noch wütender, als der Officer am anderen Ende schallend in den Hörer lachte.
„Sie hätten ihn an sich ketten sollen, McKanzie. Ich hatte schon öfter das Vergnügen mit ihm, glauben Sie mir. Ich kenne den Burschen. Hat mich gewundert, dass er überhaupt mit zu Ihnen in die Wohnung gegangen ist. Wie haben Sie das fertiggebracht?”
Wieder lachte er amüsiert durch den Hörer, während Frank schnaufte.
„Das wird teuer. Falls wir ihn nochmal erwischen sollten, legen Sie sich am besten gleich ein paar Handschellen zu. Anders ist der nicht zu bändigen. Liegt wohl an seinem indianischen Blut.” Frank McKanzie drohte seine Selbstbeherrschung zu verlieren. Der Polizist hatte es hier nicht mit einem minderjährigen Ausreißer zu tun, sondern mit einem renommierten Anwalt! „Überlegen Sie sich genau, was sie sagen! Finden Sie ihn! Sonst wird es für Sie verdammt teuer!”, drohte er unmissverständlich. Er hätte den Hörer aufknallen können, so wütend wie er war.
„Ja, Sir!“, kam es um einige Tonarten freundlicher zurück.
„Verfluchte Scheiße nochmal! Ich habe nicht viel Zeit”, zischte Frank zu sich selbst, steckte das Handy ein, stieg in seinen Wagen und startete. Wohin er wollte, wusste er selbst nicht genau. Er fuhr einfach ziellos durch die Straßen, in der Hoffnung den Jungen irgendwo zu sehen. Er wusste, wo Walter aufgewachsen war und kurvte gezielt durch die engen Straßen. Hier und da glaubte er Walter am Straßenrand gesehen zu haben. Die wenigen Jungen, die, warum auch immer, gerade nicht in der Schule waren, trugen alle die gleichen Jeans, Shirts und Turnschuhe. Als hätten sie alle den gleichen Modedesigner, sinnierte Frank. Aber Walter blieb verschwunden und die Polizei meldetet sich ebenfalls nicht. Am Abend verwandelte sich Franks anfängliche Wut in Sorge. Wo steckte der Junge? Frank McKanzie ärgerte sich über diese Gefühlsregung. Er suchte nach seinem Sohn, den er bis gestern gar nicht haben wollte und begann sich am Abend mehr und mehr zu sorgen. Obwohl er versuchte sich einzureden, dass es vielleicht besser so sei und er ein Problem weniger hatte, wenn der Junge nicht wieder auftauchen sollte, gelang es ihm nicht, auch so zu fühlen. Er kam sich so hilflos vor und er hasste das. Diese Gegend, diese schmalen Gassen von Chicago, waren ihm unheimlich und er verglich sie mit einem Labyrinth. Man musste schon lebensmüde sein, sich abends dort herumzutreiben. Frank hatte Angst. Die Jugendlichen, die er gewagt hatte zu fragen, konnten ihm entweder nicht mehr antworten oder sie beschimpften ihn.
Hier war das Getto. Hier traute man sich als reicher Amerikaner besser nicht her. Der Sirenenklang in der Ferne gehörte hierher. Ein vertrautes Großstadtgeräusch. Der Sound der City. Die heulenden Wölfe. Das hier war Walters Heimat. Frank gehörte hier nicht hin. Plötzlich schienen sie Welten voneinander entfernt zu sein. Frank gehörte in das saubere Chicago, mit den Glasfensterfronten und breiten Straßen. Walter war hier aufgewachsen: in der Gosse, zwischen Säufern und Herumtreibern. Jemand bettelte Frank um ein paar Dollar an. Dem abgemagerten Kerl, mit den Bürstenstoppeln auf dem Kopf und im Gesicht, fehlten einige Zähne. Frank rümpfte die Nase. Der Kerl stank nicht nur nach Bier. Als er ihm eine Fünfdollarnote hinhielt, sagte er: „Hier. Und nun verschwinde.”
„Danke. Vielen Dank,” kam es unerwartet freundlich zurück.
„Hey!”, rief Frank ihn an, als der Kerl im Begriff war weiterzugehen.
„Kennst du Blue Light Shadow?”
„Blue? … Ja.” Der Kerl grinste.
„Weißt du, wo er gerade steckt?”
Der Kerl lachte auf. „Wer will das wissen, he?”
„Ich bin sein Vater!”, antwortete Frank entschlossen.
Sein Gegenüber legte den Kopf schräg und musterte ihn kopfschüttelnd. Er wandte sich erneut zum Gehen, ohne die Frage beantworten zu wollen.
„Hey du! Ich gebe dir nochmal fünf Dollar, wenn du mir sagst, wo ich ihn finde.”
„Er ist wie ein Schatten.”
„Zehn Dollar.”
„Mann! Für zehn Dollar lässt man hier ‘ne Leiche verschwinden.”
„Okay. Was willst du?”
Der borstige Kerl schien sich köstlich zu amüsieren.
„Sie kapieren‘s nicht, was? Er hat seinen Namen zu Recht. Eben war er noch hier und schon ist er wieder ganz woanders. Chicago gehört ihm.” Der Kerl sprach geheimnisvoll und begleitete seine Worte mit ausführlichen Gesten.
Nun war Frank es, der sich mit den Worten „Alter Spinner”, von ihm abwandte und mit eiligen Schritten weiterhastete. Er hörte das Lachen hinter sich und sah auf die Uhr. Neun Uhr abends. Es war noch taghell, doch in die Straßenschluchten der engen Gasse kam schon seit Stunden kein Sonnenstrahl mehr durch.
„Was zum Teufel mache ich hier eigentlich?” Das hatte Frank sich heute schon mehrmals gefragt. Er überlegte, wo er sein Auto geparkt hatte und dass es besser wäre, die Gegend schnellstens zu verlassen. Gedankenversunken bog er um die nächste Hausecke und prallte mit einem Hünen zusammen, der offensichtlich zu einer Gang gehörte. Unwillkürlich zuckte Frank zusammen. Mehrere Jugendliche kamen näher und musterten ihn herausfordernd.
„Sorry”, brachte er heiser heraus, dann versuchte er stehenden Fußes zu verschwinden.
„Nicht so schnell, Mann. Hast du ‘n bisschen Lösegeld bei dir?”
„Okay! Ganz langsam.” Frank griff in die Hosentasche und zog zehn Dollar heraus.
Die Jugendlichen lachten ehrlich amüsiert. Der Hüne packte Frank McKanzie am Hemdkragen und drückte ihn fest gegen die Hauswand, sodass er kaum noch Luft bekam.
„Willst du uns verarschen. So einer wie du läuft nicht mit lumpigen zehn Dollars herum. Hast dich wohl verlaufen, wie?”
„Ich suche Blue …”, presste Frank mühsam heraus.
„Ich verstehe dich so schlecht, Mann. Rück deine Brieftasche raus und diskutier nicht!”
Frank war weder fähig, sich zu bewegen, noch nach Luft zu schnappen. Das war kein Spaß, sondern bitterer Ernst. Er war das Opfer eines Raubüberfalls! Der Druck auf seine Kehle nahm zu und er schwitzte plötzlich. Seine Brille war so beschlagen, dass er nichts mehr erkennen konnte. Er fühlte nur noch, wie seine Knie nachgaben, dann rutschte er zu Boden. Jemand zog ihm den Geldbeutel aus der Tasche und wie in Trance hörte er Stimmen, die sich schnell entfernten.
Oh Gott, ich wurde ausgeraubt, schoss es ihm durch den Kopf. Alles um ihn herum schien sich zu drehen und er sah nichts als unendliche Spiralen vor seinen Augen flimmern. Ein unnachgiebiges Rütteln holte ihn schließlich zurück. Er stöhnte laut. Der Schädel brummte und er verspürte eine quälende Übelkeit. Langsam, ganz langsam, sah er die schemenhafte Gestalt vor sich, die ihn noch immer rüttelte.
„Frank!”, rief ihn eine Stimme an. „Wach schon auf!”
Er kannte die Stimme. „Bist du es, Blue?”
„Was hast du hier zu suchen, Frank?”
Frank griff nach seinem Kopf und stöhnte wieder.
Die Stimme, die zu Blue gehörte, lachte wenig freundlich. „Steh schon auf und jammere nicht!”
Frank versuchte es. Zwei starke Hände packten ihn und lehnten ihn gegen die Hauswand.
„Nicht schon wieder. Ich habe nichts mehr,“ flehte er.
Blue schien das amüsant zu finden und kicherte. „Hey! Komm zu dir.”
Frank riss sich zusammen und wischte seine Brille ab. Aus der schemenhaften Gestalt wurden klare Bilder. Sein Sohn stand direkt vor ihm. Seine Haare standen widerborstig in alle Richtungen ab. „Hast du keinen Kamm?”, schimpfte er.
„Hast du keine anderen Sorgen?”
Frank holte tief Luft und versuchte sich zu beruhigen. Sein Herz klopfte unregelmäßig und er konzentrierte sich auf das Atmen. Geduldig hockte Blue vor ihm und wartete.
Dann bequemte sich Frank