und so auch, warum die Krieg gegeneinander führten.«
Mit diesen Worten beginnt das Geschichtswerk des Herodot über die Kriege zwischen Griechen und Persern, die in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. das große Thema der griechischen Außenpolitik waren. Herodot, dessen Lebensdaten etwa zwischen 485 und 424 v. Chr. liegen, wurde später von dem Römer Cicero mit dem Ehrentitel pater historiae, »Vater der Geschichtsschreibung«, geadelt. Diesen Titel hat er absolut verdient. Er erforschte die Vergangenheit als erster kritisch, rational und analytisch, überprüfte die Quellen und fragte nach den Gründen und Ursachen historischen Geschehens. Er beschränkte sich nicht allein auf die politische und militärische Geschichte, sondern interessierte sich auch für Kultur, Religion und Alltag. Insofern war er auch nach heutigen Kategorien ein moderner Autor. Zudem war er gebildet und kenntnisreich, was, wie man weiß, eine gute, wenn nicht gar unabdingbare Voraussetzung für eine verantwortungsvolle, seriöse publizistische Tätigkeit bildet.
Herodot kann man sich also anvertrauen, wenn es darum geht, ein historisch einigermaßen zuverlässiges Bild von den Perserkriegen zu gewinnen. Und er müsste auch, wie man zumindest annehmen darf, eine kompetente Quelle für den Wandel im Fremdenbild der Griechen sein. Neben seiner historiografischen Kompetenz brachte er auch gute persönliche Voraussetzungen mit. Seine Heimat war Halikarnassos, das heutige Bodrum im Südwesten der Türkei, seine Familie hatte vermutlich sogar einheimisch-karische Wurzeln.
Marmorbüste Herodots, römische Kopie eines griechischen Originals aus dem 4. Jh. v. Chr.
Das kurze Vorwort, das Herodot seiner Darstellung der Perserkriege vorausgeschickt hat, ist bemerkenswert. »Taten, groß und des Staunens wert, vollbracht von Griechen wie von Barbaren«, heißt es dort. Von Griechen und Barbaren? Also waren auch Barbaren in der Lage, Großes und Bedeutendes zu leisten? Früher hatte kein Grieche daran Zweifel gehegt. Erst in dem Maße, wie die Griechen sich ihrer Qualitäten bewusst wurden, distanzierten sie sich von der Außenwelt, spielten sich, einst gelehrige Schüler, nun als deren Lehrmeister auf. Gutes kann nur von Griechen kommen, lautete die Devise der klassischen Zeit.
Eine politische Dimension erhielt das Barbarenbild in den Kriegen gegen die Perser. Diese regierten damals ein Weltreich, das sich vom Mittelmeer bis nach Indien erstreckte. Gründer war im 6. Jahrhundert v. Chr. der legendäre König Kyros gewesen. Kyros? Das hört sich nicht sehr persisch an. Und tatsächlich hieß Kyros auch nicht Kyros, sondern Kurusch. Die Kriege gegen die Griechen fanden statt, als Darajavausch und Chschajarscha auf dem Thron der Herrscherdynastie der Achämeniden saßen. Wir kennen sie besser unter den Namen Dareios und Xerxes. Eine ihrer Residenzstädte hieß Persepolis – Griechischer kann ein Name nicht sein: die »Perserstadt«. Der richtige iranische Name lautet Parsa. Die Griechen, und auch der so weltläufige Herodot, pflegten fremde Namen – seien es Personen, seien es Orte – konsequent zu gräzisieren. Das hatte zum einen phonetische Gründe. Die fremden Namen klangen in den feinen Ohren der Griechen zu exotisch. Zum anderen aber stand dahinter auch das griechische Überlegenheitsgefühl. Jemanden bei seinem richtigen Namen zu nennen, bedeutet, ihn anzuerkennen und zu respektieren. Den Namen in die eigene Sprache zu transkribieren, heißt, auch die Person, die diesen Namen trägt, zu vereinnahmen.
Die Kriege der Griechen gegen die Perser dauerten mit Unterbrechungen von 500 bis 479 v. Chr. Verbunden sind sie mit den von den Griechen gebührend gefeierten Schlachten von Marathon (490 v. Chr.), Salamis (480 v. Chr.) und Plataiai (479 v. Chr.). Viele griechische Stadtstaaten waren an der Abwehr der persischen Militäraktionen beteiligt. Doch verstanden es speziell die Athener, sich als diejenigen in Szene zu setzen, die den meisten Anteil am Sieg hatten, weil es ihre Flotte gewesen sei, die den Vormarsch der Perser letztendlich gestoppt habe. Gleich nach dem Abzug der Perser gründeten sie den Attischen Seebund, dessen Zweck darin bestand, sich vor weiteren Angriffen der Perser zu schützen. Die Partner Athens zahlten Geld oder stellten Schiffe – und wollten natürlich wissen, warum sie das tun mussten. Weil, so die Antwort der Athener, die Perser eine nach Expansion strebende Macht seien; weil sie den Westen vor dem Osten schützen müssten; weil die Perser von hybriden, blasphemischen, dekadenten Despoten regiert würden.
Der Perserkönig lässt das Meer auspeitschen
Als die persische Armee 480 v. Chr. auf dem Weg nach Griechenland die Dardanellen (von den Griechen Hellespont genannt) überqueren wollte, wurde die Schiffsbrücke von einem Sturm zerstört.
»Als Xerxes das erfuhr, war er empört und befahl, den Hellespont mit 300 Hieben auszupeitschen und ein paar Fesseln ins Meer zu senken … Er gab den Auftrag, beim Geißeln die barbarischen Lästerworte zu sprechen: ›Du bitteres Wasser, dein Herr legt dir diese Strafe auf, da du ihn beleidigt hast, ohne Böses von ihm erlitten zu haben. Und der König Xerxes wird doch über dich hinweggehen, ob du nun willst oder nicht.‹ … Das Meer also befahl er damit zu züchtigen. Denen aber, die das Überbrücken des Hellespont zu leiten hatten, ließ er den Kopf abhauen.«
Herodot 7,35
Das griechische Perserbild war natürlich mehr Propaganda als Realität, doch geeignet, den Führungsanspruch Athens als Garant für Sicherheit vor den Persern zu untermauern. Wir gegen die Barbaren, Freiheit gegen Despotie, lautete die nun politisch korrekte, antithetische Devise. Die persischen Barbaren sind gefährlich, zu dekadent, wir haben die Verpflichtung, gegen sie unsere Freiheit zu verteidigen. Ab jetzt hatten die Perser keine Chance mehr, unvoreingenommen betrachtet zu werden. Sie kamen in eine Ablage mit der Aufschrift »dekadente, versklavte Barbaren«. Der Barbarenbegriff hatte damit eine neue Dimension erreicht. Bis dahin galt er als Synonym für Andersartigkeit, in sprachlicher, aber auch in kultureller Hinsicht. Durch die Kriege der Griechen gegen die Perser und vor allem den Umgang der Griechen mit den Kriegen gegen die Perser wurde der Barbar politisiert.
»Dass Griechen über Barbaren herrschen, ist recht und billig, nicht aber Barbaren über Griechen. Die einen nämlich sind Sklaven, die anderen Freie.«
So sprach im 4. Jahrhundert v. Chr. der berühmte griechische Universalgelehrte Aristoteles (Politik 1252 b8). Er formulierte damit kurz und knapp die Konsequenz aus einer Lehre, die nachweisen sollte, dass die Menschen nicht alle gleich seien. Um 430 v. Chr. erschien unter dem Namen des berühmten Arztes Hippokrates – aber sicher nicht aus seiner eigenen Feder – eine Schrift über den Einfluss von Klima und Umwelt auf die Konstitution und die Mentalität der Menschen. Der Autor leitete die von ihm postulierte Verschiedenheit der Völker von dem Klima und den relevanten Umweltfaktoren in den jeweiligen Regionen der Welt ab. Das Klima in Europa schwanke zwischen Hitze und Kälte. Daraus resultiere ein robuster Körper, geistige Beweglichkeit, Tapferkeit und Freiheitsliebe. Das Klima in Asien sei von einer großen Gleichförmigkeit gekennzeichnet. Weil es keine Schwankungen zeige, seien die Menschen schlaff, träge, ängstlich und daher auch bereit, sich Despoten zu unterwerfen. Diese Theorie war politisch höchst willkommen. Nun hatte man den »wissenschaftlichen« Beweis, dass Europäer den Asiaten überlegen waren. Freie Europäer befehlen, geknechtete Asiaten gehorchen.
Aristoteles entwickelte diese Lehre weiter (1327 b21 ff.), indem er eine Grenzlinie durch Europa zog. Menschen im Norden Europas seien mutig, aber hätten keinen Sinn für Geist und Kunst. Sie verfügten nicht über das Talent, ihre Nachbarn zu beherrschen. Die Menschen in Asien seien intelligent und hätten künstlerische Begabung, aber sie seien furchtsam und lebten daher in ständiger Sklaverei.
Und was ist mit den Griechen? Sie leben genau in der Mitte zwischen den Nordeuropäern und Asiaten. Sie teilen alle Vorzüge und sind frei von allen Nachteilen. Mutig, intelligent, befähigt zu Staatlichkeit und zum Herrschen.