Cuscunà war noch nicht besonders lange im Team vom Köstlbacher. Böse Zungen behaupteten, sie hätte diesen Posten nur erhalten, weil sie eine Freundin der Staatsanwältin Dr. Simone Becker war. Eine dieser bösen Zungen war die Edith Klein, die Sekretärin vom Köstlbacher. Aber wer die Edith Klein kennt, der kann sich denken, warum die so etwas erfand. Martina Cuscunà konnte es als einzige im direkten Team vom Köstlbacher mit seiner Sekretärin in punkto Aussehens aufnehmen. Nicht etwa, weil beide blond waren. Deswegen schon dreimal nicht, weil die Klein ihre Haare ja immer wieder anders färbte. Aber die Cuscunà war auf ihre Art ebenso attraktiv wie die Klein. Und das hatte was zu sagen, weil die Klein bislang unumstritten als die schönste Frau im Präsidium galt. Von der Staatsanwältin einmal abgesehen.

      Das sah auch der Köstlbacher so, wenngleich er es nie zugab, damit seine Anna ihm zu Hause wegen seiner Sekretärin nicht noch mehr die Hölle heiß machte.

      Dass es außer der Klein inzwischen diese Cuscunà im engeren Team ihres Mannes gab, das war der Anna Köstlbacher zwar schon zu Ohren gekommen, aber das störte sie nicht. Noch nicht! Ihr Groll war außer auf die Klein momentan mehr auf die Staatsanwältin Dr. Simone Becker gerichtet, mit der ihr Edmund im engen beruflichen Kontakt stand. In zu engem Kontakt, wie es ihr schien, was allerdings nur ein Auswuchs ihrer blühenden Fantasie war. Wirklich eng, zumindest räumlich gesehen, arbeitete der Edmund nur mit seiner Sekretärin zusammen. Immerhin versorgte die ihn auch mit Getränken und Leckereien, wenn ihm danach war, hin und wieder sogar mit einer deftigen Brotzeit.

      Martina Cuscunà, die von den ›Problemen‹ der Frau ihres Chefs nichts wusste, war immer noch in Gedanken versunken. Ihr verträumter Blick wäre jedem Beobachter sofort aufgefallen. Aber es gab keinen Beobachter. Nur ein Telefon, das gerade jetzt, außer zu klingeln, auch noch rot blinkte. Das rote Blinken war dafür gedacht, dass sie, falls sie gerade in einer Besprechung wäre und nicht gestört werden wollte, wenigstens sehen konnte, dass jemand anrief.

      »Hallo Martina«, begrüßte sie ihre Freundin, die Staatsanwältin Frau Dr. Simone Becker.

      »Hallo Simone! Du überraschst mich. Ein privater Anruf bei mir im Dienst?«

      »Da muss ich Dich enttäuschen, liebe Martina, ist nicht privat. Ich kann nur niemanden im Präsidium erreichen. Die Klein hat mich bereits informiert, was los ist. Leider ist auch Euer Abteilungsleiter Lenz nicht im Haus.«

      »Er hat einen Termin in München, sollte aber eigentlich schon längst zurück sein! Was kann ich für dich tun?«

      »Unsere gemeinsame Freundin Petra Herrmann hat mich angerufen. Sie hat wegen der Mord-Sache da oben vor der Seidenpantage Angst, Kundschaft zu verlieren und möchte gerne, dass seitens der Kripo bald eine Pressekonferenz abgehalten wird, um die Leute zu beruhigen. Ich weiß natürlich, dass das nicht in deiner Macht steht. Aber vielleicht kannst du diesbezüglich den Köstlbacher sensibilisieren, sobald er zurück ist? Natürlich melde ich mich später noch selbst bei ihm. Aber du kennst ihn ja. Er kann sehr ruppig werden, wenn er sich überfallen fühlt. Zumal, wenn er erfährt, dass wir beide die Petra kennen. Verheimlichen lässt sich das auf Dauer kaum.«

      »Ich werde mein Bestes tun. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass ihn nur eine dienstliche Anweisung überzeugen wird.«

      »Wird notfalls von mir persönlich ergehen. Aber trotzdem wäre etwas Vorfühlen sicher nicht verkehrt. Ich möchte vermeiden, dass meine Intervention im Zusammenhang mit meiner Freundschaft mit Petra gewertet wird.« ›Was allerdings so ist!‹, dachte Martina und beendete das Gespräch.

      Kapitel 6

      Die ersten Kunden für die ›Dayspa‹, zwei Frauen und ein Mann, hatten sich inzwischen auf den Weg gemacht, um ihre gebuchten Anwendungen in der SEIDENPLANTAGE zu genießen. Zwar waren zu diesem Zeitpunkt immer noch einige Kräfte der Polizei und der Kripo vor Ort, aber ›The show must go on!‹ Schließlich war in der SEIDENPLANTAGE selbst nichts passiert. Warum also Leute nach Hause schicken, die sich schon lange auf ihren Aufenthalt in den verspielen Räumen der ›Dayspa‹ freuten, in denen sie sich in die orientalische Welt aus ›1000 und eine Nacht‹ versetzt fühlen konnten. Zumal der erste Corona-Lockdown das lange genug unmöglich gemacht hatte.

      Bis dann die dritte oder vierte Kundin auf dem Weg zum Haupteingang einen Schrei ausstieß. Schon bei den ersten Schritten, den sie durch das wegen des Polizeieinsatzes immer noch weit geöffnete Haupttor machte, fiel es ihr auf. Das blutige Messer, das seitlich auf dem Kies lag. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum dieses Messer vorher niemandem aufgefallen war. Aber danach gesucht wurde nur draußen auf der Straße, im Gestrüpp hinter den Bäumen, unter den Bäumen selbst, ja sogar unten vor dem Friedhof in den Abfallkörben. Niemand suchte innerhalb der Einzäunung der SEIDENPLANTAGE, quasi auf dem Grundstück des an die Tat angrenzenden Anwesens.

      Da die Spusi schon wieder weg war, steckte der Köstlbacher höchst persönlich das Messer in einen Asservatenbeutel. Das Blut musste noch mit dem der Leiche abgeglichen und der Griff auf etwaige Fingerabdrücke untersucht werden. Das Team eines der letzten noch nicht abgefahrenen Einsatzfahrzeuge nahm das Messer entgegen und fuhr es der Spurensicherung hinterher.

      Fast zeitgleich kam die Kommissarin Koch mit ihrer Hündin Mina zurück. Negativ. Anfangs schien die Hündin zwar eine Spur gefunden zu haben, aber je näher sie dem Friedhof gekommen waren, desto mehr verwirrten die dort vielfältigen Gerüche die sensible Hundenase. Die Spur verlor sich sprichwörtlich im Nichts. Vor dem Verladen in den Hundetransportkäfig im Dienstwagen wurde die Hündin aus unerfindlichen Gründen wieder nervös und bellte leicht aufgeregt, aber niemand achtete darauf. Auch die Koch nicht. Ihr Job und der ihrer Hündin waren erledigt.

      ***

      Niemand hatte damit gerechnet und niemand hätte damit rechnen können, dass die gesuchte Person sich nie wirklich weit entfernt hatte. Ein Paar abgestreifte Latexhandschuhe, ein Paar entfernte Überschuhe, wie die Spusi sie trug, um eigene Spuren nicht mit fremden zu vermischen, einige Änderungen am Outfit … und schon konnte man sich innerhalb eines unauffälligen Personenkreises bewegen. Die Idee, selbst das weggeworfene Messer zu finden und es der Polizei zu übergeben, war spontan gekommen. Es musste gefunden werden. So war