A. F. Morland

Extra Krimi Paket Sommer 2021


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nötig anzuheben. Aus dem Küchenfenster des Bären fiel etwas Licht in den Garten, aber hier war es eigentlich zu dunkel für einen Schützen ... und an einen Restlichtverstärker hinter dem Zielfernrohr wollte Rogge nicht denken ... geschafft.

      Nach zwei Minuten beruhigte sich sein Atem. Jetzt hörte er auch das leise Klappern von Tellern aus der Küche. Wer immer auf ihn geballert hatte, gab sich mit den beiden Schüssen zufrieden. Oder er dachte, er habe getroffen, weil Rogge fast zeitgleich mit dem zweiten Schuss hingestürzt war. Nein, Vorsicht war immer noch der bessere Teil der Tapferkeit, den Eingang würde er nicht benutzen. Auf Knien und Ellbogen kroch Rogge bis zur Hausecke und richtete sich erst in ihrem Schutz auf. Bevor er zum Essen gegangen war, hatte er das Fenster zum Lüften seines Zimmers geöffnet, und wer zum Teufel wollte ihm vorschreiben, wie er sein bezahltes Zimmer betrat?

      Trotzdem zog er die Vorhänge vor, bevor er das Licht anknipste.

      Wenigstens hatten Hose und Jacke den zweiten Sturz des Wochenendes heil überstanden. Feuchte Erde, die würde trocknen, das konnte er morgen früh ausbürsten. Danach betrachtete er mit zusammengebissenen Zähnen das Telefon. Sollte er Hilfe holen ... ?

      Rogge wälzte sich lange schlaflos in seinem Bett und dämmerte gerade hinüber, als ihn ein Geräusch hochriss. Merkwürdig gedämpft und doch ganz in der Nähe. Auf dem Flur? Vor seiner Tür?

      Mit angehaltenem Atem horchte er, aber es wiederholte sich nicht, und als er endlich auszuatmen wagte, wusste er, dass er hellwach war und an Einschlafen nicht denken durfte, bis er eine Erklärung für das Geräusch gefunden hatte. Leise zog er sich Hose und Pullover über, schaltete das Licht aus, drehte im Zeitlupentempo den Schlüssel und zog die Zimmertür auf. Der Flur lag im Dunkeln, er trat hinaus und witterte. Wenn die Augen versagten, half manchmal die Nase oder ein siebter Sinn, einen versteckten Menschen zu ahnen. Doch ohne Erfolg, Rogge wollte sich schon wieder umwenden, als ihm ein schwacher Lichtstreifen auffiel, direkt über dem Boden, am Ende des Flures auf seiner Seite. Neue Gäste? Dann war das schwache Rauschen das Wasser, das in einer Dusche lief?

      Verdammt, es würde ihm ja doch keine Ruhe lassen! Wütend auf sich selbst schlich Rogge in sein Zimmer zurück, tastete sich zum Fenster und stieg in den Garten hinaus. Ja, im letzten Zimmer brannte Licht, offenbar waren die Vorhänge vorgezogen, aber jetzt wollte er es wissen. Hauptkommissar Jens Rogge als Voyeur! Doch besser ausgelacht als noch einmal angeschossen!

      Als hätte er es bestellt! Zwischen den beiden Vorhanghälften klaffte ein winziger Spalt, durch den er einen Ausschnitt des Zimmers beobachten konnte, das Fußende des Bettes. Dann bewegte sich das Laken und plötzlich stand ein nackter Mann im Zimmer, der sich abtrocknete. Rogge starrte ihn an wie ein Weltwunder, den Knaben hatte er noch nie gesehen. Wieder bewegte sich das Bettlaken, die Frau richtete sich auf und rutschte im Bett auf den Knien zum Fußende, um den Mann zu umarmen, der schon in seine Unterhose gestiegen war. Die nackte Schönheit kannte er, Frau Wirtin hatte also einen Liebhaber. Was Rogge ihr einerseits gönnte, ihn andererseits wegen ihrer Unvorsichtigkeit verwunderte. Oder konnte sie sicher sein, dass Olli sie hier nicht überraschte? Und wenn ja, warum?

      Unbemerkt erreichte Rogge wieder sein Zimmer und lag im Dunkeln noch wach, bis er verstohlene Schritte und das vorsichtige Knacken der Haustür hörte. Danach schlief er schnell ein.

      Montag, 18. September

      Angi bediente ihn mit unverändert melancholischer Miene, seinen Blick meidend, und Rogge hütete sich, auf den Vorfall anzuspielen. Der Mann war etwas älter gewesen als sie, ein eher schmächtiges Hemd, auf jeden Fall das totale Gegenteil von Olli.

      Wibbeke rollte das Metallkügelchen ratlos hin und her: »Was ist denn das, Herr Rogge?«

      »Eine Kugel.« Im Tageslicht hatte Rogge die Einschlagstelle im Putz neben der Tür zum Gästehaus entdeckt und das Klümpchen vorsichtig herausgepult. Wahrscheinlich viel zu deformiert, um noch Züge zu erkennen, aber ihn interessierte in erster Linie, ob die Kugel aus einer Handfeuerwaffe oder einem Gewehr stammte. Ein Gewehrschütze musste sich nicht auf dem Gelände des Bären aufgehalten haben, Rogge hatte die beiden Männer vor Schönborns Villa nicht vergessen, dafür sorgte schon seine brennende Schulter. Dass sie geflohen waren, hatte wenig zu bedeuten, schließlich hatte er seinen Wagen seelenruhig vor Schönborns Haus geparkt. So ganz einfach wurde es einem Normalbürger nicht gemacht, an Hand des Kennzeichens einen Halter zu ermitteln, aber unmöglich war es für niemanden, selbst an einem Wochenende nicht.

      »Und was soll ich damit?«

      »An die KTU schicken. Ohne meinen Namen zu erwähnen.« Rogge schmunzelte, aber Wibbeke teilte seine Heiterkeit nicht.

      »Sie verschweigen mir doch etwas!«

      »Ja, tue ich. Aber ich gebe mein großes, mittleres und kleines Ehrenwort, dass ich alles beichte, wenn der Fall abgeschlossen ist.« Was, wie Rogge mit etwas schlechtem Gewissen dachte, noch lange dauern konnte.

      Der Oberkommissar musterte ihn misstrauisch, resignierte aber schließlich: »Na schön, mir wird schon was einfallen,«

      »Vielen Dank. Und wenn Sie den Kollegen etwas Dampf machen könnten ...«

      Heute sündigte Rogge und besorgte sich in der Touristinformation einen Busfahrschein für eine Rundtour durch das so genannte Vorland. Erstens hatte er schlecht geschlafen, zweitens behinderte ihn seine Schulter und drittens musste er ja heute Nachmittag noch die Strecke von Herlingen nach Stockau zurücklaufen. Man kann alles auch übertreiben, pflichtete er seiner Entscheidung Beifall und war eingeschlafen, bevor der Bus das Ortsausgangsschild passierte.

      Die Besichtigungsfahrt wurde so schlimm, wie er sich das ausgemalt hatte, einige Fahrgäste schleppten irre Mengen von Bier mit, das sie während der Fahrt systematisch und lautstark vernichteten. Die Kirchen und Klöster interessierten sie weniger, sie wachten aus ihrem Tran nur auf, als ihr Führer einen Fehler beging und erwähnte, dass die Klosterbrüder früher einen weithin gerühmten Bitterschnaps gebrannt hätten. Dass es den nicht zu probieren gab, beschäftigte die enttäuschten Saufköppe noch eine ganze Stunde.

      Rogge bemitleidete den Führer, der sich aber nicht aus der Ruhe bringen ließ und seine Erklärungen immer schneller und lustloser herunterspulte. Er schien Kummer gewohnt. Das überteuerte Essen schenkte Rogge sich und bummelte an dem Bach entlang, immer noch unschlüssig, ob er morgen abreisen oder verlängern sollte.

      Olli fischte mit dem Zimmerschlüssel einen Zettel aus dem Fach, den Rogge sofort auffaltete. »Ein Herr Simon wartet auf Rückruf.«

      »Ach nee!« Rogge grummelte und Olli taxierte ihn aus verhangenen Augen.

      »Meine Frau hat mir ausgerichtet, Sie wollten mir was auf den Schreibtisch legen.« Simon klang verschnupft.

      »Ich hab’s mir anders überlegt.«

      »Was soll das heißen?«

      »Warum soll ich Ihnen Informationen geben, wenn Sie Ihre zurückhalten?«

      »Ich halte nichts zurück.«

      »Da bin ich anderer Meinung.«

      »Das Grundgesetz garantiert die Meinungsfreiheit.«

      »Eben.«

      »Trotzdem irren Sie. Ich weiß nichts Konkretes, habe nur ein dummes Gefühl, mehr nicht.«

      »Ich bleibe noch bis Ende der Woche.«

      »Meinetwegen«, grollte Simon, bevor er grußlos auflegte, und Rogge schwankte einen Moment, ob er nicht zu weit gegangen war.

      Gertrud freute sich, ihn zu sehen, und brachte ein Bier, bevor er sich richtig gesetzt hatte. »Den Tag gut verbracht?«

      »Ach, es geht. In einem Reisebus mit einem Haufen angesoffener und grölender Faulpelze.«

      Kritisch sah sie sich um: »Na, dafür wird’s hier heute umso ruhiger.«

      Sie behielt Recht, Olli wankte um zehn Uhr aus der Gaststube, weil nichts mehr zu tun war, und sie setzte sich zu Rogge. Er war jetzt der einzige Gast und bot ihr an, sofort zu zahlen,