Brita Rose-Billert

Die Farben der Sonne


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auf. Dank der Klimaanlage des Bürogebäudes war die Luft hier drin erträglich und duftete dezent nach „Meeresbrise”.

      Mrs Hanson schloss die Tür hinter sich und trat näher.

      „Das Schreiben an Ihre Versicherung ist fertig, Sie müssen es nur noch unterschreiben. Und hier ist ein Schreiben vom Gericht angekommen, Mr McKanzie. Ich denke, es ist sehr wichtig.”

      Sie legte beides auf seinem Schreibtisch ab. Ohne es zu lesen unterschrieb er das Versicherungsschreiben.

      „Das Jugendamt hat seit gestern mehrmals versucht, Sie zu erreichen. Was soll ich der Dame ausrichten? Sie möchte mit Ihnen persönlich sprechen.”

      McKanzie schielte über den Brillenrand, mit einem bittenden Blick, den Mrs Hanson schon zur Genüge kannte.

      „Das kann ich Ihnen leider nicht abnehmen und sie lässt sich nicht mehr vertrösten.”

      „Gut. Dann geben Sie ihr einen Termin – in sechs Monaten.” McKanzie grinste seine Sekretärin spitzbübisch an.

      Mrs Hanson lächelte, als sie mitfühlend antwortete: „Sie sollten sich umgehend darum kümmern und die Sache schleunigst erledigen. Es ist besser so.”

      „Sie hören sich schon an wie meine Mutter. Ich bin Anwalt für Verkehrs- und Arbeitsrecht, nicht für Familienrecht. Was wollen die eigentlich von mir?”

      „Tja ich denke es gibt, … also es hat sich so angehört, als ob man Sie dringend sucht. Sie möchten sich bitte umgehend Ihres Kindes annehmen.”

      McKanzie ließ den Kugelschreiber auf die Schreibtischplatte fallen und nahm seine Brille mit einer Hand ab.

      „Ich soll was?” Er fuhr von dem Stuhl auf.

      Mrs Hanson wäre lieber schnell aus der Schusslinie verschwunden, aber er gab ihr keine Chance.

      „Es gibt da einen Sohn und Sie sind wohl der einzige Vater … ehm … Verwandte … oder so.” Sie verdrehte hilfesuchend die Augen.

      „Alimente”, schnaufte McKanzie, während er die Brille mit Schwung wieder auf den Nasenrücken setzte und zum Telefon griff. „Das ist doch bloß ein Trick!“ Er hielt inne und starrte seine Sekretärin an.

      „Gibt es Beweise, dass ich wirklich der Vater bin?”

      „Keine Ahnung. Sie sollten sich erst einmal mit der Dame vom Jugendamt in Verbindung setzen. Mrs Cooper wird Ihnen alles erklären können.”

      McKanzie nahm den Hörer an sein Ohr. „Verflixt! Die Nummer?”

      „Moment. Ich kann Sie verbinden.”

      „Dann tun Sie das, bevor ich es mir anders überlege!”

      „Ja, Sir.”

      Mrs Hanson verschwand fluchtartig im Vorzimmer. Hier glaubte sie sich im Moment besser aufgehoben.

      Kaum fünf Minuten später kam Frank McKanzie aus seinem Büro. Er redete fortwährend mit sich selbst, während die Tür hinter ihm ins Schloss knallte. Mehrmals zählte er die Finger an seinen Händen ab.

      „Ich fahre dorthin. Bin in den nächsten zwölf Stunden nicht erreichbar. Quatsch! Zwei. Also: zwölf… vierunddreißig, vierundzwanzig, zweiundzwanzig. Oh, verflucht nochmal”, murmelte er weiter.

      Die Sekretärin schüttelte den Kopf und grinste. „So schlimm?”

      „Schlimmer. Viel schlimmer!”

      „Na, dann viel Glück, Mr McKanzie.”

      „Danke”, antwortete er abwesend.

      Er schoss zur Tür hinaus, ging mit ausgreifenden Schritten zu einem der Aufzüge und verschwand wenig später in einem der Hochgeschwindigkeitsaufzüge, Speeds genannt. Wie ferngesteuert stieg er schließlich in sein Sportcabriolet. Im rasanten Tempo stürzte er sich in den Großstadtverkehr Chicagos. Der Loop selbst war eine lärmende Geduldsprüfung. Die Michigan Ave, obwohl sechsspurig, wie immer verstopft. Ungeduldig hupte Frank ein paarmal. Doch es nutzte, wie immer, nichts. „Ich liebe Chicago”, murmelte er zu sich selbst und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Als er endlich den Chicago River in Richtung Norden überquert hatte, kam er mit seinem Cabriolet annähernd auf zulässige Stadtgeschwindigkeit. Am Old Water Tower bog er links in die Chicago Avenue. Zwei Querstraßen weiter in die La Salle Street, immer in nördlicher Richtung. Eine geschlagene Stunde brauchte er dennoch bis zum Ziel, was in ihm wieder einmal die Frage aufkommen ließ, weshalb man ein schnelles Auto besaß, um dann im Schneckentempo durch die Straßen von Ampel zu Ampel zu kriechen. Er grinste, denn er wusste, weshalb er sich ein solches Auto gekauft hatte, obwohl es nicht zwingend notwendig gewesen wäre, denn die halbe Damenwelt Chicagos konnte ihm auch so nicht widerstehen.

      Eine Stunde und dreizehn Minuten später rückte Frank McKanzie seine Krawatte zurecht, fuhr mit der Hand über seine kurzen Haarstoppeln und schob die Brille mit dem Zeigefinger den Nasenrücken hinauf. Er schwitzte nicht der Temperaturen wegen. Dann klopfte er an die Zimmertür, neben der ein Schild mit der Aufschrift Sorgerechtswesen - Margret Cooper - hing. Frank wurde bereits erwartet.

      „Guten Tag, Mr McKanzie”, grüßte eine ältere Dame mit auffällig gefärbtem Haar und mühte sich, über den Brillenrand zu ihm aufzusehen. „Setzen Sie sich doch.”

      „Guten Tag”, erwiderte Frank McKanzie einsilbig und ließ sich auf den Stuhl, jenseits ihres Schreibtisches, gleiten. Er glaubte die Luft um ihn herum knistern zu hören, in Anbetracht der angespannten Situation, der er sich nun ausgeliefert fühlte.

      „Also es handelt sich um Ihren zwölfjährigen Sohn, Walter McKanzie. Seine Mutter ist verstorben. Seitdem streift er allein durch die Stadt. Er besucht keine Schule und ist schon mehrmals wegen Diebstahls geschnappt worden.”

      „Diebstahl?”

      Die Frau auf der Seite ihm gegenüber holte tief Luft. „Leider. Er ist einfach nicht in den Griff zu kriegen. Aber hier handelt es sich um Ihren Sohn!”

      „Und deshalb kommen Sie ausgerechnet jetzt auf mich zu? Ist seine Mutter gestern erst gestorben?”

      „Nein. Letztes Jahr. Sein Großvater hat sich an uns gewandt. Aber er hat kein Sorgerecht.”

      „Wo liegt das Problem?”

      „Das Sorgerecht haben Sie. Sie sind der Vater.”

      Sie nickte bedächtig und schüttete ein paar Papiere aus einem großen Briefumschlag auf ihren Schreibtisch.

      Langsam griff McKanzie nach ihnen und las. Geburtsurkunde, Heiratsurkunde, Sterbeurkunde und ein paar Fotos.

      „Er war fast noch ein Baby. Er kennt mich überhaupt nicht.”

      „Walter war fünf als Sie gingen und ihn, samt seiner Mutter Winona McKanzie, allein ließen. Sie haben weder Unterhalt für sie, noch für Ihr Kind bezahlt. Finden Sie das nicht ein wenig verantwortungslos?”

      „Was wissen Sie schon”, murmelte Frank.

      Mrs Cooper ging auf diese Äußerung nicht ein. „Vielleicht können Sie ihm helfen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.”

      Frank legte die Fotos und die Papiere zurück, atmete hörbar tief durch und sagte schließlich: „Okay! Wo muss ich unterschreiben?”

      „Was unterschreiben?”

      „Die Abtretung des Sorgerechts an seinen Großvater. Wenn er ihn haben will, dann soll er sich um ihn kümmern.”

      „Gut”, sagte Mrs Cooper ein wenig fassungslos und bereitete das Schreiben vor.

      „Hören Sie! Ich kann in meiner Position kein Kind gebrauchen. Ich habe gar keine Zeit für so was”, versuchte er halbherzig zu erklären.

      „Sie brauchen sich vor mir nicht zu rechtfertigen. Vielleicht sollten Sie das eines Tages vor ihrem Sohn tun.”

      „Falls wir uns jemals begegnen”, fügte Frank zynisch hinzu.

      Mrs