Norbert Lüdecke

Die Täuschung


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(LG 10) die Vollmacht zur Leitung der Zusammenarbeit begründet? Aus weltfremdem Optimismus32 oder im Bewusstsein, dass eine rechtliche Überbrückung dieser Standeskluft nicht möglich ist, nahm man Zuflucht zu Tugendappellen: Ein neuer Autoritätsstil sei gefordert! Der „Geist der Brüderlichkeit“ sollte es richten. Ständeverbindend wirksam werden sollte er durch das „Prinzip des Dialogs“. Alle Probleme hielt man im Modus des Dialogs fast nach Art einer Zauberformel33 für lösbar: „Indem Priester wie Laie selbstbewußt ihren Beitrag leisten und ehrlich auf den anderen hören, entwickelt sich im Gespräch die Lösung der anstehenden Fragen“34.

      Beide Seiten sollten „die gegenseitige Pflicht zu angemessener Information“35 anerkennen und ausüben. Statt ein verbrieftes Entscheidungsrecht zu fordern, appellierte man an das Pflichtgefühl und moralisierte Strukturfragen. Ob das Gespräch gelingt, blieb damit abhängig von den kommunikativen Fähigkeiten und der Bereitschaft des Klerus und insbesondere des Episkopats, Argumente fair anzunehmen. Die Verwiesenheit auf Appelle an die Moral der Kleriker beließ (und belässt) Laien in der Rolle von Bittstellern.

      Katho-Semantik: Dialog und Sprache

      Dass „Dialog“ und „Gespräch“ eine erste innerkirchliche Konjunktur erfuhren, kann überraschen. Beruhen sie doch im zeitgenössischen Verständnis

      „entschieden auf der Anerkennung der wesentlichen Gleichberechtigung der Partner. Ein Gespräch, bei dem von vornherein feststeht, daß z. B. seiner äußeren oder inneren Stellung wegen der eine Partner dem anderen gegenüber recht behalten muß, schließt heute geradezu den echten Gebrauch des Wortes … aus“36.

      In der Kirche war ein solcher Dialogbegriff nicht nur unvertraut, Dialog war gänzlich anders konturiert. Dass auf dem Konzil Bischöfe Argumente austauschten, mochte die Illusion gefördert haben, es verwirkliche eine dialogische Kirche.37 Übersehen wurde und wird, dass hier keineswegs Gleichberechtigte im Austausch waren, sondern einer der Bischöfe, nämlich der von Rom, als Papst entscheidend gleicher war als alle anderen. Denn ein katholisches Konzil ist als Ereignis (Einberufung, Themen, Tagesordnung, Dauer) wie in seinen Ergebnissen (verbindliche Auslegung, rechtliche Umsetzung) in der Hand des Papstes.38 Zudem hatte Papst Paul VI. in seiner Antrittsenzyklika (1964)39 erstmals das Dialogmotiv zwar in die kirchliche Lehre aufgenommen, allerdings in einer katholischen Neuformatierung. Sein Inhalt wird deutlich, wenn sich die Kirche im Dialog mit der Menschheit, den anderen Religionen und christlichen Konfessionen40 sieht, allerdings als „Erbin und Hüterin“ des Wahrheitsschatzes.41 Wenn der Wille, Brüder der Menschen zu sein, gepaart ist mit dem, ihre Hirten, Väter und Lehrer sein zu wollen42, wird klar: „Dieses Lehrer-Sein prägt alles, was Paul VI. mit dem Begriff Dialog umschreibt“43. Noch deutlicher wird dies, wo der Papst vom Dialog in der Kirche spricht.44 Die Beziehung der Glieder der kirchlichen Gemeinschaft im „Geist des Dialogs“ wolle auf keinen Fall

      „die Pflege der Tugend des Gehorsams beseitigen, da nämlich die Ausübung der Autorität auf der einen Seite und die Unterwerfung auf der anderen Seite, sowohl von einem geordneten gesellschaftlichen Leben, als auch insbesondere von der hierarchischen Natur der Kirche gefordert wird. Die Autorität der Kirche ist von Christus eingesetzt; sie vertritt ihn, sie ist die bevollmächtigte Vermittlerin seiner Worte und seiner seelsorglichen Liebe“45. „Wenn Wir Gehorsam und Dialog zueinander in Beziehung bringen, so wollen Wir damit unterstreichen, dass einerseits die Ausübung der Autorität ganz von dem Bewußtsein, im Dienste der Wahrheit und der Liebe zu stehen, durchdrungen sein muss, und dass andererseits die Befolgung der kirchlichen Vorschriften und der Gehorsam gegenüber den rechtmäßigen Oberen bereitwillig und freudig sein sollen, so wie es sich für Kinder geziemt, die frei sind und aus Liebe gehorchen. Der Geist der Unabhängigkeit, der Kritik, der Auflehnung verträgt sich schlecht mit der Liebe, die ein Gemeinschaftsleben beseelen soll … und verwandelt schnell den Dialog in eine Auseinandersetzung, einen Wortwechsel, ein Streitgespräch“46. „Alles, was zur Ausbreitung der kirchlichen Lehren dient, hat Unsere Billigung und Empfehlung. … Alle, die an diesem lebenspendenden Dialog der Kirche unter Führung der zuständigen Autorität teilnehmen, ermuntern und segnen Wir: besonders die Priester, die Ordensleute, die guten Laien, die in der Katholischen Aktion oder in anderen Vereinigungen für Christus kämpfen“47.

      Angesichts dieses Dialogbegriffs ist folgerichtig, dass ihn auch das Konzil nur für die Außenbeziehungen der Kirche verwendet, „um jede Vorstellung eines innerkirchlichen par cum pari von vornherein nicht aufkommen zu lassen“48 – eine Sensibilität, die sich aus gegebenem Anlass wiederholen wird.

      „Mit einem Dialog hat das alles nichts zu tun“49. Vom Gespräch unter Gleichberechtigten wurde „Dialog“ ständehierarchisch umformatiert zu einer notwendigerweise asymmetrischen Kommunikation zwischen kirchlichen Oberen und den ihnen unterworfenen Gläubigen. Dabei geht es um ein symptomatisches Beispiel für die gängige katholisierende Umdeutung von vertrauten Begriffen und eine signifikante Form lehramtlicher Machtausübung durch verbale Falschmünzerei.50 Der Papst ist Herr der Semantik. Was hier geschieht, hat Lewis Carroll in seinem zweiten Alice-Roman (Alice hinter den Spiegeln, 1871) exemplarisch anschaulich gemacht. In der Parallelwelt hinter den Spiegeln begegnet Alice dem menschenförmigen Ei Humpty Dumpty. Sie wundert sich, dass es das Wort „Glocke“ im Sinne von „einmalig schlagender Beweis“ benutzt. Auf ihren Einwand, das heiße „Glocke“ doch gar nicht, folgt die „recht hochmütige“ Antwort: „Wenn ich ein Wort gebrauche, dann heißt es genau, was ich für richtig halte – nicht mehr und nicht weniger.“ Darauf Alice: „Es fragt sich nur, ob man Wörter einfach etwas anderes heißen lassen kann.“ Und Humpty Dumpty: „Es fragt sich nur, wer der Stärkere ist, weiter nichts“51. Es geht um die Macht, Wörter zu füllen, um die Definitionsmacht. That’s all!

      Im Verhältnis zwischen Klerikern und Laien war Dialog ein Wort der Sehnsucht und der Hoffnung, es möge ein ehrliches klerikales Versprechen sein, dessen Einhaltung man zwar nicht einklagen, aber moralisch erwarten dürfe. Nach dem Konzil war diese Hoffnung zunächst stark.52 Allerdings galt mit Francis Bacon auch damals schon: „Hoffnung ist ein gutes Frühstück, aber ein schlechtes Abendbrot“53. Ahnungsvoll forderten Laien daher öffentlich mehr als nur Versprechungen: „Die Laien sind Kirche, nicht nur hörende Kirche und nicht nur Ersatzleute, die bei Priestermangel einzuspringen haben“54. Sie wollten nicht mehr von Klerus’ Gnaden handeln, sondern echte Laienrechte:

      „Wir stellen die Gretchenfrage: Will die Hierarchie eine Demokratisierung, will sie Laienvertretungen, die mutig, in gewissenhaftem Ernst, aber auch in Freiheit ihre Ansichten vertreten, auch wenn sie im konkreten Fall einmal nicht mit der Meinung von einigen Pfarrern, Prälaten oder gar Bischöfen übereinstimmen, oder will sie Jasager?“55

      Die Kritik traf auch das ZdK selbst. Immer noch gebe es in ihm zu viele Geistliche, und sein Statut ermögliche es dem Episkopat, „jede eigene Meinungsäußerung … zu unterdrücken. … ein schlechtes Statut trägt den Keim des Mißbrauchs in sich“56. Dass das ZdK intern bereits Vorschläge zu einer Statutenreform an die Bischofskonferenz gegeben hatte, aber nicht bereit war, öffentlich darüber zu diskutieren, bestätigte die Kritiker.57

      Das Verhältnis zwischen Episkopat und ZdK wurde von beiden Seiten her neu justiert. Das Gründungsstatut der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) vom Frühjahr 196658 sah u. a. eine eigene Kommission für die Laienarbeit vor, deren ständigem Beraterstab auch Laien angehören sollten. Das ZdK konnte sie vorschlagen.59 Die Nähe der Laien zur Hierarchie blieb so erhalten, wechselte in der Form aber von der Anbindung durch Direktion zur Einbindung durch Verflechtung und beratendes Mitreden.60 Das neue Statut des ZdK, das von seiner Vollversammlung am 10. Juni 1967 verabschiedet worden war, konnte nur mit der Genehmigung der deutschen Bischöfe vom 21. September 1967 in Kraft treten61, auch wenn das ZdK von den Bischöfen nicht mehr dauerhaft „getragen“, sondern in sprachlicher Abwandlung in einem gewissen Eigenstand „anerkannt“ (§ 1) wurde, wobei mit diesem Wort die finanzielle Unterstützung der Bischofskonferenz angezeigt werden sollte62 (Humpty Dumpty lässt grüßen). Die bisherige strikte Unterordnung wurde abgemildert63, ohne den beträchtlichen Einfluss des Episkopats auf Mitgliedschaft wie Tätigkeit aufzugeben. Die Diözesanvertreter wurden nun durch die neuen Laienräte entsandt (§ 4 a). Für die Kooptierung weiterer Persönlichkeiten war keine Zustimmung der Bischöfe mehr nötig