Norbert Lüdecke

Die Täuschung


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Zu diesem Zeitpunkt war der Beschlussgegenstand allerdings wesentlich reduziert. Bei der Erstellung der Vorlagen konnten die Bischöfe mit Attributen wie „unerlässlich“ einen Nachdruck signalisieren, der ihr Vetorecht fürchten ließ, ohne dass es zur Anwendung kommen musste. Es reichte, die Instrumente zu zeigen153, um die Kommission kompromissbereit bis nachgiebig zu machen.154 In diesen Schlussabstimmungen bestätigten die Bischöfe ihre Grundentscheidungen, die übrigen Synodalen traten ihnen bei oder nicht. Dass aus der Vorlage ein Gesetz werden konnte, war systemgerecht hierarchisch vorentschieden. Erreichte die Gesetzesvorlage die erforderliche gesamtsynodale Zweidrittelmehrheit nicht, war dadurch eine gleiche oder ähnliche Gesetzgebung der Bischöfe rechtlich nicht verhindert. Die unterschiedlichen Dezisionsanteile der gleichzeitig Abstimmenden, der bloße Dezisionsrest für die einfachen Synodenmitglieder wahrte vollständig das traditionelle Prinzip „nichts ohne und nichts gegen die Hierarchie“. Es ging um Mit-Verantwortung, aber das Präfix weist immer schon auf die immanenten Grenzen der Beeinflussbarkeit der katholischen Hierarchen durch Laien hin.

      Und selbst in der auf den Schlussabstimmungsaugenblick reduzierten Form bleibt die Gleichheitsaussage missverständlich. Einen zutreffenden Sinn erfährt sie erst, wenn man den katholischen Gleichheitsbegriff (LG 32) einträgt, für den unterschiedliche Berechtigungen gleichwürdig sind. Für im katholischen Glaubensdialekt Ungeübte dürfte der Passus allerdings eine Gleichberechtigung vorgetäuscht haben, die in der von Papst Paul VI. noch während des Konzils in Erinnerung gerufenen „societas inaequalis“ gar nicht gegeben sein kann.155 Der Statutensatz baute erneut eine Partizipationsattrappe zur Verschleierung der real existierenden Verhältnisse auf.

      Ein-Bindung der Hierarchen

      Eine wirkliche und ungewöhnliche Ein-Bindung der Hierarchen betraf lediglich zwei Aspekte der Kommunikationsregeln. Zum einen hatten sich – bei aller Privilegierung in der Debatte – auch die Bischöfe an das Grundreglement des synodalen Gesprächssettings zu halten. Auch an lange Reden gewöhnte Bischöfe mussten es hinnehmen, wenn ihnen der Moderator nach Überschreitung der fünf Minuten Redezeit das Wort entzog.156 Weitaus wichtiger war zum anderen, dass die Bischöfe begründungspflichtig waren. Sie hatten wie alle anderen für ihre Änderungsanträge zu argumentieren, ihre Vor- und gegebenenfalls Vetorechte innerhalb des Beratungsprozesses und als kollegiales Organ auszuüben. Dadurch ergab sich eine „doppelte Diskursivierung“157: Der synodalen Beratung hatte eine episkopale vorauszugehen. Der einzelne Bischof konnte seine Rechte nur über die Bischofskonferenz zur Geltung bringen, die zu einer gemeinsamen Position finden musste. Da der Meinungs- und Entscheidungsfindungsprozess in der Bischofskonferenz der Öffentlichkeit vorenthalten wurde158, kann nur vermutet werden, dass es dabei zu Kontroversen gekommen ist und einzelne Bischöfe zurückstecken mussten. Bedenken und Einsprüche erforderten dann einen zweiten Diskurs, da sie in Stellungnahmen und auf der Vollversammlung zu vertreten waren.159 Der Vorsprung formaler Autorität blieb erhalten, auch wenn eine inhaltlich-argumentative Grundierung gefordert war, die auf überzeugende Vermittlung und Einsicht zielte. Die formale Geltung der autoritativen Entscheidung blieb aber davon unabhängig.

      Dass jedwede Rechenschaftspflicht nach unten im katholischen hierarchischen System nicht nur als ungewöhnlich, sondern als potenziell gefährlich gilt, dafür bewies bereits der damalige Regensburger Dogmatiker Joseph Ratzinger ein sensibles Gespür. Als 1970 den Reformkatholiken in einer „Arbeitsgemeinschaft Synode“ die Synodenpläne zu basisfern und partizipationsarm erschienen und sie in einer Resolution „Zur Durchführung der Synode 72“ öffentlich eine weitergehende Demokratisierung forderten, bewertete Ratzinger dies hinter den Kulissen als außerhalb des katholischen Kirchenbegriffs stehend. Nach dem Glauben der Kirche gebe es in ihr kein Volk, von dem alle Gewalt ausgehe. „Kirche wird vielmehr allein dadurch, dass sie von oben, vom Herrn her berufen wird, und er ist es auch, der als bleibender Herr der Kirche die Aufträge der Leitung zuteilt, die nicht auf Delegation von unten, sondern auf der sakramentalen Zuweisung von ihm her beruhen“160. Müssten Bischöfe ihre Entscheidungen begründen und zur Diskussion stellen, seien sie der Synode untergeordnet.161 Dafür, dass aus der ungewöhnlichen Integration der Bischöfe nicht tatsächlich der ungebührliche Eindruck einer Egalisierung entstand, sondern die hierarchischen Verhältnisse durchgehend erlebbar und sichtbar blieben, war zudem durch zwei flankierende Arrangements im Synodensetting Vorsorge getroffen worden.

      „Im letzten wird die Synode ihre Fruchtbarkeit darin erweisen, ob sie ein geistliches Ereignis wird.“162

      Bei der Überlegung, ob die ständeübergreifende Synodenversammlung an einem profanen Ort oder in einem Sakralraum stattfinden sollte, setzte sich mit großer Zustimmung der Bischöfe der Würzburger Dom durch. Bedenken, ein Kirchenraum könne die Synodalen psychologisch hemmen und eine freimütige Aussprache zu pastoralen Themen eher hindern, wurden zurückgestellt. Kardinal Döpfner erinnerte in seinem Schlussbericht am Ende der Synode daran:

      „Als zum ersten Mal vorgeschlagen wurde, mit der Synode in einen Dom zu gehen, da gab es mehr Widerspruch als Zustimmung. Es meldete sich der Verdacht, es stecke eine bestimmte Absicht dahinter. Durch das sakrale Milieu sollte von vornherein den Sprechern die Forschheit gedämpft und zum Grundtenor der Debatten der ‚tonus rectus‘ anempfohlen werden. Andere befürchteten, unsere Beratungen könnten angesichts zu erwartender Konfrontationen so entgleisen, daß dabei die Würde einer geweihten Kirche Schaden leiden könnte. … Es hat sich erwiesen, daß beide Befürchtungen grundlos waren. … Vor allem … haben seine [des Domes; N. L.] Pfeiler und Denkmäler uns stumm, aber nicht ohne Wirkung daran erinnert, daß mit uns die Geschichte der Kirche weder begonnen hat, noch enden wird“163.

      Tatsächlich markierte jedenfalls nichts augenfälliger den Unterschied zwischen einer Synode und einem Parlament als ein sakraler Versammlungsort.164 Am geistlichen Ort sollte die Synode ein geistliches Ereignis sein, gerahmt und begleitet von „den großen, feierlichen und … den werktäglichen Eucharistiefeiern, ihren Predigten und Meditationen, in Bußgottesdienst und Marienfeier, in Bildbetrachtungen und Orgelspiel“165.

      Die Liturgie eignet sich wesentlich zur Bewusstmachung der kircheneigenen Spielräume.

      „Hier war der Ort, wo sichtbar wurde, daß die Grundgesetze einer Synode bei aller Anleihe demokratischer Verfahrensweisen ihren Ursprung nicht zuerst dem Parlamentarismus und einem allgemeinen Demokratisierungspostulat, sondern ungeachtet sonstiger Differenzen dem gemeinsamen Auftrag zum Dienst am Glauben verdanken“166.

      Denn wie jede Liturgie ist insbesondere die Eucharistiefeier sorgfältige kultische Inszenierung der Kirche in ihrer sakrosankten Hierarchiegestalt. Nirgends anders als in der hierarchischen Aufstellung nach hierarchischer Regie kann der Katholik dichter erfahren, wie sich die aktive Partizipation aller Gläubigen kirchenspezifisch ausdifferenziert in die allein initiierende und Christus repräsentierende participatio clericalis und in die nur reaktive participatio laicalis der Laienmänner und die beschränkte, aber gleichwertige der Laienfrauen.167 Mochten die Debatten noch so scharf, die Reformforderungen noch so hehr und brisant sein, spätestens in der gemeinsamen Abendmesse konnte jeder Synodale wieder wissen und erleben, wo sein Platz war, und diesen bereitwillig einnehmen. Die regelmäßige und bewusste Mit-Feier der Eucharistie kann Gläubigen bis heute immer wieder helfen, den weltlichen Demokraten in sich gutkatholisch durch den kirchlichen Monarchisten existenziell zu überformen. Tagungsort und Synodenbeginn symbolisierten mit der geistlichen Dimension zugleich ekklesiologisch die göttliche Stiftung der Kirchengestalt.168 Von der Eröffnungsansprache Kardinal Döpfners an und immer, wenn die Versammlung drohte, zu einem Parlament zu werden, wurde die Synode als geistliches Geschehen markiert.169 Damit wurde nicht nur ein unbestimmter Transzendenzbezug insinuiert, das Etikett „geistlich“ ist vielmehr Chiffre für die hierarchische Durchprägung aller katholischen Gemeinsamkeit. Wo sie zudem anzeigen soll, die Synode sei nur aus dem Glauben zu verstehen170, fungiert sie zugleich als Immunisierung gegen (ungläubige) Kritik von außen.

      Der schwarze Block

      Aber auch außerhalb der Liturgie achteten die Bischöfe darauf, dass ihre Einordnung in die Synode nicht zur Einebnung führte, sondern sie in ihrer Stellung kenntlich blieben. Die Synodentopografie sah vor, dass die Synodalen