A. F. Morland

Die besten 12 Strand Krimis Juni 2021


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dass er ihn einfach nicht unterdrücken konnte. Mit schussbereiter Maschinenpistole nahm er die Verfolgung des Truck-Drivers auf.

      „So ein Idiot!“, knurrte Victor Tiggers. „Wenn er rabiat wird, kann man nicht mehr mit ihm reden.“ Banninger hustete immer noch. Er hatte sich die Greisenmaske vom Gesicht gerissen und die MPi fallengelassen. Tiggers ging zu ihm.

      „Scheußlich, so eine Ladung mitten in die Visage zu kriegen, was?“ „Kann ... man ... wohl ... sagen

      „In ein paar Minuten geht es dir wieder besser“, meinte Tiggers. Er hob die MPi des Freundes auf, nahm ihm die Maske aus der Hand und führte den Komplizen zum Truck. „Steig ein. Soll der Blödmann machen, was er will. Wir halten uns an unsere Weisungen.“

      Hustend kletterte Banninger in das Fahrerhaus.

      „Auf jeden Fall werde ich dem Boss von Charles’ Extratour berichten. Der wird ihn ganz schön zusammenstauchen, darauf kannst du dich verlassen“, sagte Tiggers. „So etwas dürfen wir nicht einreißen lassen. Wenn Charles solche Anfälle öfter kriegt, geraten wir noch mal in Teufels Küche. Man muss ihn zurückpfeifen. Künftighin wird mehr auf das gehört werden müssen, was ich sage. Das stelle ich zur Bedingung. Wenn der Boss damit nicht einverstanden ist, steige ich aus. Ich bin schließlich nicht mein eigener Feind und lasse mich wegen Charles’ Verrücktheiten einlochen.“

      Tiggers setzte sich hinter das Steuer des Lastwagens von CONTINENTAL TRUCK. Er startete den kräftigen Motor und fuhr mit dem kaputten Vorderrad weiter. Sie brauchten nur etwa eine halbe Meile zurückzulegen.

      Dort wartete dann abseits von der Straße ein anderer Truck auf sie. Der Boss persönlich hatte ihn hingebracht. Nach dem Umladen würden sie mit dem anderen Fahrzeug nach New York zurückkehren und die Beute dorthin schaffen, wo man sie bereits erwartete.

      16

      Jozef Kalescu war im Zweifel. Hatte er richtig gehandelt? Wäre es besser gewesen, sich einfach zu ergeben, sich zusammenschlagen zu lassen? Wie gesagt, Kalescu war kein Held. Er hatte selbst vor einem Schlag auf den Kopf Angst. Niemand konnte ihm garantieren, dass er aus seiner Ohnmacht wieder erwacht wäre. Und dann die Schmerzen. Nein, es war richtig gewesen, die Flucht zu ergreifen. In der Flucht lag die Rettung.

      Atemlos erreichte Kalescu das obere Ende des Hügels. Er blickte sich gehetzt um. Dort befand sich die Straße. Er sah die beiden Gangster im Licht der Scheinwerfer. Er sah aber auch einen Verbrecher, der hinter ihm herrannte. Sofort übersprang sein Herz einen Schlag.

      „Oh Gott!“, entfuhr es ihm. Diesem Truck-Räuber genügte die Beute nicht. Damit allein gab er sich nicht zufrieden. Er wollte auch noch ihn, Jozef Kalescu. Der Gangster wollte sein Leben.

      Der Truck-Driver hastete den Hügel auf der anderen Seite hinunter. Er stolperte und fiel. Mehrere Yards kugelte er über den unebenen Boden. Dabei verlor er die Gaspistole.

      Es war keine Zeit, sie sich wiederzuholen. Ängstlich sprang Kalescu auf und rannte weiter, auf drei Landhäuser zu, in denen nirgendwo Licht brannte. Ihre Besitzer wohnten hier vermutlich nur am Wochenende. Wochentags waren die Häuser verwaist.

      Hilfe war da nicht zu erwarten. Dennoch lief Kalescu den Häusern entgegen, denn sie boten ihm die Möglichkeit, sich zu verstecken. Sein Vorsprung hatte sich durch den Sturz verringert.

      Charles Marcuse tauchte oben auf dem Hügel auf. Er jagte hinter dem Fliehenden eine Garbe her. Kalescu zuckte zusammen, als die Waffe des Gangsters loshämmerte. Instinktiv nahm er den Kopf nach unten und rannte mit gekrümmtem Rücken weiter, immer wieder blitzschnell einen Haken schlagend.

      Die Geschosse des Gangsters hieben neben seinen Beinen in die Erde und rissen Löcher, aber mehr Schaden richteten sie nicht an. Kalescu erreichte das erste Haus. Ein Bungalow mit flachem Dach und schiefergrauer Dachblende. Mannshohe Koniferen bildeten einen lebenden Zaun, durch den sich der Truck-Driver warf.

      Er musste irgendwie in das Haus gelangen. Bestimmt gab es darin Telefon. Ein Anruf bei der Polizei, und Hilfe würde kommen. Kalescu eilte über eine breite Terrasse aus Waschbeton.

      Die Kellerfenster waren vergittert. Vor den Terrassentüren waren die hölzernen Fensterläden geschlossen. Aber bei einem Fenster war der Fensterladen nicht ganz herabgelassen. Sofort machte sich Kalescu an die Arbeit. Er brauchte nur wenige Minuten, dann hatte er den Rollladen hochgedrückt. Anschließend schlug er die Scheibe ein. Klirrend fielen die Scherben nach innen. Durch die entstandene Öffnung kroch der Truck-Driver ins Haus. Er versuchte, sich schnellstens zu orientieren. Sein Herz hämmerte aufgeregt gegen die Rippen. Fingerdick glänzte der Schweiß auf seiner Stirn.

      Er brauchte Hilfe.

      Aber würde diese Hilfe nicht zu spät kommen?

      War der Killer nicht bereits zu nahe?

      Kalescu eilte durch den Flur. Rechts ging es zur Eingangstür. Er vernahm draußen Schritte, und das Herz blieb ihm vor Schreck beinahe stehen. So nahe war der Gangster ihm schon!

      Die Schritte näherten sich der Tür. Jozef Kalescu presste sich an die Wand. Er wagte nicht zu atmen. Der Killer erreichte die Tür. Gleich darauf bewegte sich die Klinke.

      Kalescu schluckte schwer. Was würde der Gangster nun tun? Würde er das Schloss einfach aufschießen? Die Schritte entfernten sich.

      Der Killer lief vorne um das Haus herum. Kalescu riss eine Tür auf. Automatisch flammte Licht auf. Vor dem Truck-Driver lag ein begehbarer Schrank. Kalescu machte kehrt.

      Er öffnete eine andere Tür und gelangte in ein großes Arbeitszimmer. An den Wänden standen Bücherregale. Es gab ein chintzbezogenes Sofa, eine Leseecke, einen Schreibtisch, einen Relaxing-Stuhl, und ein Telefon auf dem Schreibtisch.

      Kalescu stürzte sich auf den Apparat. Er riss den Hörer von der Gabel und wischte sich den Schweiß mit dem Ärmel vom Gesicht. Polizeinotruf. Wie war doch gleich die Nummer?

      Jozef Kalescu tippte die erste Zahl. Sein zitternder Finger erwischte die falsche Taste. Der Truck-Driver war so aufgeregt, wie noch nie zuvor in seinem Leben.

      Er schlug nervös auf die Gabel, fing noch einmal zu wählen an. Ein knirschendes Geräusch ließ ihn herumfahren. Er starrte zur offenen Arbeitszimmertür.

      Noch war niemand zu sehen, aber es näherte sich jemand. Kalescu hatte das Gefühl, der Telefonhörer wäre auf einmal zentnerschwer.

      Sekunden vertickten. Eine Zeit, in der Jozef Kalescu nicht imstande war, etwas zu tun. Und dann war für ihn alles zu spät. Charles Marcuse tauchte auf. Der Killer hatte sein Opfer gefunden.

      Durch die Sehschlitze der Greisenmaske blitzten seine Augen. Grausam, mitleidlos. Jozef Kalescu ließ den Hörer fallen. Er schüttelte mit verzweifelter Miene den Kopf.

      „Nein! Nein!“, stöhnte er. „Ich bitte Sie, tun Sie es nicht ...“

      Marcuse hob langsam den Lauf der Maschinenpistole. Die Mündung wies Augenblicke später auf Jozef Kalescus Brust, in der sein Herz wild hämmerte. Wie lange noch?

      „Warum?“, jammerte Kalescu. „Warum wollen Sie mich töten?“

      „Du hast mich angegriffen!“

      „Es ... es tut mir leid ... Wirklich ...“

      Marcuse lachte schnarrend. „Ach, wirklich?“

      „Ja, es tut mir unendlich leid.“

      „Okay. Dann tut es mir auch leid, dich zu killen. Aber ich tu’s trotz dem.“ Marcuse zog den Stecher seiner Waffe durch. Die MPi fing zu rattern an. Feuerzungen leckten aus dem Lauf.

      Zahlreiche Kugeln trafen den Truck-Driver. Der Mann wurde von den Geschossen gegen die Wand geworfen.

      Er riss Augen und Mund weit auf, als könne er nicht fassen, dass dies wirklich sein Ende war. Seine Arme flogen hoch, die Handrücken klatschten gegen die Tapete. Er sackte langsam nach unten.