Eugene McCabe

Tod und Nachtigallen (Steidl Pocket)


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      »Ich hab ’ne Nachricht, Sörr, und Ihr heißes Wasser.«

      »Moment, Mercy … eine Nachricht … von wem?«

      »Kanonikus McManus sein Diener ist vorbeigekommen.«

      »Was? Warte!«

      Billy Winters rollte sich aus dem Bett und schwang die Beine auf ein Stück verblichenen indischen Teppichs. Er fuhr in seinen Morgenmantel und tappte über die Kieferndielen zur Schlafzimmertür.

      »Wann … wer, hast du gesagt?«

      »Gerade eben, Sörr, Peter Reilly, der Mann vom Kanonikus. Er sagt, der Kanonikus wird auf dem Rückweg von der Messe vorsprechen.«

      »Das wäre jetzt.«

      »Jawohl, Sörr.«

      Ihr Beichtvater, Kanonikus Leo McManus. Was erzählt sie ihm?

      Mercy wandte sich um und ging bis zum Treppenabsatz. Hinter ihr, draußen vor dem Dielenfenster und jenseits davon, erstreckte sich die Hauswiese nordwärts bis zu dem erhöhten Ringfort, das auf den Lower Lough hinabblickte.

      Lieber Gott, wie schön und staunenswert sind doch Licht und Wasser, sind Feld, Baum und Himmel… Der Mai, welch ein Monat, um am Leben zu sein, und ich bin mit einem Traum vom Tod erwacht!

      Unten hörte er Kuhketten und Eimer und sanftes Muhen. Er rief:

      »Mercy.«

      »Sörr?«

      »Wo ist Miss Beth gerade?«

      »Sie wird in der Küche oder in der Milchkammer sein.«

      »Du weißt, welcher Tag heute ist?«

      Mercy lächelte durch ihre schiefen Zähne.

      »Meine Mutter hat extra ’nen Kuchen gebacken, und ich hab auch was für sie.«

      »Du bist ein feines Mädel, Mercy. Ich bin gleich unten.« Und das war sie: umsichtig, arbeitsam, ergeben.

      Mercy hatte die weiße Emaillekanne mit heißem Wasser auf einen Tisch im oberen Korridor gestellt. Er trug sie zum Waschstand, goss das Wasser in eine Schüssel und bereitete alles für seine Rasur vor. Im Erker eines Südfensters stand ein Schiffsteleskop neben einem dreibeinigen Rasierspiegel mit Kerzenhaltern. Ein Nordfenster zwischen Waschstand und Kleiderschrank blickte hinab auf den Hof mit seinen beiden Torbögen, auf schiefergedeckte Wirtschaftsgebäude, den Garten, die Obstplantage und die Koppeln, die an den Feimenhof grenzten. Im Hof nahe dem Kuhstall sprudelte, vom Brunnenhügel kommend, ein kleiner Bach mit Quellwasser in ein steinverkleidetes Becken. Unaufhörlich. Er versiegte weder bei Trockenheit, noch fror er im bittersten Winter ein. Jetzt wirbelte er um zwei Kupferkannen und sorgte dafür, dass Milch und Sahne bis zum nächsten Buttern süß blieben. Uraltes Verfahren: glasierte irdene Töpfe, das Knarren von Ochsenkarren auf den Straßen Jerusalems, den Plätzen Roms. Springbrunnen, Zisternen, Quellen, Aquädukte, die Heere Konstantins, die Europa für Christus kreuzigten, Kreuzritter, die in Kleinasien für die Christenheit metzelten und plünderten.

      Bin selbst ein Christenmensch, meine Art ist nicht weniger grausam als jeder Türke, unmenschliche Menschheit, jawohl, vom Weibsvolk ausgetragen und gesäugt. Cathy, meine tote Liebe, Mutter Elizabeths, Vater unbekannt. »Einer von zweien«, hat sie mal höhnisch entgegnet… Quell alten Kummers… Heute ist ihr Geburtstag.

      Als er blinzelnd den Rasierspiegel zum Licht hin bewegte, nahm er unten im Hof eine Bewegung wahr; eine Shorthorn-Kuh, die, gefolgt von Jim Ruttledge, über das Kopfsteinpflaster auf einen steinernen Klauenstand zutrottete. Als die Kuh in den Stand trat, blitzte neben ihrem Hüftknochen etwas auf… etwa eine Kanüle? Blähungen?

      Jim hatte das schmale eiserne Gatter hinter der Kuh geschlossen und entfernte eben die Kanüle, als Billy Winters das Fenster öffnete und hinunterrief:

      »Hat sie Blähungen, Jim?«

      »Ja.«

      Jim Ruttledge blickte nicht auf. Er wusste, wo Billy war, denn er, der mit seinen weit über siebzig Jahren kräftiger war als die meisten Männer mit fünfzig, hatte bereits vor Billys Geburt auf dem Anwesen gearbeitet.

      »Schlimm?«

      »Sie wird’s überleben.«

      »Ein Glück, dass du rechtzeitig da warst.«

      »’s war Miss Beth, die zu ihr raus is’; die hat das Gebrüll schon vor ’ner ganzen Weile gehört.«

      Also hatte ein Tier geschrien, es war kein Traum gewesen. Wie viele Frauen, Mädchen würden sich im Dunkeln auf die Wiese hinauswagen, um eine Kanüle in ein aufgeblähtes, krepierendes Vieh zu rammen? Ihr Geburtstag, der schlimmste Tag meines Lebens. Heute wird sie fünfundzwanzig, wieder ein Jahr vorbei. Jahrestag. Wann ist der Todestag der armen Mama? Brombeerzeit. Ende September. Blätterfall. Wie ergreifend sie vor langer, langer Zeit, als ich jung war, gespielt und gesungen hat, so selbstverständlich wie andere atmen: von der Liebe und dem entschwundenen Liebestraum. Und dann so voller Würde und Heiterkeit in den Tod zu gehen… Verschenke dies und das und jenes; verbrenne dies und das und jenes … und wenn du mit alledem fertig bist … dann wirf mich fort.

      Während er sich rasierte, begann Billy Winters leise eine Melodie von Thomas Moore zu summen und hielt inne, als er von der Auffahrt her das feine Knirschen von Hufen auf Kies vernahm. Er blickte aus der Seite des Erkerfensters. Ja, da war er, mit Zylinder und Gehrock, rittlings auf einem Grauschimmel, eine silberverzierte Reitgerte schwingend: Kanonikus Leo McManus in voller kanonischer Pracht. Während Billy ein kragenloses Hemd, respektierliche graue Hosen und eine Weste überzog, hörte er sich leise singen:

       »Rule Romania, Romania rules the taigs,

       Poor Rosie’s childer ever, ever shall be slaves.«

      3

      Für Kanonikus Leo McManus bestand der beste Teil seines Pfarramtes darin, hoch zu Ross die Feldwege, Höfe, Dörfer und Gemarkungen von Upper Fermanagh zu bereisen. An den Esszimmerwänden seines Pfarrhauses in Dromcoo hatte er Landkarten der Bodenkommission mit Bleistiftmarkierungen versehen und konnte auf einen Blick Namen, Status und Religion der Besitzer bestimmen. Über Emigranten führte er ein eigenes Verzeichnis, korrespondierte mit jenen, die es zu Wohlstand gebracht hatten, und versuchte, wo immer möglich, sie zum Rückkauf all dessen zu bewegen, was er in seinem Rundbrief »das anheimgefallene oder gestohlene Erbe unserer Vorfahren« nannte. Zu seiner Enttäuschung hatte er weder von Con Cunningham aus Los Angeles noch von Barney Hughes aus London eine Antwort erhalten, obgleich diese beiden allein die gesamte Grafschaft hätten aufkaufen können. Viele andere jedoch meldeten sich und leisteten wertvolle Beiträge. Die Grafschaft gehörte Katholiken und Protestanten zu gleichen Teilen; so Gott wollte, würden Zeit und Entschlossenheit dies ändern.

      Am gestrigen Abend hatte er Mervyn Knights jüngste Publikation studiert, erschienen bei Longmans of London und betitelt: Höfe, Familien und Wohnstätten in Fermanagh. Er hatte sehr genau gelesen, was dort über die Familie und die Wohnstätte stand, denen er sich jetzt näherte.

      CLONOULA Irisch: Apfelwiese

      ZUGEHÖRIGE FAMILIEN Eine: Winters

      STANDORT Baronie Clanawley; Enniskillen sechs Meilen, Tully Castle drei Meilen, Dublin achtzig Meilen.

      LAGE Bergflanke 225 Meter über dem Meeresspiegel. Weiter Blick von Osten auf Upper Lough Erne. £487.00

      GESCHICHTE Ehemals im Besitztum des Stammesführers Brian Maguire (aufständisch), 1610 der Krone anheimgefallen. Ursprüngliches Haus erbaut von Thomas Winters unter der Pacht von Sir John Hume auf Tully Castle. Während des Aufstands von 1641 niedergebrannt. Von Clement Winters 1660 wiedererbaut. 1793 von Kapitän zur See William Hudson Winters erweitert. Tore, Innenhof, Pförtnerhaus sowie der Weiler Clonoula etc.

      GEGENWÄRTIGER ZUSTAND Gut. Bewohnt. Besitzer: William Winters, Wohlgeboren.

      BESONDERE MERKMALE Großes