Norbert Lüdecke

Die Täuschung


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als ein Pfarrer während der dritten Synodenvollversammlung die Bischöfe als „Fraktion“ und „organisierte Minderheit“ bezeichnete und die übrigen Synodalen aufforderte, ebenfalls Fraktionen zu bilden. Döpfner betonte, die Bischöfe hätten eine besondere Aufgabe, seien aber keine Fraktion. „Um Gestalt und Geist der Synode klar zu erhalten, dürfe es zu keiner Fraktionsbildung kommen“191. Da war es wieder, das Humpty-Dumpty-Syndrom: Wir mögen aussehen wie eine Fraktion, wir mögen sprechen wie eine organisierte Meinungsgruppe und uns verhalten wie eine Fraktion, wir sind dennoch keine, weil – ja, weil wir das eben sagen. Und deshalb sollen sich auch die anderen Synodalen nicht zu Meinungsgruppen zusammenschließen dürfen – was gleichwohl faktisch geschah.192

      Von ihrer Leitungsgewalt machten die Bischöfe nach ihrem Ermessen Gebrauch. So ließen sie etwa das Thema der Zulassung verheirateter Männer zur Priesterweihe (viri probati) ebenso wenig als Beratungsgegenstand zu193, wie Fragen zu Sinn und Gestaltung der menschlichen Sexualität nur in Gestalt eines Arbeitspapiers als Hintergrundinformationen zum Synodenbeschluss „Ehe und Familie“ veröffentlicht werden durften.194 Auf diesen Beschluss hatten die Bischöfe besonders intensiv Einfluss genommen, indem sie Änderungen bei den Aussagen zur Empfängnisverhütung, zu vorehelichem Geschlechtsverkehr und zu pastoralen Hilfen für wiederverheiratete Geschiedene als unerlässlich verlangten. Geplante Voten über die kirchliche Anerkennung eines faktischen Eheendes bei permanenter Untreue und einer reinen Zivilehe als gültige, wenngleich nicht sakramentale Ehe, verhinderten sie mit ihrem Veto.195 Zwar kam es auch bei diesen Themenkomplexen zu heftigen Auseinandersetzungen in der Synode. Insgesamt war aber wohl die Kompromissbereitschaft des sozial wie theologisch und politisch doch eher homogenen Plenums, das mehrheitlich aus Synodalen im unmittelbaren kirchlichen Dienst (Verwaltung, Diözesangremien, kirchliche Organisationen und Verbände) bestand, stärker ausgeprägt als das Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung. Die Bischöfe stellten sich dem Gespräch und erlaubten emotionale Entladung, blieben aber bei ihrer inhaltlichen Position. Zwar konnte zäh um jeden Textbestandteil gekämpft werden, strukturell blieben die nichtbischöflichen Synodalen aber in einer Letztohnmacht. Sie mussten sich der Erfahrung beugen, dass „die Forderungen der Bischöfe schon in den Kommissionsberatungen berücksichtigt werden mußten, sollte die Gesamtvorlage schließlich nicht an ihrem Einspruch scheitern“196.

      Die zeitgenössische Berichterstattung verzeichnete bisweilen eine gedrückte Stimmung der Synodalen, anfängliche Euphorie sei bald Ernüchterung gewichen. Um das Gesamtprojekt Synode nicht zu gefährden, begnügten sich die Synodalen mit einer Art routinierter Pragmatik.197 Entsprechend wurde bei allem in dieser Intensität erstmaligen katholischen Austausch mit kontroversen Diskussionen, ja Streit und mühsam errungenen Kompromissformeln und auch Erfahrungen von Solidarität und Wertschätzung über unterschiedliche theologische und politische Überzeugungen hinweg doch gefragt, wie viel das zählt,

      „wenn sich das alles letztlich als Scheingefecht auf einer mit teurem Aufwand bereitgestellten Spielwiese herausstellt? Im nachhinein muß festgestellt werden, daß selbst ein noch so konsequentes Auftreten der Synodalen an der selbstherrlichen kurialen und episkopalen Amtsautorität gescheitert wäre“198.

      Stabilisierung und Regenerierung

      Schon der Katholikentag 1974 in Mönchengladbach verlief wieder in ruhigen Bahnen199 und brachte – so erinnert sich jedenfalls Hans Maier – „das erste große Aufatmen, das Gefühl ‚Wir sind über den Berg‘ (so Julius Kardinal Döpfner), das vorläufige Ende der Turbulenzen der vorangegangenen Zeit“200.

      Am 23. November 1975 endete die Würzburger Synode. Ihre Wirkungsgeschichte ist noch nicht systematisch untersucht.201 Eine gewisse Skepsis und Unsicherheit, was aus ihr werden sollte, schien schon zeitgenössisch auf, wenn ein nur ein Jahr später erschienener, über 500 Seiten starker Sammelband mit dem Titel „Synode – Ende oder Anfang“ ein „weiterführender Impuls für den Prozeß der kirchlichen Reform“ insbesondere in die Gemeinden hinein sein wollte.202 Weitere Indizien weisen auf eine verstärkte Skepsis hin: Das anfängliche Interesse in der Bevölkerung an der Synodenidee flaute bald ab, ihr Ablauf wie ihre Ergebnisse fanden zumindest keine breite Resonanz mehr. Als möglicher Grund dafür wird die mangelhafte Legitimation des ZdK durch das Kirchenvolk gesehen, wodurch die Synode vielleicht doch zu sehr als institutionelle Aktion von oben empfunden wurde203, als Unternehmen einer Elite.204

      Dass das Vertrauen in die Selbstbindung der Bischöfe schon bei den Synodalen begrenzt war, zeigte sich in dem Votum an den Papst, in jedem Jahrzehnt eine Synode nach Würzburger Modell zuzulassen.205 Voraussetzung dafür war die entsprechende Initiative der Bischofskonferenz, und um deren mangelndem Elan vorzubeugen, wollte man einen Anker für die Wiederholung des Unternehmens setzen. Indem man den Papst um ein Indult, eine Erlaubnis für etwas von der Bischofskonferenz zu Initiierendes bat, sollte dieser verwehrt werden, sich hinter vorgeblichen römischen Blockaden zu verschanzen.206 Der Apostolische Stuhl kam der Bitte nicht nach. Die Bischöfe wurden auf die laufende Überarbeitung des kirchlichen Gesetzbuches verwiesen, in der eine Synode nach Würzburger Art keine Rolle spielte. Solche Experimente würden als abgeschlossen betrachtet. Zudem dürften nur die im Codex Iuris Canonici so genannten Konzilien und Synoden diese Namen tragen, aber keinerlei andere Zusammenkünfte. Die deutschen Bischöfe münzten diesen negativen Bescheid positiv um. Das Votum, in jedem Jahrzehnt eine gemeinsame Synode abhalten zu können, sei mit dem Hinweis auf das künftige allgemeine Recht positiv entschieden worden. Sie verfälschten so mit der Antwort auch das Votum, das nicht auf irgendeine Synode, sondern auf eine nach Würzburger Vorbild zielte und genau in dieser Zielsetzung abgewiesen worden war.207 Diese Art irreführender Information, um sich der Auseinandersetzung nicht stellen zu müssen, macht deutlich, was von dem angeblich „neuen Stil des Miteinander-Redens und Miteinander-Umgehens“208 zu halten war.

      Obwohl die Öffentlichkeit von einem positiven Bescheid aus Rom ausgehen konnte, kam es in der Folgezeit zu keiner breiteren Initiative für eine neue gemeinsame Synode mehr.209 Möglicherweise sah man den Zweck der Eindeutschung des Konzils als erfüllt an. Sicher war auch die nachkonziliare Aufbruchsstimmung nicht auf Dauer zu erhalten. Gaben sich die einen offenbar mit symbolischer Partizipation210 zufrieden und akzeptierten die innerkirchliche Konsensbildung durch hierarchisch gesteuerte Mehrheitsfindung als Demokratieersatz (voice fiction), waren andere frustriert oder durch Ermüdung ungefährlich gemacht.

      Schließlich gilt „Würzburg“ auch als an der „Diskontinuität der Protagonisten“ gescheitert, weil eine neue Bischofsgeneration andere Akzente setzte.211 Wieder zeigt sich, wie prekär eine Selbstbindung von Hierarchen ist: Sie bleibt personengebunden, ist nicht strukturell gesichert und endet spätestens mit ihrer Ablösung und Ersetzung durch Amtsnachfolger. Exemplarisch erwies sich dies bei dem zentralen Thema Rechtsschutz in der Kirche. Das Votum an den Papst, die von der Synode beschlossene Kirchliche Verwaltungsgerichtsordnung212 durch eine universalkirchliche Rahmenordnung zu ermöglichen, versandete. Es heißt, spätestens seitdem der Papst im CIC von 1983 auf eine Rahmenordnung gänzlich verzichtet hatte, sei das Votum beim Apostolischen Stuhl nicht mehr in Erinnerung gebracht worden, obwohl kanonistisch klargestellt wurde, dass ein Diözesanbischof ein Verwaltungsgericht auch in eigener Verantwortung hätte einrichten können.213 Der Kanonist und Bischof von Lugano, Eugenio Corecco, der zu der kleinen Beratergruppe gehörte, die mit dem Papst in Castel Gandolfo den letzten Codexentwurf von 1982, der Verwaltungsgerichte noch vorsah214, durchging, dürfte das Selbstverständnis der Bischöfe korrekt getroffen haben, wenn er warnte:

      „Ein Verwaltungsverfahren wie jenes, das im SCH[EMA] von 1982 vorgesehen war, hätte nicht nur den Bischof im Bewußtsein seiner eigenen Identität getroffen, sondern hätte auch beim Gläubigen selbst das Bild des Bischofs als Haupt der Teilkirche in Mitleidenschaft gezogen, dem auch bei einem allfälligen Irrtum Gehorsam geschuldet sein könnte“215.

      Für den Apostolischen Stuhl jedenfalls war die Würzburger Synode nur eine Episode. 2006 machte die Kongregation für den Klerus in Beantwortung eines Verwaltungsrekurses aus Regensburg ihre Sicht deutlich: „Da die Beschlüsse der Gemeinsamen Synode der Promulgation des Codex des kanonischen Rechts von 1983 zeitlich vorausgehen, sind diese aufgehoben“216.

      2011–2015