Ruth Anne Byrne

Verbena II


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– einen Siegelring mit dem Wappen der von Seggensees.

      Den würde ich erst abziehen müssen. Brach der fragile Finger dann ab? Nein, das war zu viel verlangt! Selbst für mich. Mein Blick fiel auf den Köcher. Ehemals musste er aus dickem Leder gearbeitet gewesen sein. Denn die Prägung auf ihm hob sich nach wie vor ab. Sie zeigte das gleiche Wappen wie der Ring.

      »Den Köcher, darf ich den mitnehmen?«

      Ulrik nickte.

      Ich hockte mich neben ihn, spürte seine Eiseskälte. Wie gerne hätte ich ihn getröstet, ihn, der immer so fröhlich und mitreißend gewesen war. Doch meine Hand wischte durch ihn hindurch.

      Vorsichtig zog ich den Köcher unter dem toten Körper hervor, fürchtete bei jedem Zoll, dass das mürbe Gewebe des Arms zerfallen würde. Der Verschluss verhakte sich an einem Stein und der Deckel sprang auf. Es waren tatsächlich Schriftrollen darin.

      Endlich war es vollbracht. Schnell verschloss ich den Köcher wieder und steckte ihn unter meinen Umhang, um das Pergament vor dem Regen zu schützen.

      Ulrik geleitete mich zurück.

      Ich zog Fria hoch von ihrem Stein, nahm sie mit, weg von diesem traurigen Ort.

      Zum Abschied verbeugte sich der Geist des Baronssohns vor ihr. Er ging vor ihr auf die Knie und streckte ihr die Hand entgegen. Zaghaft legte sie ihre in die seine und es mutete an, als küsste er sie.

      Sofort kullerten wieder Tränen über ihre Wangen. »Wie oft ich von Euch geträumt habe, Euer Hochgeboren«, wisperte sie.

      Er presste die Lippen aufeinander und legte eine Hand auf sein Herz.

      Der Regen wurde schwächer und Ulriks Konturen verschwammen im wiederkehrenden Dunst.

      Er wandte sich mir noch einmal zu, bedeutete mir mitzukommen. Doch ich konnte nicht mehr ausmachen, wohin er ging. Da spürte ich es kalt an der Hand und folgte der Berührung. Er führte mich zu der Stelle, von der ich am Morgen in Panik geflohen war. Vor mir an der Felswand saßen gleich mehrere …

      »Nebelkröten!« Ich packte eine davon in den Korb.

      Doch war es nicht das gewesen, was er mir zeigen wollte? Noch immer ließ er mich seine kalte Berührung spüren. Ich sah mich um, suchenden Blicks, bis ich das zerrissene Lederband am Boden liegend fand.

      Das Amulett! Es war in eine Ritze zwischen zwei Steinen gerutscht. Ohne Ulrik hätte ich es nie wiedergefunden.

      »Danke, Euer Hochgeboren! Ihr wisst ja gar nicht, was mir das bedeutet!« Ich knickste in die Richtung, in der ich ihn vermutete. Dann band ich es mir erleichtert um den Hals und ließ es unter meinem Kleid verschwinden.

       GESEGNET DIE UNWISSENDEN

      Vor der Schlucht ließ Fria sich auf einen Baumstumpf fallen. »War das wirklich Ulrik?« Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Was hat er dir am Schluss gezeigt?«

      Ich zog das Amulett unter meinem triefend nassen Kleid hervor. »Habe es heute Morgen verloren … als ich vor ihm davongelaufen bin.«

      »Ist das nicht der Anhänger, den Valerian für dich geschnitzt hat?«

      Ich nickte und ließ ihn wieder verschwinden, presste ihn mit der Hand fest auf mein Herz. Durch die Berührung spürte ich umso deutlicher, dass Malve in der Heilerei inzwischen erwacht war. Bleib wo du bist!, schickte ich ihm in Gedanken zu und hoffte inständig, dass er auf mich hörte. Mit dem Baron zu sprechen, würde auch ohne ihn schwierig genug werden.

      Die Sonne näherte sich inzwischen dem Horizont. Der Himmel war für den Moment nicht ganz so finster. Aber neue graue Wolken schoben sich bereits hinter den Hügeln hervor. Nicht mehr lange und es würde weiterregnen. Mich fröstelte.

      »Bringen wir das schnell zu den von Seggensees!« Ich holte den Köcher unter meinem Umhang heraus und versuchte, den Deckel wieder besser zu befestigen. Die hohen Herren brauchten nicht zu wissen, dass ich ihn verbogen hatte.

      Neugierig stand Fria auf. Die Farbe in ihrem Gesicht kehrte langsam zurück. Ihre Finger glitten über das Wappen am Leder. »Hat Ulrik den aus Kronenburg mitgebracht?«

      »Ja, es sind Schriftstücke darin.«

      Sie sah zu mir auf, hatte ein Blitzen in den Augen. »Lass uns nachsehen!«

      Das ließ mich schmunzeln. Da war sie wieder, die Fria, die ich kannte! »Aber wir können doch nicht die Post der von Seggensees lesen!«

      »Ulrik hätte das letzten Sommer hierher bringen sollen. Für die ist das bestimmt ein alter Hut!«

      War es das? Der Winter war hart gewesen und nicht einmal die Postkutschen waren wegen des vielen Schnees ihre gewohnten Strecken gefahren.

      »Vielleicht weiß Korvinus das hier noch gar nicht.«

      »Umso spannender!« Schon war der Deckel offen und Fria beäugte die eingerollten Schriftstücke.

      Schnell zog ich ihr den Köcher aus den Händen. »Seit wann kannst du lesen?«

      »Ich nicht, aber du!«, warf sie schmollend zurück.

      Ich biss mir auf die Unterlippe.

      Gemeinsam zogen wir die dicke Rolle aus dem Köcher. Mehrere Pergamente waren ineinander gerollt. Deren äußerste Schicht war so brüchig, dass sie unter unseren Fingern zerbröselte.

      »Sei vorsichtig!«, hauchte ich. Korvinus würde außer sich sein – noch viel wütender, als er sonst immer war – wenn das Pergament nicht unberührt aussah.

      Fria stöhnte. »Diese Bögen liegen seit neun Monden in der Schlucht. Natürlich zerfallen sie! Es wird schon niemand bemerken, dass wir kurz einen Blick darauf werfen.«

      Ich stellte den Lederbehälter ab und half Fria, die großen Pergamente auseinander zu rollen. Ein mit einer Schleife eng zugebundener und versiegelter Brief segelte auf den nassen Boden.

      »Mist!« Ich ließ die Ecken der Rolle los, um ihn möglichst schnell aufzuheben, und wischte die Kleckse feuchter Erde wieder ab. »An Korvinus von Seggensee«, las ich. Mich fröstelte. Was taten wir hier bloß? Ich steckte den Brief vorsichtig in den Köcher zurück.

      Fria hatte die großen Schriftstücke inzwischen selbst aufgerollt.

      »Steckbriefe!«, rief sie.

      »Pssst!« Die Landstraße war nicht fern. Wenn uns jemand erwischte!

      Mein Blick fiel auf das Bild des Gesuchten. Es verschlug mir den Atem. Sogar sein immer leicht nach oben gezogener Mundwinkel, dieses wissende Schmunzeln, war perfekt getroffen.

      »Lies vor!«

      Ich brauchte einen Moment, meine Stimme zu finden.

      »Gesucht. Tot oder lebendig. Belohnung 2000 Kronen.«

      »2000 Kronen? So viel war es noch nie! Wer ist das?«

      »Valdemar von Vernon.« Ich sah noch einmal hin. Diesen Namen hatte ich noch nie gehört … aber das Bild! Neben dem gezeichneten Kopf war ein rundes Siegel abgebildet, eines mit drei Bäumen.

      Hatte Alraune recht gehabt? War er doch adelig? Es war das gleiche Wappen, das auch den Griff von Valerians Dolch zierte. Genau der Dolch, der in meiner Kammer unter dem Bett lag.

      »Ein Familienerbstück«, hatte er gesagt, als er ihn mir, knapp nachdem er schwer verletzt bei uns erwacht war, beschrieben hatte. Und direkt davor hatte er mir offenbar eiskalt ins Gesicht gelogen und sich unter falschem Namen vorgestellt.

      Mein Blick wanderte hinunter zur Beschreibung. Mit belegter Stimme fuhr ich fort: »Angeklagt wegen Hochverrats. Begabt und gefährlich! 20 Winter, mittlere Größe, dunkelbraunes Haar, braune Augen.« Ich las es wieder und wieder. Es musste er sein. Wer sonst?

      »Was ist mit dir?«

      Ich sah zu Fria auf. »Erkennst du ihn