Ruth Anne Byrne

Verbena II


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Jahr in der Mittsommernacht hatte ich ihn wieder ermutigt, notgedrungen, damit Valerian fliehen konnte. Und in den Wochen danach war mir nichts anderes übriggeblieben, als auf Finns Werbung einzugehen. Sonst hätte er Nachforschungen angestellt. Aber inzwischen … es waren doch nun schon neun Monde vergangen, in denen ich mich ihm immer mehr entzog. Wie blind war er? Noch viel blinder als Valerian jedenfalls!

      Ich konnte kaum erwarten, dass Korvinus Finn endlich mit nach Kronenburg in das Konvent der Hüter nahm. Dann hatte dieser Spuk endlich ein Ende. Zu schade, dass sie erst in einem Mond aufbrechen wollten.

      Um der Gruppe nicht aufzufallen, lief ich hinten herum über die Wiese zum Gasthof Drei Linden. Fria war meistens in der Küche anzutreffen.

      Ich klopfte an und trat ein.

      »Verbena!« Fria saß am großen Küchentisch neben zwei Köchinnen und schälte Rüben. Sobald sie mich sah, ließ sie ihr Messer fallen. Die anderen beiden betrachteten mich argwöhnisch.

      Ich begrüßte sie freundlich, aber auch das schien nicht zu helfen. Danke Korvinus! Vor seiner Hetzrede letztes Jahr waren Alraune und ich im Dorf gerne gesehen gewesen. Jetzt glaubten alle, wir wären Begabte, Hexen, und senkten ihre Blicke, sobald sie unsere Heilerhaare sahen – obgleich der alte Baron seinen Sohn in die Schranken gewiesen hatte.

      Aber es gab auch Freunde, die sich davon nicht anstecken ließen. Fria fiel mir um den Hals. »Schön, dass du vorbeikommst! Wäh, wonach riechst du denn?« Sie schob mich wieder hinaus.

      Ich ließ sie gewähren – draußen zu reden, war mir nur recht. In der Küche von der Nebelschlucht zu erzählen, half meinem Ruf sicher nicht.

      »Brauche deine Hilfe!«, murmelte ich.

      »Was ist los? Warum stinkst du nach …« Sie schnupperte noch einmal und verzog das Gesicht. »… faulen Eiern?«

      Ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte. »Wicke hat eine Warze«, sagte ich.

      Fria prustete los. »Sonst noch Neuigkeiten?«

      Sie war so ansteckend, dass ich mitlachte. Ernster fuhr ich fort: »Weißt du, Warzen behandeln wir mit dem Schleim der Nebelkröten.« Ich bohrte meinen Fuß in den Boden. »Und so eine brauche ich jetzt.«

      »Aus der Nebelschlucht?«

      »Ja … könntest du mich begleiten, bitte?« Hoffentlich, hoffentlich.

      »In die NEBELSCHLUCHT?!«

      Ich kaute auf der Unterlippe. Das hier war eine schlechte Idee gewesen.

      »Vergiss es, wird schon gehen.« Ich wandte mich ab.

      »Verbena, warte!« Sie hielt mich an der Schulter fest. »Natürlich komme ich mit, wenn du mich brauchst.«

       TROPFENTRÄNEN

      »Sag, schickt der Baron immer noch so oft Kutschen, um Alraune abholen zu lassen?«, fragte Fria, als wir die Landstraße unter den Felsen, auf denen Burg Seggensee gebaut war, entlang gingen.

      »Zu Fuß schafft sie den Weg nicht mehr.«

      »Wird das wieder?«

      »Glaube nicht. Der Bruch ist nicht gut verheilt.«

      »Kannst nicht du das übernehmen? Morgen wirst du volljährig!« Sie stieß ihren Ellenbogen in meine Seite.

      Ich grinste in mich hinein. Morgen war mein Geburtstag! Aber warum Alraune mich nicht zum Baron schickte, das hatte ich mich auch schon oft gefragt. Mehr, als ihm einen Magenbitter zu bringen, tat sie ja nicht. Außerdem, was für einen unglaublichen Aufwand der Baron betrieb, um seine Heilerin zu sehen. Direkt nach Alraunes Unfall war er sogar das eine oder andere Mal in die Heilerei gekommen und hatte sich hinter verschlossener Tür mit ihr besprochen. Seit sie wieder halbwegs gehen konnte, ließ er sie für Hausbesuche mit der Kutsche abholen, mindestens einmal jeden Viertelmond.

      »Ich habe ihr angeboten, das zu übernehmen. Aber sie sagt, der Baron wünscht nur sie.« Mir gegenüber war er äußerst reserviert, behandelte mich wie Luft. »Die beiden verbindet etwas, ich kann mir das auch nicht erklären.«

      »Und wie! Sonst hätte er euch wohl kaum letztes Jahr vor den Hütern gerettet. Das ganze Dorf hat sich darüber gewundert.«

      Nicht nur die – auch ich!

      »Alraune sagt, sie hat bei ihm etwas gut. Aber du kennst sie ja, sie ist hart wie Stein, wenn sie nicht über etwas reden will.«

      Fria rümpfte die Nase. »Jetzt werde ich auch gleich so stinken wie du.«

      Wir waren bei der Abzweigung zur Nebelschlucht angekommen. Die Brücke über den Abgrund lag ein Stück vor uns auf der Landstraße. Nebel waberte von unten herauf. Am Himmel schoben sich die dunklen Wolkentürme weiter voran, verdeckten die Sonne und machten alles noch viel düsterer, als es am Vormittag schon gewesen war.

      Trotzdem ging ich voran, nahm den Serpentinenweg hinunter zum Nebelbach, tauchte ein in den warmen, stinkenden Dampf.

      Was tat ich bloß hier?

       Mein Amulett!

      Ich berührte die Stelle an meiner Kehle, wo es hängen sollte, und biss die Zähne zusammen. Ich durfte es nicht aufgeben.

      Die kalten Wirbel … Waren sie immer noch da? Packten sie mich diesmal fester, ließen mich nicht mehr los?

      Vor dem Eingang der Schlucht blieb ich stehen, konnte mich nicht überwinden weiterzugehen. Die Panik vom Morgen flackerte wieder auf. Ich hätte Fria nicht hierherbringen dürfen. Wie eigennützig war ich gewesen? Was, wenn ihr etwas zustieß? Wegen mir …

      Auch sie war still, hielt sich einen Ärmel vors Gesicht.

      »Warte auf mich – hier, wo man noch ein bisschen was sieht«, flüsterte ich. Dann war wenigstens jemand in der Nähe, jemand, dem ich zurufen, der Hilfe holen konnte.

      »Warum? Wir machen das gemeinsam! Wie findet man diese blöden Kröten?«

      Fria war die Beste! Sie hatte nur leider keine Ahnung, worauf sie sich hier einließ. »Sie sitzen in den Ritzen der Felsen. Wenn du etwas Glitschiges spürst, hast du eine gefunden.«

      »Ernsthaft?« Sie sah mich angewidert an. »Bin ich froh, dass ich keine Heilerin geworden bin!«

      Dabei waren die Kröten das geringere Übel. »Du brauchst sie nicht zu suchen, ich mache das. Es ist nur …« Wie sollte ich es ihr sagen, ohne, dass sie mich für verrückt hielt und das gleich jedem erzählte? Solche Geschichten verbreiteten sich im Dorf wie ein Lauffeuer und als Schankmaid bei den Drei Linden war Fria nicht zum ersten Mal der Span, der alles zum Lodern brachte.

      Sie sah mich erwartungsvoll an. »Jetzt drucks nicht so herum.«

      »Heute Morgen … da war etwas dort drinnen, im Nebel … und es stinkt noch fürchterlicher als sonst.«

      »Geht das überhaupt?«, murmelte sie durch ihren Ärmel hervor. Einen Moment sah sie zum Himmel hinauf. »Komm schon, bringen wir es hinter uns, möglichst, bevor es dunkel wird.«

      Sie hatte recht – wie finster die Wolken inzwischen aussahen! Ich nahm all meinen Mut zusammen. »Ja, bringen wir es hinter uns.«

      Wir gaben uns die Hände und gingen voran, hinein in die Schlucht und den dichten Nebel. Ich starrte in den warmen Dampf, suchte nach den Wirbeln. Jeden Moment erwartete ich die kalte Berührung. Wäre doch Malve hier. Er hätte mich wieder gewarnt. Ich umschloss Frias Hand fest, war ihr unendlich dankbar, dass sie mitgekommen war.

      Sie erwiderte meinen Griff. »Wie weit willst du gehen?«, flüsterte sie.

      Ich drehte mich zu ihr, sah sie kaum noch im Nebel.

      Spürte sie es auch? Dass hier etwas nicht stimmte …

      »Ein paar Schritte noch. Dort sollten Kröten sitzen.« An der Felswand, die ich im