Norbert Lüdecke

Die Täuschung


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wie geplant in einer Erklärung das Vorgehen der Bischöfe ausdrücklich zu bedauern, münzte man positiv um: Eine spätere Verabschiedung des Statuts hätte man zwar lieber gesehen, aber jetzt gehe es um einen neuen Abschnitt der gemeinsamen Verantwortung aller Gläubigen.115 Erneut kollaborierten die ZdK-Funktionäre, durchaus selbstständig gegenüber der Vollversammlung, mit den Bischöfen. Entscheidungen der Versammlung wurden durch die Spitzenfunktionäre in Präsidium, Geschäftsführendem Ausschuss und Generalsekretariat vielfach vorgeprägt und vorformuliert. Eine Regie der Routiniers gegenüber den nur punktuell zusammentretenden übrigen ZdK-Mitgliedern spielte sich ein.

      Das Synodenstatut

      Es ist ein gängiger Reflex, sich von unangenehmen Wahrheiten des katholischen Kirchenverständnisses zu entlasten, indem das Kirchenrecht und die mit ihm befassten Wissenschaftler zu Sündenböcken erkoren werden. Gerne geschieht dies, indem in variierten Formen „die“ Theologie gegen das Kirchenrecht angerufen wird, als könne erstere einen Geltungsvorrang beanspruchen. Dabei wird übersehen oder zur Linderung einer narzisstischen Kränkung116 instrumentell überspielt, dass alle theologischen Disziplinen, einschließlich der Kanonistik, geltungstheoretisch auf derselben Ebene angeordnet sind: dem kirchlichen Lehramt untergeordnet. Entsprechend ist das Kirchenrecht nicht eine Erfindung von Kanonisten, sondern die vom jeweiligen kirchlichen Gesetzgeber vorgenommene Umsetzung einer Theologie in rechtliche Bestimmungen, und zwar der kraft formaler Autorität geltungsvorrangigen Theologie – und nicht einer Theologie, die von einer Mehrheit von Theologen entsprechend ihrem Status als Option vertreten wird. Wer auf das Kirchenrecht schimpft, traut sich systemgerecht nur nicht, den Papst in Haftung zu nehmen.117

      Das Kirchenrecht ist nichts anderes als geronnene lehramtliche Theologie. Das zeigt sich exemplarisch an der rechtlichen Grundlage der Würzburger Synode, ihrem Statut. Dessen Bedeutung erschöpft sich nicht in seiner situationsbedingten Funktion und den darin getroffenenen organisatorischen Klärungen. Vielmehr gilt: „Das Statut ist Ausdruck einer bestimmten Lehre von der Kirche, gleichsam ein ekklesiologisches Konzentrat, und gewinnt von daher theologische Relevanz“118. Es gibt damit zugleich Aufschluss über das Kirchenverständnis des Konzils, das ja mit dem Statut rezipiert werden sollte. Gegen die verbreitete Verschleierungstaktik, Struktur- gegenüber Sachfragen abzuwerten, gilt es bewusst zu halten: Strukturfragen sind Sachfragen!119

      Kein Parlament

      Die zentrale Grundanforderung an das Statut der Würzburger Synode war, den konziliar bewirkten Drang der Laien nach Mitgestaltung in einer Weise zu befriedigen, die zugleich jede demokratische Gefährdung der bleibend hierarchischen Struktur der Kirche bannte.120 Die besondere Verantwortung und Entscheidungskompetenz des Episkopats, und zwar des einzelnen Diözesanbischofs wie der Bischofskonferenz, zu jedem Zeitpunkt des synodalen Vorgangs war zu sichern. Dies ist auf eine bislang einmalige Weise gelungen.

      Existenz und Eigenart der Synode verdankten sich – auf der Grundlage der Genehmigung durch den Apostolischen Stuhl121 – der Bischofskonferenz. Nur sie beschloss das Statut, nur sie konnte es ändern (Art. 16 SynSt). Die Zuständigkeit der Gemeinsamen Synode war beschränkt auf Angelegenheiten „in ihrem Bereich“ (Art. 1 SynSt), d. h. auf die Diözesen der Bundesrepublik und unter der vorausgesetzten Kompetenzverteilung zwischen Bischofskonferenz und einzelnem Diözesanbischof. Mit der einstimmigen Verabschiedung des Statuts hatten die deutschen Bischöfe sich als einzelne wie als Zusammenschluss in einem Akt der Selbstbindung bereit erklärt, nicht im Alleingang über Beratungsgegenstände endgültig zu entscheiden und sich an den statuierten Verfahrensablauf zu halten. Mit dieser Selbstbindung gaben sie ihre vielfach abgesicherte Souveränität allerdings nicht auf, sondern drückten sie aus.122 Die Entscheidung des Episkopats, eine gemeinsame Synode abzuhalten, begründete zwar durchaus moralisch berechtigte Erwartungen bei den übrigen Gläubigen. Rechtlich anspruchsgedeckt waren diese jedoch nicht und konnten es nicht sein: Aufgrund der Kirchenverfassung konnten die klerikalen Entscheider ihre Letztverantwortung nicht abgeben. Wo sie nach ihrem Urteil das Wohl der Gläubigen gefährdet gesehen hätten, wären sie berechtigt und im Gewissen verpflichtet gewesen, ihre Selbstbindung auch wieder zurückzunehmen.123 Bei aller – noch genau zu klärenden – Besonderheit der Würzburger Synode blieb auch sie also Ausdruck episkopalen Goodwills. Entsprechend bestimmte auch nur die Bischofskonferenz über Beginn und Ende der Synode (Art. 10 SynSt).124

      Die Synode besaß weder ein Selbstversammlungsrecht noch das Recht, Beratungsgegenstände zu bestimmen. Diese konnten nur im Einvernehmen, d. h. mit Zustimmung der Bischofskonferenz festgesetzt oder ergänzt werden (Art. 11 Abs. 1f. SynSt).125 Dieses Einvernehmen zu erklären, bedeutete bei Themen innerhalb des Kompetenzbereichs der Bischofskonferenz mindestens eine Zweidrittelmehrheit ihrer Mitglieder mit eingeschlossener Zweidrittelmehrheit der Diözesanbischöfe, bei Gegenständen mit diözesaner Zuständigkeit bedeutete es die Zustimmung aller Diözesanbischöfe, da es ja um die Bearbeitung „gemeinsamer“ Angelegenheiten gehen sollte.126 Im ersten Fall lag die Sperrminorität bei damals acht von 22 Diözesanbischöfen, im zweiten Fall reichte der Widerspruch eines einzigen Diözesanbischofs127 aus, um einen Gegenstand von der Beratung auszuschließen.

      Die Bischofskonferenz blieb auch Herrin des näheren Beratungsverfahrens. Denn anders als in der öffentlichen Diskussion gefordert, war ihr Einvernehmen auch für den Beschluss der Geschäftsordnung nötig (Art. 15 SynSt).128 Zudem stellte und benannte die Bischofskonferenz wichtige Funktionsträger bzw. Organe der Synode. Deren Präsident war der Vorsitzende der Bischofskonferenz (Art. 15 Abs. 1 SynSt). Die Bischofskonferenz bestellte den Sekretär der Synode und konnte, trotz der überwiegenden Ablehnung einer solchen Personalunion, den Sekretär der Bischofskonferenz (Josef Homeyer) als Synodensekretär installieren. Die Bischofskonferenz bestimmte auch dessen Stellvertreter (den Laien Friedrich Kronenberg, Generalsekretär des ZdK) und die leitenden Mitarbeiter des Sekretariats (Art. 7 Abs. 1f. SynSt). Sekretär und Stellvertreter unterstanden der Weisungsbefugnis des Vorsitzenden der Bischofskonferenz als Synodenpräsident (Art. 7 Abs. 1 SynSt).129 Da dieser auch die dauerhaften Berater der Synode mit Stimmrecht in die Sachkommissionen berief, konnte er zudem das einfließende Fachwissen kanalisieren (Art. 3 Abs. 1f. SynSt).130

      Verbindlichkeit?

      Die Kernfrage war die nach der Kompetenz der Synode. Vielfach wurde und wird als Merkmal ihre Verbindlichkeit herausgehoben. Allerdings ist diese Aussage mehrdeutig. Bezieht Verbindlichkeit sich auf den Synodenvorgang, das Ereignis, meint sie die erwähnte souveräne Selbstbindung des Episkopats an das Statut und damit an ein bestimmtes Gesprächsarrangement.

      Bezieht sich der Begriff auf die Ergebnisse der Synode, ihre Schlussabstimmungen, wird es komplizierter. Das universalkirchliche Recht kannte damals (wie heute) gesetzgebende Gremien nur oberhalb der Bistümer, nämlich Konzilien als Versammlungen von Bischöfen (gesamtkirchliche = ökumenische bzw. teilkirchliche = Plenar- und Provinzialkonzilien) sowie nachkonziliar begrenzt die Bischofskonferenz. Im Bistum war (und ist) der Diözesanbischof einziger Gesetzgeber. Diözesansynoden konnten nur beraten, altkodikarisch ausschließlich mit Klerikerstimmen, seit dem Konzil auch unter Einbeziehung von Laien, wobei hierfür „sehr bald in fast ängstlicher Reaktion auf gewisse Forderungen nach Mitbestimmung der Laien“131 eine Klerikermehrheit sichergestellt sein musste.

      Die 18 Dokumente der Würzburger Synode mit der formalen Bezeichnung „Beschluss“ stellen ein ebenso umfangreiches wie nach Inhalten, Sprechweise und formaler Eigenart divergentes Textkonvolut dar. Der „Beschluss“ über die ausländischen Arbeitnehmer etwa besteht aus (kursiv gesetzten) Beschlusstexten und hinzugefügten Begründungen, über die nicht abgestimmt wurde.132 Weit überwiegend bieten die Texte jeweils eine Situationsanalyse, theologische Grundüberlegungen und praktische Folgerungen für das konkrete kirchliche Leben in Gestalt von allgemeinen pastoralen Richtlinien.133 Bei Letzteren handelt es sich allerdings nicht im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs um praktische Anweisungen einer höheren Instanz, sondern um durch intensive Beratung und Beschließung als theologisch und argumentativ überzeugend ausgewiesene Anregungen, Impulse und Appelle, „auf die praktische Durchführung drängende […] Kernaussagen“134, von denen (nur) moralisch erwartet werden konnte, dass sie sich in den Bistümern auswirkten bis durchsetzten.135 Steile und missverständliche Formulierungen,