Brita Rose-Billert

Die Farben der Sonne


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ja am Arsch der Welt.”

      Bonnie grinste.

      „Steigen wir aus?”, fragte Blue.

      Bonnie nickte und öffnete die Tür. Vor dem Wagen blieb Blue stehen. Frank war spurlos verschwunden. Bonnie hatte ihre Schultasche über der Schulter und griff mit ihrer Hand nach Blues.

      „Komm, Walter.”

      Der hielt seine Schwester zurück.

      „Warte, Bonnie. Vergiss diesen Namen, hörst du. Walter gibt es nicht mehr!”

      Bonnie sah ihren Bruder fragend an.

      „Ich heiße jetzt Blue”, erklärte er freundlich.

      „Blue?”, fragte sie verunsichert.

      „Blue Light Shadow nannten sie mich in Chicago. Der bin ich.”

      Bonnie kicherte. „Das klingt wie bei den anderen Kindern hier. Wie ein Indianername!”

      Blue schüttelte den Kopf. Gerade das wollte er nicht.

      „Ich werde nie ein Indianer sein, Bonnie. Hast du ihre Blicke gesehen, vorhin auf dem Schulhof?”

      Das Mädchen nickte. „Ja. Aber ich habe auch deinen Blick gesehen. Ich fand keinen Unterschied.”

      Sie lächelte und zog ihn mit sich. Noch einmal forderte sie ihn auf: „Komm schon, Blue Light Shadow. Bei Grandma Carol gibt es den zweitbesten Kakao auf der ganzen Welt.”

      „Du bist schon ganz zu Hause hier”, stellte Blue fest.

      „Ja. Sie ist wie Mom. Ich will nie wieder nach Chicago in dieses Heim.”

      Blue folgte ihr. Es hatte sowieso keinen Sinn, neben dem Mietwagen Wurzeln zu schlagen und Frank war noch immer nicht wieder aufgetaucht. Bonnie hielt Blue fest an der Hand und zog ihn mit sich zur Tür, als befürchte sie, er könnte ihr davonlaufen. Sie klopfte, auch wenn sie hier zu Hause war. Man hatte es ihr so beigebracht, da wo sie herkam und es hatte sich eingeprägt.

      „Kommt rein! Die Tür ist offen”, rief eine freundliche, gedämpfte Stimme.

      Sie gingen hinein. Der Duft von Kaffee und frischen Pfannkuchen stieg ihnen in die Nasen. Am Herd stand eine rundliche Frau, die den Kindern entgegenlächelte.

      „Hallo Grandma. Er ist zu mir gekommen. Das ist er. Mein großer Bruder!”

      „Hallo, Bonnie. Willkommen zu Hause, Blue”, antwortete die Frau mit einer Stimme, die ihn innerlich zusammenfahren ließ. Die Stimme seiner Mutter! Und woher wusste sie seinen anderen Namen?

      „Setzt euch. Ihr seid bestimmt hungrig.”

      Blue suchte vergebens nach seinem Misstrauen und seiner Wut. Nichts mahnte ihn zur Vorsicht. Er hätte alles und jedem seine Gedanken entgegenschleudern können, aber nicht dieser Frau. Schweigend stand er noch immer an der Tür und starrte sie an, während Bonnie ihre Schultasche abgestellt hatte und bereits am Tisch saß.

      Grandma goss ihr kalten Kakao in die Tasse und strich ihr sanft über das Haar.

      „Hallo”, sprach Blue schließlich. Er wusste nicht einmal, wie er sie ansprechen sollte. Das Wort Grandma wollte einfach nicht über seine Lippen. Noch nicht. Wieder lächelte sie ihn freundlich, aus ihrem runden Gesicht, an. Sie trug eine bunte Schürze über ihrer Bluse und eine Jeans. Das eher dünne, lange Haar hatte sie im Nacken geflochten und mit einem Haargummi befestigt.

      „Die Männer sind draußen, auf der Baustelle. Du kannst ihnen sagen, dass der Kaffee fertig ist. Sie sind auch hungrig. Aber wir wollten auf euch warten.”

      Blue verbarg seine Gedanken und fragte nichts. Er nickte nur und ging wieder hinaus. Obwohl er nicht wusste, was sie mit Baustelle gemeint hatte, führten ihn dr Weg direkt dorthin.

      Hinter dem Erdhügel war ein großes, rundes Loch ausgehoben, nur etwa drei Fuß tief. Drei Männer saßen beieinander und redeten. Einer von ihnen war Frank McKanzie. Der drehte den Kopf zu Blue.

      „Na, hast du uns gefunden?”

      Blue antwortete nicht.

      Nun wandte sich auch der Mann, der neben Frank saß, zu ihm. Es war der Alte mit den grauweißen Zöpfen! Sein Großvater! Der schenkte ihm ein breites Lächeln und scherzte: „Hallo Blue George Washington. Wie geht‘s?”

      Blue starrte den Alten an, als säße ein Geist vor ihm. War das alles ein abgekartetes Spiel? Und wer war der dritte Mann? Hatte der auch etwas mit diesem Komplott zu tun? Der Alte hatte seinen Blick gesehen und lachte leise. „Das ist Joe Stone Horse, mein Sohn. Also dein Onkel!” Der Onkel schien schätzungsweise in Franks Alter zu sein und musterte Blue aufmerksam, ohne Regung in seinen Gesichtszügen. Er trug eine staubige, zerschlissene Jeans und ein knallrotes Shirt ohne Ärmel. Sein Haar war so lang wie Großvaters Zöpfe. Nur hatte Joe es zu einem Pferdeschwanz gebunden. Blue spürte, dass es an ihm war etwas zu sagen.

      „Hi.”

      Mehr kam nicht über seine Lippen. Er stand aufrecht mit gespreizten Beinen, schob die Daumen in die Gesäßtaschen seiner Jeans und wich dem Blick seines Onkels aus.

      „Es gibt Kaffee und Pancakes”, sprach er mit fester Stimme.

      Die drei Männer erhoben sich. Joe ging mit dem Alten zum Trailer. Frank blieb neben Blue stehen.

      „Was soll das denn werden, wenn‘s fertig ist?” Blue deutete skeptisch auf die Baugrube, deutlich war der Spott in seiner Frage zu hören.

      Frank grinste. „Ein Parkhaus für Indianerautos.”

      Blue wandte ihm mit grimmigen Gesichtszügen den Rücken zu.

      „He! Verstehst du denn überhaupt keinen Spaß?”, fragte Frank. „Du hast gut reden, Mann.”

      Frank bemerkte, wie wütend Blue war. Er holte tief Luft.

      „Joe und Wayton bauen ein Haus. Es wird ungefähr so aussehen, wie ein Erdhaus der Mandan oder ein Hogan der Navajo. Es ist im eisigen Winter wesentlich wärmer und im Sommer angenehm kühler als der alte Trailer. Bei einem Sturm im Frühjahr ist er umgefallen und das Dach war aufgerissen. Seitdem regnet es rein.”

      „Wann fliegst du zurück?”, wechselte Blue das Thema.

      „Morgen früh.”

      „Okay. Der Kaffee wird kalt.”

      Mit diesen Worten ging Blue voran. Frank folgte ihm.

      Abends wälzte sich Blue McKanzie im frisch bezogenen Bett hin und her. Der Geruch des Waschmittels stieg in seine Nase. Joe Stone Horse war gegangen. Sie hatten kein Wort miteinander gesprochen. Grandma und Bonnie schienen fest zu schlafen. Er lauschte auf ihren gleichmäßigen Atem. Frank war nicht hier. Und Großvater? Wer weiß? Leise und vorsichtig schob Blue die Decke zur Seite. Barfuß schlich er zur Tür. Sie war nicht verschlossen. Er schlüpfte wie ein Schatten durch den Spalt nach draußen auf die kleine Veranda aus alten Holzkisten. Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen durch die Dämmerung. Blue lief ihr entgegen.

      Barfuß, über den Staub und die Steine der Erde trugen ihn seine Füße, immer schneller. Er spürte die Schmerzen nicht. Die Schmerzen in seinem Herzen waren stärker, viel stärker. Es trommelte gegen seine Brust, als wollte es herausspringen. Blue rannte keuchend einen Hügel hinauf und blieb schließlich wie angewurzelt stehen. Der Horizont schien zu brennen. Die Wolken standen in orangeroten Flammen. Der glühende Feuerball berührte schon die Erde. Blue stand schweigend und reglos. Sein schneller Atem beruhigte sich.

      Er wusste nicht, wie lange er da gestanden hatte, als ihn eine Hand fest an der Schulter berührte und eine Stimme leise zu ihm sagte: „Willkommen zu Hause, Blue. Schön, dass du gekommen bist.”

      Blue wandte langsam den Kopf zu dem Alten. Er war nicht einmal erschrocken über sein plötzliches Auftauchen.

      „Wer bist du?”

      Der alte Mann lächelte nachsichtig.

      „Nitunkashila,