wie ein Wasserfall. So lange, bis der Flieger startete.
Nach der Mahlzeit und zwei Bordfilmen schlief ich ein. Diese Pause tat mir gut. Und danach fühlte ich mich besser.
In Los Angeles startete die zweiwöchige »internationale Busreise für junge Leute«. Wir durchfuhren den Westen und nächtigten jeden Tag in einer anderen Unterkunft. Wir sahen den Grand Canyon, die Wüste um Las Vegas, San Francisco. Und unsere Reisebegleiterin konnte alles wunderbar erklären.
Doch zwischendurch übermannte mich auch immer wieder die Sehnsucht und ich ließ keine Gelegenheit aus, nach Hause zu telefonieren. Das war allerdings nur mit Münzen möglich. Ich musste zuerst an Quartermünzen kommen. Dafür ging ich jedes Mal in ein Geschäft und bat um Quartermünzen für 10 Dollar. Das Kassenpersonal verneinte immer, weil sie ihr Wechselgeld nicht einfach herausgeben konnten. Als ich allerdings erklärte, woher ich kam, dass ich nach Deutschland telefonieren wollte, weil ich Sehnsucht hatte, griffen alle in die Kassen oder einen extra Tresor, um mir meine Dollarnoten in Quartermünzen zu wechseln. Dann suchte ich mir eine Übersee-Telefonzelle. Ich musste immer vier dieser Münzen einwerfen, die Verbindung aufbauen lassen und erst, wenn sich der Angerufene meldete, wurde ich vom Operator gefragt, ob ich das Gespräch annehmen wollte. Dafür musste ich möglichst viele weitere Quarter einwerfen. Währenddessen durfte Sigi keinen Ton sagen und beim ersten Mal befürchtete ich, dass er zwischenzeitlich auflegen würde. Das war spannend, aber dann konnte ich ihm das erklären und die Folgegespräche verliefen ohne weitere Aufregung, ob die Vermittlung klappen würde. Es waren immer nur wenige Minuten. Aber seine Stimme zu hören, tat mir unendlich gut und ich konnte hinterher gut gelaunt die Reise fortsetzen.
Zwei Wochen tingelten wir mit der Gruppe umher. Die dritte Woche verbrachten Gabi und ich in Santa Barbara. Wir fanden ein Hotel in Strandnähe. Ideal für entspannte letzte Tage bis zu unserer Abreise Richtung Heimat. Der Tag kam und voller freudiger Erwartung bestiegen wir das Flugzeug.
Wir landeten pünktlich in München. Die Zeit, bis unsere Koffer auf dem Förderband erschienen, zog sich in quälende Länge. Ich konnte es nun wirklich kaum noch aushalten, mich endlich in Sigis Armen zu sehen. Kurz vorm Ziel und doch so weit weg. Ungeduldig tippte ich ständig mit dem Fuß, bis Gabi mich darauf aufmerksam machte, dass es nerve. Okay, ich musste mich zusammennehmen und meine innere Unruhe bändigen. Ich atmete tief durch. Endlich sahen wir unsere Koffer. Wir schnappten sie uns und eilten ohne weitere Zwischenfälle durch den Zoll Richtung Ausgang. Da stand auch schon Gabis Mutter und winkte uns zu. Während der Autofahrt erzählte Gabi unentwegt von unserer Reise. Ich lächelte und genoss die Bilder, die ihre Schilderungen mir in Erinnerung riefen, mit der Idee, genau diese Erlebnisse bald mit Sigi teilen zu dürfen. Vor meinem Elternhaus luden sie mich ab. Etwas müde und gleichzeitig aufgeregt sperrte ich die Haustüre auf. Doch es war niemand da. Gut, es war ein Wochentag, alle arbeiteten, aber trotzdem hatte ich gehofft, dass irgendwer da sein würde. In der Küche stand ein Himbeerkuchen auf dem Tisch. Als Willkommensgruß. Ich blieb nicht lange daheim, denn ich hatte, wie man so schön sagt, Wespen im Popo. Mit dem Rad fuhr ich zu Oma und Opa. Dort berichtete ich von meinem Urlaub und lud sie für später zu Kaffee und Kuchen ein. Ich tauschte das Rad gegen das Auto meines Großvaters, damit ich zur Arbeitsstelle meiner Mutter fahren konnte. Opa brauchte das Auto heute nicht mehr und er wusste, dass ich mobil bleiben wollte. Sigi, nahm ich mir vor, auf jeden Fall heute noch zu treffen. Auf dem Weg zu meiner Mutter hielt ich in Rosenheim an einer Ampel an – und wen entdeckte ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite in seinem Wagen? Das war ja unglaublich. Was für ein Zufall. Sigi entdeckte auch mich, und ohne uns mit Handzeichen verständigen zu müssen, hielten wir nach der Überquerung der Kreuzung jeweils am Straßenrand an, rannten aufeinander zu und flogen uns regelrecht in die Arme. Tränen der Erleichterung und Freude rannen über meine Wangen, die Sehnsucht hatte ein Ende. Jetzt war alles gut. Sigi war für die Firma zu einem Kunden unterwegs und konnte sich die Zeit frei einteilen. So war er zu diesem Zeitpunkt losgefahren, weil er darin die größte Chance sah, mich zu Hause anzutreffen, um mich zu begrüßen. Natürlich verabredeten wir uns für den Abend. Ich stieg wieder ins Auto und fuhr weiter zur Arbeitsstelle meiner Mutter. Sie arbeitete damals in der Bibliothek eines Gymnasiums. Als ich an der Tür klopfte und die Klinke drückte, war sie allerdings verschlossen. Enttäuscht setzte ich mich auf die Treppe und wartete.
Plötzlich hörte ich Schritte im Treppenhaus. Meine Mutter bog um die Ecke. Jetzt wurde mir klar, dass sie die Bibliothek kurz zugesperrt hatte, um mich vom Sekretariat aus zu Hause anzurufen. Sie war kurzzeitig in Sorge gewesen, weil sie mich nicht erreichen konnte, erklärte sie. Umso schöner, dass wir nun wieder zusammen waren.
Am Abend kam dann endlich Sigi zu uns nach Hause. In meinem Zimmer erzählte ich ihm von meinen Reiseerlebnissen. Er hörte aufmerksam zu, während sein sanfter Blick auf mir ruhte. Dabei strich er mit einem Finger meinen Arm entlang und spielte mit einer meiner Haarsträhnen.
Nach einer Weile beendete ich meinen Reisebericht und legte mich in seinen Arm. Wir lagen schweigend auf meinem Bett und lauschten dem Herzschlag des anderen. Das war alles, was wir in dem Moment brauchten: Luft und Liebe und die Nähe zueinander.
Und dann sagte Sigi: »Lass uns doch zusammenziehen.«
Leben zu zweit
Unentwegt wälzten wir die Zeitungen und spürten Annoncen auf, die für uns interessant sein könnten. Wir nahmen Kontakt mit einem Vermieter auf, besichtigten die Wohnung, bekamen aber keine Zusage.
Eines Abends rief mein Onkel an. Er berichtete von einer Mieterin, die ausziehe, und fragte, ob ich nicht jemanden wüsste, der bei ihm einziehen möchte. Und ob ich jemanden wusste! Am besten sofort!
Voller Aufregung fuhr ich zu Sigi. »Wir haben eine Wohnung, wenn wir sie wollen!«, rief ich ihm entgegen. »In Aschau bei meiner Tante und meinem Onkel. Am Wochenende ist Besichtigung.«
Sigi sah mich verdutzt an. Dann fing er an zu lachen. »Gerade habe ich darüber nachgedacht, wie schrecklich eine Wohnungssuche sein kann. Und jetzt kommst du.«
So schnell kann es sich ändern. Na ja, ganz so schnell, wie ich hoffte, ging es nicht. Es waren noch ein paar Renovierungsarbeiten zu erledigen, die mein Onkel in Auftrag gab. Die Wände pinselten wir selber an und im Oktober 1989 wurde Aschau im Chiemgau unsere gemeinsame Heimat.
Unser Leben war sehr abwechslungsreich. Wir waren jung, hatten eine lustige Clique und unseren Spaß. So unbedarft und guter Laune, rundherum sorglos und ständig auf Achse. Doch bald wurde mir die Entfernung zur Arbeit von Aschau aus zu weit. Mit Sigi zusammen zu fahren passte zeitlich nicht. Er startete morgens noch früher als ich und konnte seinen Arbeitsplatz oft erst nach mir verlassen. Ich spürte, so war es nicht gut, und traf schweren Herzens die Entscheidung, mich um eine Arbeitsstelle in der näheren Umgebung zu kümmern. Ich bewarb mich im Nachbarort bei einem Spielwaren- und Kartenfabrikanten. Prompt wurde ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen.
Mit feuchten Händen saß ich dem Abteilungsleiter gegenüber. Das Gespräch verlief locker und meine Aufregung war schnell wie weggeblasen. Beim Verlassen der Firma hatte ich ein gutes Gefühl. Von meiner Seite her stand dem Arbeitsplatzwechsel nichts im Weg. Zu Hause erzählte ich Sigi voller Begeisterung von dem angenehmen Gespräch und dem sympathischen Vorgesetzten. »Ich hoffe sehr, sie nehmen mich, dann wird es leichter werden. Was meinst du?«
Sigi streichelte sanft über meinen Kopf. »Mach dir keine Gedanken, es kommt schon so, wie es sein soll.«
Ein paar Tage später meldete sich die Firma und sagte mir die Stelle zu. Also fuhr ich hin – zur Vertragsunterzeichnung.
Jetzt war es an der Zeit, bei meinem bisherigen Arbeitgeber zu kündigen. Und das stellte sich als gar keine leichte Aufgabe heraus, als ich merkte, wie ungern mich mein Chef gehen lassen wollte.
Neuer Arbeitsplatz
Das neue Team machte mir den Start leicht. Renate teilte sich mit mir ein Büro. Wir verstanden uns von der ersten Sekunde an. Schnell war ich eingearbeitet und bald schon gehörte ich zu den Spieletestern. Wir probierten mit den Entwicklern neue Ideen der Spieleautoren aus.
Besonders spannend fand ich die Wahrsage- und Tarot-Karten in unserem Sortiment. Sie erinnerten mich an einen Urlaub mit meinen Eltern in Kroatien.